Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe präsentiert in der größten Schau seit sechs Jahrzehnten einen Ausnahmekünstler der Renaissance: Hans Baldung, genannt Grien (1484/85-1545).
Sind wir nicht alle ein bisschen Adam? Die biblische Versuchung schildern Grafiken oder Gemälde der Renaissance üblicherweise als gemeinsamen Sündenfall von Mann und Frau. Diese Eva aber steht alleine im Paradies nur mit Apfel und Schlange. Wer jene Zeichnung aus dem Jahr 1510 betrachtet, macht sich zum Adam – ob er will oder nicht. Eva blickt uns forsch in die Augen. Zeitgenossen empfanden das als moralisch anstößig.
Hans Baldung, genannt Grien ( 1484/85 bis 1545 ) spielt damit.
Der Maler, der gerade aus der Werkstatt Albrecht Dürers in Nürnberg zurück nach Straßburg gekommen und frisch verheiratet war mit der aus einer angesehenen Familie stammende Margarethe Herlin, stellt seine Eva als sinnliche Verführerin dar. Durch ihren Blick bezieht sie den Betrachter ein in den Sündenfall. Wir alle sind Adam – und damit an der Klippe zur Versuchung.
Inzest wie er in der Bibel steht
Gottlob sind wir nicht alle Lot! Wenngleich seine Tochter als weiblicher Akt dem Betrachter mit ihrem Blick ein unmissverständliches Angebot macht. Dem frommen Neffen Abrahams, den seine zwei Töchter nach der Flucht aus Sodom mangels männlicher Gesellschaft aus Kinderwunsch zuerst betrunken machen, dann verführen und so von ihm schwanger werden, widmete Baldung um 1535/40 ein Tafelgemälde . Ein Inzest wie er in der Bibel steht.
Mit seiner Spannung zwischen Frömmigkeit und Sünde ist dieses erst seit dem Frühjahr 2019 in Fragmenten wieder zusammengeführte Bild ein Schlüsselwerk in der faszinierenden Großen Landesausstellung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe , die jetzt mit dem Untertitel „heilig / unheilig“ einen neuen Blick auf Hans Baldung wirft.
Erste Baldung-Retrospektive seit sechs Jahrzehnten
„Lot und seine Töchter“ ist längst nicht das frivolste Bild im Opus Baldungs , gleichwohl kennzeichnet es das Spannungsfeld, in dem sich das Werk des berühmten Dürer-Schülers bewegt und das der Kurator Holger Jacob-Friesen und sein Team in 14 Räumen hervorragend in Szene setzen. Es ist die erste Baldung-Retrospektive seit sechs Jahrzehnten, als die Kunsthalle 1959 den Künstler erstmals in den Blick rückte.
Für Jacob-Friesen, der die Ausstellung in den vergangenen zehn Jahren vorbereitete und konzipierte, ist Baldung einer der aufregendsten Künstler der Renaissance. Mit ihm führt die Ausstellung in eine Zeit, die 500 Jahre zurückliegt. Die Reformation, der Humanismus, Bilderstürme und Bauernkriege prägten diese Phase tief greifender geistlicher, religiöser und sozialer Veränderungen. Baldungs Werk erscheint in diesem Kontext in besonderer Tiefe.
Ausschweifende Hexen und intime Andachtsbilder
Der berühmte Dürer-Schüler wuchs in Straßburg in einer humanistisch geprägten Gelehrtenfamilie auf und ergriff als einziges Mitglied der Akademikerfamilie den Künstlerberuf. Sein Werk ist schöpferisch, originell und einfühlsam, in vielen seiner Bilder still und anrührend, in anderen wild und expressiv. Baldungs Stil ist unkonventionell, zuweilen exzentrisch tiefgründig und unverwechselbar.
Als einer der vielseitigsten Künstler seiner Zeit hat er alle Gattungen bedient vom Altarretabel wie das des Freiburger Münsters über intime Andachtsbilder, charaktervolle Porträts bis hin zu rätselhaften Allegorien. Ausschweifenden Hexen widmete er sein Augenmerk ebenso wie der Vergänglichkeit oder Historienbildern, deren Stoffe aus dem Alten Testament oder aus der Antikengeschichte stammen.
Feiner Sinn für die Wirkung von Farben
Im wesentlichen chronologisch aufgebaut, zeigt der Rundgang die Entwicklung des Künstlers von etwa 1500 bis zu seinem Tod 1545 . Baldung hat die großen Stilphasen dieser Zeit durchlaufen: von der Spätgotik eines Martin Schongauers am Oberrhein geprägt über die Renaissance, die er in der Werkstatt Dürers aufgenommen hat, bis hin zu einem eigenen, durchaus manieristischen Stil, mit dem sich Baldung frei macht von allen Regeln und Normen über die Farben, den Raum und den Körper.
Die Ausstellung zeigt ihn als einen wundervollen Maler mit einem feinen Sinn für die Wirkung von Farben, aber auch als virtuosen Zeichner in allen Medien der Zeit vom zarten Silberstift bis hin zur Kohle, als einen der besten Druckgrafiker seiner Zeit und als Glasmaler. Bedeutende Glasgemälde aus Nürnberg oder Straßburg hat Baldung eigenhändig geschaffen – 13 Exemplare, die teilweise eigens abgebaut wurden, sind nun in der Kunsthalle zu sehen.
Die List der Frauen
Thematische Schwerpunkte durchbrechen die Chronologie und bündeln Kapitel über die Zeit hinweg. So wird etwa das imposante Verhältnis zwischen Baldung und Dürer beleuchtet und man lernt einen Maler kennen, der sich immer wieder auf den Lehrer bezieht, sich aber auch demonstrativ von diesem Vorbild abzusetzen wusste. Zu seinen Porträts, Hexen- und Vanitasbildern, zum Sündenfall, der List der Frauen oder der antiken Mythologie zeigt die Kunsthalle Beispiele vom Früh- bis zum Spätwerk und arbeitet so das Besondere von Baldungs Ansatz heraus.
Baldungs Bilder sprechen uns unmittelbar an
„Baldungs Bilder sprechen uns unmittelbar an, weil er Grundlagen unserer Existenz in den Blick nimmt“, so Jacob-Friesen. „Bei ihm geht es um das Werden und Gehen, die Sinnlichkeit und die Sünde, die Liebe und den Tod, die freudvollen und die leidvollen Momente des Lebens und dessen Abgründe.“ Baldung konnte sogar die Nachtseiten des Lebens mit einem besonderen Humor würzen.
Die unbedingt sehenswerte und wissenschaftlich klug konzipierte Schau enthält unter anderem 60 Tafelgemälde Baldungs, die allein zwei Drittel des erhaltenen Gesamtwerks bilden, und die wie auch die Glasgemälde, 60 Zeichnungen und 60 Druckgrafiken an der Seite von Zeitgenossen dazu beitragen, das Besondere in Baldungs Schaffen hervorzuheben.
65 Leihgeber aus 13 Ländern in Europa oder den USA belegen die weltweite Beachtung des im deutschen Südwesten verwurzelten Künstlers, aus dessen Œuvre die Kunsthalle eine bedeutende Basis besitzt. Dazu gehört auch das Karlsruher Skizzenbuch, ein Konvolut von Zeichnungen Baldungs, das der Karlsruher Akademieprofessor Marcel van Eeden zur Grundlage seiner Zeichnungen machte, die flankierend im Kupferstichkabinett der Kunsthalle zu sehen ist.
30. November bis 8. März in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe , Hans-Thoma-Straße 2-6. Geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr. Katalog: 39,90 Euro.