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Als die Franzosen kamen

Bis zur letzten Patrone? Wie der Zweite Weltkrieg in Karlsruhe endete

"Wenn’s nur bald zu Ende wäre...“. Der Satz stammt aus einem Brief, den ein Karlsruher in der Endphase des Zweiten Weltkriegs an seine Tochter geschrieben hat. Tatsächlich war der Krieg längst verloren, doch die Deutschen sollten „bis zur letzten Patrone“ sollten die Deutschen kämpfen.

In Karlsruhe ging am 4. April 1945 der Krieg zu Ende. „Und dennoch: Wir kapitulieren nicht“ stand auf der Wand eines Hauses in der Kaiserstraße. Der MG-Schütze im Fenster war allerdings ein Franzose.
In Karlsruhe ging am 4. April 1945 der Krieg zu Ende. „Und dennoch: Wir kapitulieren nicht“ stand auf der Wand eines Hauses in der Kaiserstraße. Der MG-Schütze im Fenster war allerdings ein Franzose. Foto: Foto: Stadtarchiv Karlsruhe / 8/ Alben 072 / 001

„Wenn’s nur bald zu Ende wäre...“. Der Satz, der wie in Stoßseufzer in der Corona-Krise anmutet, stammt aus einem 75 Jahre alten Brief. Ein Karlsruher hat ihn in der Endphase des Zweiten Weltkriegs an seine Tochter geschrieben. Komplett lautet der Satz: „Wenn’s nur bald zu Ende wäre, damit nicht noch weitere sinnlose Opfer gebracht werden müssen.“ Tatsächlich war der Krieg längst verloren, aber ein Aufgeben in der Diktion des Nazi-Regimes nicht vorgesehen.

„Bis zur letzten Patrone“ sollten die Deutschen kämpfen. „Ehrlosen“, die die weiße Fahne hissten, drohte die Todesstrafe. Trotzdem stießen die französischen Truppen nur auf geringen Widerstand, als sie Karlsruhe am 4. April 1945 besetzten. Für die Stadt waren damit der Krieg und die NS-Herrschaft vorbei, nicht aber Not und Angst.

„Gott sei Dank, dass Du jetzt nicht hier bist! Es ist sehr, sehr ungemütlich hier“, schrieb Eugen Sturm Ende März 1945 an seine Tochter Gusta. Die hatte als Lehrerin in Achern gearbeitet bis zur kriegsbedingten Schließung des dortigen Mädchen-Internats. Die Eltern rieten der schwangeren Frau davon ab, nach Karlsruhe zurückzukehren. Doch sie sandten ihr fast täglich Briefe, in denen sie die Situation in Karlsruhe schilderten. Diese Zeitzeugnisse befinden sich heute im Besitz unserer Leserin Barbara Harthill, der Enkelin des Ehepaares Sturm.

Nicht die Amerikaner - die Franzosen kommen

„Wann werden die Anglo-Amerikaner hier sein? Vielleicht schon an Ostern oder noch früher“, mutmaßte Eugen Sturm. Nachdem US-Truppen Mannheim und Heidelberg besetzt hatten, rechnete man in Karlsruhe damit, es ebenfalls bald mit den Amerikanern zu tun zu bekommen. Doch Frankreich lieferte sich in den letzten Kriegswochen einen regelrechten „Wettlauf“ mit den anderen Siegermächten. Mit Blick auf den Zuschnitt der künftigen Besatzungszonen wollte es sich möglichst viele „Faustpfänder“ verschaffen. Am 31. März überschritten französische Truppen bei Philippsburg und Speyer den Rhein.

