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"Dein Sternenkind"

Fotografin Birgit Walther-Lüers gibt Eltern toter Babys ein Stück Erinnerung

Das erste und das letzte Bild: Fotografen der Aktion "Dein Sternenkind" fotografieren Kinder, die tot zur Welt kommen oder kurz nach der Geburt sterben. Den Eltern schenken sie so wichtige Erinnerungsstücke und unterstützen sie in einer sehr schweren Zeit. Eine Fotografin und ein Elternpaar berichten über ihre Zusammenarbeit.

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Für Linas Eltern war das Shooting die Möglichkeit, ihre Tochter kennen zu lernen und Abschied zu nehmen. Foto: Birgit Walther-Lüers

Eigentlich schien alles normal zu verlaufen: Im August 2018 freuten sich Hannah D. und Sebastian P. aus Karlsruhe auf ihr erstes Kind. Ein Mädchen sollte es werden – Lina. Hannah war bereits in der 32. Schwangerschaftswoche, als sich Lina in ihrem Bauch plötzlich nicht mehr bewegte.

Vater löst Alarm auf der Homepage aus

Im Städtischen Klinikum Karlsruhe bestätigte sich der schlimme Verdacht der Eltern: Lina war tot. Der behandelnde Arzt gab Hannah und Sebastian einige Flyer, darunter auch den der Aktion „Dein Sternenkind“ (DSK). Dahinter verbirgt sich ein Zusammenschluss von Fotografen, die in Krankenhäusern jene Kinder fotografieren, die tot zur Welt kommen oder kurz nach der Geburt sterben.

Sebastian zögert nicht lange: Er möchte ein solches Foto seiner Tochter. Noch während bei Hannah die Geburt eingeleitet wird, löst er über die Homepage Alarm aus. Eine viertel Stunde später erhält er einen Anruf von DSK, nach weiteren 30 Minuten meldet sich Birgit Walther-Lüers bei ihm. Sie wird seine Tochter fotografieren.

Zwischen ihnen habe sofort eine Verbindung bestanden, sagt Sebastian. Das ganze Wochenende hält er die Fotografin während der Einleitungsphase auf dem Laufenden. In der Nacht von Sonntag auf Montag dann kommt Lina zur Welt. Am Vormittag ist Walther-Lüers im Krankenhaus, um sie zu fotografieren.

Bedenken vor der emotionalen Herausforderung

Birgit Walther-Lüers ist seit fünf Jahren bei DSK, fotografiert in Karlsruhe und Bruchsal, aber auch Landau, Speyer, Mannheim oder Heidelberg. Als die Fotografin aus Rheinsheim das erste Mal von der Aktion las, konnte sie mit dem Begriff „Sternenkind“ zunächst nichts anfangen. Sie war überzeugt, dass sie eine solche Arbeit emotional nicht verkraften würde.

Doch der Gedanke ließ Walther-Lüers nicht los und so meldete sie sich als ehrenamtliche Fotografin. Nach rund drei Wochen der erste Einsatz. Danach war für sie klar: „Ich kann das und ich will das.“

Die Frage, die einen im Vorfeld beschäftigt, ist niemals der Anblick eines toten Kindes, sondern die Emotionen der Eltern.
Birgit Walther-Lüers, Sternenkind-Fotografin

Beim Alarm bricht für eine Familie gerade die Welt zusammen

Seit damals hat Walther-Lüers rund 30 Einsätze übernommen. „Die Frage, die einen im Vorfeld beschäftigt, ist niemals der Anblick eines toten Kindes, sondern die Emotionen der Eltern“, erklärt sie.

Jedes Mal, wenn der Alarm auf ihrem Handy losgeht, sei sie sich bewusst, dass für eine Familie gerade die Welt zusammengebrochen ist. Dabei spielt es keine Rolle, wann oder woran das Kind gestorben ist. „Als Frau wird man nicht erst Mama, wenn das Kind geboren wird, sondern in dem Moment, in dem man erfährt, dass man schwanger ist“, sagt Birgit Walther-Lüers. Sie selbst hat zwei Kinder und sechs Stiefkinder.

Bilder sollen nicht dokumentieren, sondern erinnern

Auch wenn manche Babys aussähen, als ob sie nur schliefen, laufe das Shooting nicht wie ein normales Neugeborenen-Shooting ab, betont Walther-Lüers. Es sei nicht ihr Bestreben, die Kinder schlafend darzustellen, sagt sie. Die Bilder sollen die Kinder zeigen, wie sie sind, ohne dokumentarisch zu wirken.

