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Preisgekrönte Doktorarbeit

Baden und Elsass: Als Liebe unter Männern strafbar war

Diese Doktorarbeit birgt manche Überraschung. Frédéric Stroh hat über den Umgang der Justiz mit Homosexualität in Baden und im Elsss geforscht. Für seine Doktorarbeit erhielt der französische Historiker den Johann-Daniel-Schöpflin-Preis. Dieser wird vom Förderverein des Generallandesarchivs Karlsruhe vergeben.

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Für seine Doktorarbeit über den Umgang der Justiz mit männlicher Homosexualität hat Frédéric Stroh intensiv im Generallandesarchiv Karlsruhe geforscht. Foto: abw

Baden, das aus politischer Sicht „liberale Musterländle“, griff im 19. Jahrhundert hart durch. Gegen das nämlich, was man als „widernatürliche Unzucht“ zwischen Personen männlichen Geschlechts betrachtete. Der Verfolgungsdruck, den Polizei und Gerichte auf Homosexuelle ausübten, sei im Süden Deutschlands deutlich höher gewesen als im Norden, sagt Frédéric Stroh.

„Baden war kein Raum der sittlichen Liberalität, sondern in dieser Hinsicht einer der repressivsten deutschen Staaten – repressiver als Preußen“, erläutert der französische Historiker. Es ist nicht die einzige Überraschung, die seine Doktorarbeit zu Tage fördert.

Stroh untersucht darin den Umgang der Justiz mit Homosexualität in Baden und im Elsass. Den Fokus legt er auf die Zeit des Nationalsozialismus. Für die Dissertation hat er unter anderem im Generallandesarchiv Karlsruhe intensiv geforscht. Von dessen Förderverein wurde er für seine herausragende Studie mit dem Johann-Daniel-Schöpflin-Preis ausgezeichnet.

Frankreich hat Homosexualität schon früh straffrei gestellt

Die Ausgangslage im Elsass, das 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt wurde, unterschied sich grundsätzlich von der in Baden. Das revolutionäre Frankreich hatte bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert Homosexualität straffrei gestellt. Das galt entsprechend auch im Elsass.

Doch 1871 wurde die Region dem neu gegründeten deutschen Kaiserreich angegliedert. Und nach Paragraf 175 des Reichsstrafgesetzbuchs (RStGB) war „widernatürliche Unzucht“ mit Gefängnis zu bestrafen. 1919 trat im Elsass dann wieder das französische Recht in Kraft. So hatten homosexuelle Paare zeitweise keine Strafverfolgung mehr zu fürchten.

Rigider Kurs im Baden des 19. Jahrhunderts

In Baden hingegen war man schon vor der Einführung des Reichsstrafgesetzbuches streng gegen die schwule Szene vorgegangen. Auch während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik hielten die badische Polizei und die Justiz an ihrem im reichsweiten Vergleich äußerst rigiden Kurs fest. Vor allem in Südbaden kannten die Behörden kein Pardon. Als die Nationalsozialisten 1935 den Paragrafen 175 RStGB massiv verschärften, schnellte dann – wie zu vermuten war – reichsweit die Zahl der Verurteilungen in die Höhe. In Baden traf es, so Frédéric Stroh, bis zum Ende der NS-Zeit 1.680 Männer.

In der NS-Zeit urteilen badische Richter vergleichsweise zurückhaltend

Und doch bringen Strohs Untersuchungen wiederum Überraschendes ans Licht: Der Historiker stellt nämlich fest, dass die Urteilspraxis in Baden in jener Zeit eher zurückhaltend war – und den Strafrahmen in der Regel nicht annähernd ausschöpfte. Im reichsweiten Vergleich drehten sich die Verhältnisse geradezu um.

Ließ sich seit dem 19. Jahrhundert im Süden des Reiches – in Baden, Württemberg und Südbayern – die relativ schärfste Verfolgung feststellen, verlagerte sich in der NS-Zeit der massivste Druck auf Homosexuelle in Richtung Norden, zumal nach Preußen. In Baden hingegen war ab 1937 ein relativer Abschwung zu erkennen. „Baden lag jetzt leicht unter dem Reichsdurchschnitt“, erläutert Stroh.