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April 1945: Französische Panzer überqueren den Karlsruher Marktplatz. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe / 8 / Alben 072 / 186

Diesen Tag, den Karsamstag des Jahres 1945, verbrachten die Karlsruher überwiegend im Keller, denn von 6.30 bis 19 Uhr herrschte ununterbrochen Luftalarm. Doch nicht alle Explosionen gingen aufs Konto der feindlichen Artillerie. Pioniere der Wehrmacht sprengten die Autobahnbrücke bei Wolfartsweier. Gemäß Hitlers „Nerobefehl“ sollten den Alliierten keine unzerstörten Infrastruktur- und Industrieanlagen in die Hände fallen.

„Alle Behörden hauen ab“

Am Abend des Ostersonntags erfuhr Liesel Sturm, dass „der Feind schon Graben besetzt“ habe. An ihre Tochter schrieb sie: „Die Lage bei uns ist sehr, sehr kritisch. Alle Behörden hauen ab, Akten werden auf der Straße verbrannt. Überall ist befestigt, man rechnet stündlich mit dem Herannahen des Feindes... Wir hoffen nur, dass Karlsruhe übergeben wird und nicht beschossen. Aber die (gemeint waren die Verteidiger der Stadt) haben ja keine Munition mehr.“

Das letzte Aufgebot, das den „Heimatboden“ verteidigen sollte, war der Volkssturm. Für diesen hatte die Kreisleitung der NSDAP alle „waffenfähige“ Männer zwischen 16 und 60 Jahren, die nicht an der Front standen oder in kriegswichtigen Betrieben arbeiteten, rekrutiert. Die Ausrüstung dieser Leute sei allerdings völlig unzulänglich gewesen, erläuterte der verstorbene BNN-Redakteur Josef Werner in seinem Buch „Karlsruhe 1945“. Der für die Verteidigung der Stadt zuständige Offizier habe den Kampfwert dieser Einheiten schlicht mit „Null“ bezeichnet.

In diesem Krieg soll es keine unverwundeten Gefangenen geben

Trotzdem lautete der Befehl, die zur „Festung“ erklärte Stadt „mit allen Mitteln“ zu halten. „Wie die Front, so kennt auch die abwehrbereite Heimat keinen unverwundeten Gefangenen, sondern nur Überläufer und Deserteure“, warnte in ihrer letzten in Karlsruhe gedruckten Ausgabe am 3. April die Nazi-Zeitung „Der Führer“. Jedermann wusste: Auf das, was die Nationalsozialisten „Feigheit“ und „Ehrvergessenheit“ nannten, stand die Todesstrafe.

Bereits am 1. April hatten meist aus Kolonialsoldaten bestehende französische Truppen Bruchsal besetzt. Neureut und Knielingen waren seit 3. April in französischer Hand. Doch noch immer gab es in Karlsruhe Leute, die sich berufen fühlten, das ihre zum „Endsieg“ beizutragen.

In der Nacht durchkämmten sie Lazarette und öffentliche Schutzräume, um „Drückeberger“ und „Fahnenflüchtige“ ausfindig zu machen. Im Luftschutzkeller beim Landgericht soll ein Hausmeister vor den Augen von Frauen und Kindern die Pistole gezogen haben, um mutmaßliche Volkssturmmänner an „ihre Pflicht“ zu erinnern. Empörte Frauen setzten jedoch durch, dass zumindest alte Männer bleiben durften.

Die Wehrmacht zieht sich zurück

Die militärische Führung hatte Karlsruhe bereits aufgegeben. Angesichts des schnellen Vorrückens der Franzosen bestand die Gefahr der Einkesselung der Berliner „Bärendivision“, die mit schwachen Kräften die Rheinfront halten sollte, erläutert Archivdirektor Ernst Otto Bräunche in „Karlsruhe. Die Stadtgeschichte“.

Ernst Linke, Oberstleutnant im Generalstab, hielt auch wegen des Munitionsmangels und der desolaten Versorgungslage den Rückzug an den Schwarzwaldrand „für dringend erforderlich“. Und der Kampfkommandant von Karlsruhe, der erst seit wenigen Tagen im Amt war, machte keine Anstalten, die Verteidigung der Stadt durchzusetzen.

