Sie musste 82 Jahre alt werden, bis sie die erste Demonstration ihres Lebens mitmacht. Die Pforzheimerin, die sich an diesem sonnigen Samstag etwas abseits auf dem Marktplatz eingefunden hat und „demokratischen Widerstand“ leisten will. Zusammen mit gut 150 Mitstreitern – wieder etwas mehr als bei den vergangenen zwei Malen der Corona-Demos.
Zum Thema:Mehr Angst vor der Maske als vor dem Virus
„Dieser Maulkorb ist schädlich für die Lunge“, glaubt sie und schmäht die Maske. Die Seniorin hat chronisch Bronchitis, sei viel an der frischen Luft und fürchtet sich augenscheinlich weniger vor dem Corona-Virus als vor der Maskenpflicht in Geschäften. „Ich habe so etwas noch nie erlebt.“
Das können wohl alle Demonstranten des „Demokratischen Widerstands“ unterschreiben. Sie treibt die Sorge um die Grundrechte um, manche wollen gegen eine angebliche Impflicht ins Feld ziehen oder zweifeln die Corona-Fallzahlen an.
Der „Jesus-rettet-dich“-T-Shirt-Träger steht neben dem bekennenden AC/DC-Fan. Ein Mann schwingt die bretonische Flagge. „Weil ich jetzt eigentlich in der Bretagne in Urlaub wäre.“
Alte Männer gratulieren der Viertklässlerin
Für Michelle Bullinger ist es wohl auch die erste Demonstration. Und dann gleich vorne am Mikrofon. Die zehnjährige Viertklässlerin von der Haidachschule hält die Rede ihres Lebens. Ihr Vorbild: Kein geringerer als Martin Luther King. „Ich habe einen Traum. Wieder normal zur Schule gehen zu können. Ich habe einen Traum. Meine Freunde wieder zu sehen. Feste zu feiern. Richtig zu leben.“
Weiterlesen:Die Menge feiert die Kleine. Alte Männer gratulieren ihr. „Ich interessiere mich sehr für Geschichte“, erzählt sie am Rande der Demo. Über Martin Luther King, den bekannten Schwarzen Bürgerrechtler aus den USA, habe ihre Mutter ihr viel erzählt. Die Rede habe sie aber ganz alleine geschrieben.
Es ist wieder eine bunte Truppe, die sich am Marktplatz einfindet, während in der Fußgängerzone schon fast wieder der normale Samstags-Shopping-Alltag eingekehrt ist, inklusive voller Straßencafés.
„Wir sind weiter entschlossen“, erklärt Organisator Michael Schreyer. „Wir machen weiter, bis sie unsere Eltern nicht mehr vor uns wegsperren“, ruft eine Ordnerin dazwischen. Redner warnen vor der Corona-Warn-App oder geißeln die Testergebnisse.
Sie ziehen Vergleiche mit den Anti-Rassismus-Demos oder der Fridays-for-future-Bewegung. "Warum steht ihr nicht mit uns hier?" Wieder wird gesungen. „Die Meinung, die ist frei.“ Und ein kräftiges "Trulla trulla trullala". Und dann reimt sich hier am Pforzheimer Marktplatz an diesem herrlichen Samstagnachmittag am Ende auch Corona-App auf „Corona-Depp“.