... und im Elsass?

Und im besetzten Elsass? Wurde die Strafverfolgung von Homosexuellen dort so konsequent gehandhabt wie im „Altreich“?

Reichsstatthalter Wagner will Homosexuelle lieber "umerziehen"

Bis Januar 1941, so Stroh, galt im Elsass das französische Recht weiter, dann wurden ein Jahr lang das französische und das deutsche Gesetzbuch nebeneinander gebraucht. Verurteilungen wegen Homosexualität habe es zunächst wenig gegeben.

Auch zeigte Robert Wagner, der Reichsstatthalter des „Reichsgaus Oberrhein“ (Elsass und Baden), offenbar kein besonderes Interesse daran, Schwule hinter Gitter zu bringen. Der Hass des glühenden Nationalsozialisten richtete sich zuvörderst gegen Juden.

Zudem war Wagner damit beschäftigt, gemäß Hitlers Befehl das Elsass rücksichtslos „einzudeutschen“. Bei Homosexuellen tendierte der Chef der Zivilverwaltung im Elsass eher dahin, sie ins unbesetzte Frankreich auszuweisen oder in Lagern „umzuerziehen“.

Der Verfolgungsdruck steigt

Nichtsdestotrotz stieg, nachdem ab Februar 1942 deutsches Recht im Elsass galt, der Verfolgungsdruck signifikant an – und die Richter urteilten in der Regel sehr streng. Stroh hat ausgerechnet, dass 60 Prozent der Prozesse wegen Homosexualität vor dem Landgericht Straßburg Zuchthausstrafen nach sich zogen – beim Landgericht Karlsruhe waren es lediglich 18 Prozent.

Worin sich die Verfolgung im Elsass und in Baden unterschied

Insgesamt, so Stroh, sei die Verfolgung im Elsass „schärfer, aber zugleich geografisch und gesellschaftlich beschränkter“ gewesen als bei den Nachbarn rechts des Rheins. Denn im Elsass konzentrierten sich die Behörden vor allem auf die schwulen Szenen der Großstädte, insbesondere in Straßburg.

Und sie schlugen meist dann zu, wenn sich Männer aus den Unterschichten verdächtig gemacht hatten oder denunziert worden waren. In Baden hingegen traf es Homosexuelle aus allen gesellschaftlichen Schichten und der gesamten Region. Selbst in kleinen Schwarzwalddörfern wurde ermittelt.

Eine gemeinsame, aber vielfältige Geschichte

Justiz und Homosexualität im Nationalsozialismus: Frédéric Strohs vergleichende Studie zu Baden und dem Elsass bringt eine gemeinsame, zugleich aber sehr vielfältige Geschichte an Licht. Und sie zeigt, dass Unterschiede in der Strafverfolgung von Homosexualität mehr mit den Akteuren zusammenhingen als mit regionalen Vorgeschichten oder dem Rechts- oder Verwaltungskontext. Fast 500 Seiten umfasst die preisgekrönte Doktorarbeit, die viele Vorurteile und auch manches wissenschaftliche Urteil korrigieren dürfte. Sie liegt in französischer Sprache vor.

Der Johann-Daniel-Schöpflin-Preis wird alle zwei Jahre vom Förderverein des Generallandesarchivs Karlsruhe ausgelobt. Bewerben können sich die Verfasser herausragender Masterarbeiten, Zulassungsarbeiten für Staatsexamen und Dissertationen aus dem Bereich der Geschichtswissenschaft oder der Historischen Hilfswissenschaften, die für ihre Forschungen Quellen des Generallandesarchivs verwendet haben. Der mit 2.000 Euro dotierte Preis ist nach dem Historiker Johann Daniel Schöpflin (1694–1771) benannt, der im badischen Sulzburg geboren wurde. Er lehrte in Straßburg und genoss als Mittler des wissenschaftlichen Austauschs in Europa hohes Ansehen.

Preisträger des Jahres 2019 ist Frédéric Stroh mit seiner in Straßburg vorgelegten Doktorarbeit „Justice et homosexualité sous le national-socialisme. Etude comparée du pays de Bade et de l’Alsace“.

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