So stießen die französischen Truppen, als sie ins Zentrum Karlsruhes vordrangen, nur auf den geringen Widerstand von Nachhuten der Wehrmacht sowie von Angehörigen der Polizei, des Volkssturms und der Hitler-Jugend. Zwar waren die Straßen durch Barrikaden versperrt, für die die zerstörten Häuser reichlich Material geliefert hatten, und auch umgeworfene Straßenbahnen bildeten Hindernisse. Doch die Gefechte – an der Kunsthalle etwa oder am Rondellplatz – dauerten meist nur wenige Minuten. Elf Karlsruher starben dabei. Unter ihnen war ein 15-jähriger Junge. Er hatte am Mühlburger Tor versucht, „den Feind“ mit einer Panzerfaust zu stoppen.

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Das letzte Aufgebot zur Verteidigung des „Heimatbodens“: Gefangen genommene Volkssturmmänner werden nach der Besetzung Karlsruhes abgeführt. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe 8 / Alben 072 / 088

Kampfkommandant vor dem Standgericht

Für Karlsruhe war der Krieg vorbei – doch für den Kampfkommandanten, der die Stadt nicht verteidigt hatte, gab es ein gefährliches Nachspiel. Er musste sich am 5. April vor einem bei Wilferdingen tagenden Standgericht verantworten. Zu einer Verurteilung kam es jedoch nicht – unter anderem, weil sich keine vorgesetzte Dienststelle die Zeit genommen hatte, den Kampfkommandanten zu vereidigen.

Die Nazi-Zeitung „Der Führer“, die nach der Besetzung Karlsruhes noch einige Tage in Pforzheim gedruckt wurde, ließ allerdings weiter keinen Zweifel daran, worin das „Schicksal aller Verräter“ bestehen müsse. Sie meldete: „Der Bürgermeister von Linkenheim, nördlich Karlsruhes, hatte, als der Feind nahte, eine Gemeinderatssitzung einberufen, um eine Abstimmung darüber herbeizuführen, ob die Gemeinde kampflos übergeben und die weiße Fahne gehisst werden sollte. Den ehr- und pflichtvergessenen Bürgermeister hat die gerechte Strafe getroffen: Er wurde erschossen.“

Karlsruhes Schicksal soll Hass schüren

Noch immer wurde die Bevölkerung mit Durchhalte-Parolen bombardiert. Mit Schilderungen von „Schandtaten“, die „die Horden de Gaulles“ in Karlsruhe begingen, wollte das NS-Blatt den den Menschen alle Hoffnung nehmen, dass es ihnen nach dem Krieg besser gehen könnte. In der besetzten Stadt herrsche Terror und Hunger. Plünderungen und Ausschreitungen gegen Frauen seien an der Tagesordnung.

„Die Karlsruher Ereignisse werden im ganzen Land starken Widerhall in den Herzen finden und dazu beitragen, den Hass und den Willen zum äußersten Widerstand gegen den Feind, wo er noch auftreten sollte, zu schüren“, hieß es im „Führer“.

„Ein Volk so ins Elend zu treiben“

„Ach Kind, wie furchtbar ist so ein verlorener Krieg!“, klagte auch Liesel Sturm, die die Besetzung Karlsruhes in einem Luftschutzkeller erlebt hatte. In einem Brief, der am 6. Mai an ihre Tochter abging, erzählte auch sie von „Herzeleid“ und „Vergewaltigungen von Mädchen bis zur 60-jährigen Frau“. Doch zog sie andere Schlüsse aus den Geschehnissen: „Wie war es ein Wahnsinn von der Führung, weiter zu machen, da man schon vor zwei Jahren sah, dass nichts mehr zu machen ist! Ein Volk in so ein Elend zu treiben!“. Nun habe man am eigenen Leibe erfahren, was es heißt: „Der Feind ist im Lande!“

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