Eventuelle Hautbeschädigungen, die bei der Geburt entstehen können, versucht sie mit einem Tuch oder einer anderen Perspektive zu kaschieren. Kam das Kind mit einer Fehlbildung, beispielsweise mit einer Gaumenspalte, zur Welt, könne es für die Eltern aber wichtig sein, diese auf den Bildern zu sehen. Detailaufnahmen von Händchen oder Füßchen seien in der Regel immer möglich.

Wie viele Bilder Walther-Lüers bei einem Einsatz macht, hängt von den Eltern ab. Dabei sein müssen die nicht. Die Eltern könnten immer sagen, wenn sie eine Pause brauchen oder das Shooting beenden wollen, betont die Fotografin.

Eltern können ihre Kinder kennenlernen

Hannah und Sebastian waren zu Beginn etwas befangen. Tatsächlich war es Birgit Walther-Lüers, die als erste an das Körbchen mit Lina herantrat. Ihre Mutter war anfangs unsicher, wollte nichts falsch machen oder Lina „wehtun“. Mithilfe der Fotografin konnten die Eltern ihre Tochter kennenlernen. Walther-Lüers habe sich dabei vollkommen im Hintergrund gehalten.

Als Fotograf ist man einer der wenigen Menschen, die dieses Kind gesehen, kennengelernt und wahrgenommen haben.
Birgit Walther-Lüers, Sternenkind-Fotografin

Ein solcher Moment ist mehr als intim, weiß die Fotografin. Sie ist dankbar für das Vertrauen, das ihr fremde Eltern entgegenbringen. „Als Fotograf ist man einer der wenigen Menschen, die dieses Kind gesehen, kennengelernt und wahrgenommen haben.“ Dass da auch mal bei ihr Tränen fließen, sei vollkommen normal.

Für die meisten Eltern sind die Bilder der Sternenkind-Fotografen die einzigen, die sie von ihren Kindern haben. Eine dauerhafte Erinnerung. Etwas, das sie küssen und streicheln können, auch wenn ihr eigenes Kind längst nicht mehr da ist.

Manche Aufnahmen werden gehütet wie ein Schatz

Walther-Lüers ärgert sich, wenn Eltern nicht über dieses Angebot informiert werden. „Nachholen kann man es nicht mehr“, betont sie. Auch wenn die Aufnahmen nach der Übergabe für Jahre im Schrank verschwinden – den Eltern könne sie keiner mehr nehmen.

Im Endeffekt ist auf den Bildern ein totes Kind. Das kann nicht jeder ertragen.
Hannah D., Mutter von Lina

Die Bilder ihrer Tochter hängen bei Hannah und Sebastian in der Wohnung. Einige Aufnahmen – etwa von Linas Gesichtchen – sind nicht für fremde Augen bestimmt. Die hüten die Eltern wie einen Schatz. „Im Endeffekt ist auf den Bildern ein totes Kind“, so Hannah. „Das kann nicht jeder ertragen.“

Die Aktion „Dein Sternenkind“ wurde 2013 vom freien Fotografen Kai Gebel ins Leben gerufen. Hobby- und Berufsfotografen fertigen für Eltern Bilder ihrer Kinder an, die tot zur Welt kommen, kurz nach der Geburt sterben oder bei denen lebensverlängernde Maßnahmen eingestellt werden.

Bundesweit sind über 600 Fotografen im Einsatz. Seit ihrer Gründung hat die Aktion nach eigenen Angaben über 8.000 Kinder fotografiert, allein 2019 wurden die Fotografen zu rund 2.900 Einsätzen gerufen. Die Dienstleistung ist für Eltern kostenlos, die Aktion finanziert sich allein über Spenden. Die Auslagen für ihre Einsätze tragen die Fotografen in den meisten Fällen selbst.

Die Reaktionszeit vom Alarm bis zur ersten Kontaktaufnahme liege dabei bei wenigen Minuten, sagt „Dein Sternenkind“-Sprecher Oliver Wendlandt. Aufgrund der Besuchsbeschränkungen in den Krankenhäusern durch Corona musste „Dein Sternenkind“ den aktiven Dienst vorerst einstellen. Eltern können selbstgeschossene Bilder zur Bearbeitung einreichen.

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