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AfD streut Zweifel

KIT-Experte kritisiert Briefwahl und sorgt sich um mangelnde Transparenz

In den USA hat Donald Trump vor seiner Abwahl immer wieder versucht, die Briefwahl in Verruf zu bringen – ohne Beweise zu erbringen. Diesen Weg schlägt jetzt die AfD ein. Doch auch einige unabhängige Experten sind mit der Briefwahl nicht zufrieden.

Populärer denn je: Seit 1957 ist der Anteil der Briefwähler in Deutschland von knapp 5 auf fast 29 Prozent bei der vergangenen Bundestagswahl gestiegen. Dieses Mal könnten es wegen der Pandemie noch mehr werden.
Populärer denn je: Seit 1957 ist der Anteil der Briefwähler in Deutschland von knapp 5 auf fast 29 Prozent bei der vergangenen Bundestagswahl gestiegen. Dieses Mal könnten es wegen der Pandemie noch mehr werden. Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Sie fallen auf, die roten Briefe. Die Farbe signalisiert der Post und den Behörden, dass in dem Umschlagen wichtige Unterlagen sind, die zuverlässig und pünktlich zugestellt werden müssen.

Die Entscheidung über den neuen Bundestag wird häufig schon jetzt, dreieinhalb Wochen vor dem Wahltermin, getroffen. Es wird erwartet, dass der Anteil der Briefwahlstimmen auf Rekordhöhe steigt. Allerdings beobachten einige Forscher diesen Prozess mit Unbehagen.

Als IT-Fachmann ist Jörn Müller-Quade international bekannt. Der Kryptografie-Experte am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hatte mit seinem Team früher das preisgekrönte elektronische Wahlverfahren Bingo Voting entwickelt, das den Nachweis einer absolut korrekten Stimmzählung liefern soll.

Prozess der Briefwahl für den Bürger nicht transparent

Er träumt von der Möglichkeit der Online-Wahl in Deutschland. Doch das ist, wie Müller-Quade zugibt, noch Zukunftsmusik.

Sie hat nicht das gleiche Sicherheitsniveau wie die Präsenzwahl.
Jörn Müller-Quade, IT-Experte am KIT

Momentan beschäftigt ihn der Gedanke, wie man die Schwachstellen der analogen Briefwahl beseitigen könnte. „Sie hat nicht das gleiche Sicherheitsniveau wie die Präsenzwahl“, sagt der Experte den BNN und widerspricht damit offen dem Bundeswahlleiter Georg Thiel. „Bei der Präsenzwahl geht der Wähler in ein Wahllokal und kann dort beliebig lange bleiben. Vielleicht kennt er die Wahlhelfer, man hat ein gewachsenes Vertrauen in diese Prozesse.“

Dagegen wüssten viele Menschen nicht genau, wie eine Briefwahl funktioniert, führt Müller-Quade weiter aus. So sei es nicht breit bekannt, dass man bei ihrer Auszählung dabei sein könne. Ein zweites Problem sei der Postweg: Der Wähler könne nicht absolut sicher sein, dass seine Unterlagen ankommen.

Sein Fazit: „Solange dieser Prozess nicht sehr transparent ist und nicht mehr Leute freiwillig darüber wachen, scheinen mir Manipulationen möglich zu sein, die unter Umständen nicht entdeckt werden.“

Betrug bei der Briefwahl ist ein Riesenthema in den USA

Die angebliche Betrugsanfälligkeit von Briefwahlen war ein Riesenthema bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen in den USA. Der damalige Präsident Donald Trump hatte vor seiner Abwahl oft davor gewarnt, dass die Abstimmung per Post gefälscht werden könnte, um den Demokraten zu helfen.

Indizien dafür, geschweige denn Beweise, lieferte Trump den Wählern nicht. In Deutschland sind bislang zwei Manipulationsversuche von Briefwahlen bekannt, beide auf Kommunalniveau – 2014 in Stendal und 2016 in Quakenbrück. Sie wurden aufgedeckt und bestraft.

Derzeit bemüht sich besonders die AfD, die Briefwahl zum Bundestag zu diskreditieren. Unter dem Slogan „Steck ihn selber rein!“ wirbt die Partei mit einem Flyer und auf Facebook bei den Wählern im Osten für eine persönliche Stimmabgabe. Auf seiner Webseite nannte der AfD-Landesverband NRW die Briefwahl „unorganisiert, manipulierbar, intransparent und unsicher“. Ähnlich äußerte sich die Spitzenkandidatin der Partei, Alice Weidel, am Wochenende bei einem Wahlforum in Baden-Württemberg.

AfD schürt Misstrauen in die Briefwahl

Ein Grund, warum die AfD in die Fußstapfen Trumps tritt, ist, dass die Briefwahl ihr wohl am wenigsten nützt: Ihre Anhänger gelten als weniger politikaffin als die Unterstützer anderer Parteien. Zudem entscheiden sie sich eher kurzfristig. „Unsere Leute sind keine Briefwähler“, räumte auch Weidel am Wochenende ein und warb dafür, das Kreuz auf dem Wahlzettel spät zu machen.

Unsere Leute sind keine Briefwähler.
Alice Weidel, AfD-Spitzenkandidatin

Dass seine Argumente jetzt der AfD nützen könnten, scheint Jörn Müller-Quade nicht zu stören. „Trump konnte seine skurrilen Theorien verbreiten, weil die Prozesse nicht gut genug waren“, sagt der KIT-Fachmann.

„Wenn es ein Urvertrauen in die Briefwahl gegeben hätte, hätten die Amerikaner ihn ausgelacht. Das taten sie aber nicht. Ich sage, dass ich mit der Briefwahl nicht hundertprozentig zufrieden bin, eben damit AfD und Trump so nicht argumentieren können.“

KIT-Experte plädiert für öffentliche Diskussion über die Briefwahl

Müller-Quade plädiert für Aufklärung, Transparenz und eine öffentliche Diskussion über die Briefwahl, die mehr Vertrauen schaffen soll. Dabei scheinen jedoch im Moment viele Wähler die Bedenken nicht zu teilen und dieser Wahlmethode gegenüber sehr aufgeschlossen zu sein. Bei der Bundestagswahl 2017 lag der Anteil der Briefwähler bei 28,6 Prozent. Laut einer Umfrage aus dem Juli könnten es diesmal 38 Prozent werden, die Post bereitet sich sogar auf mehr als 60 Prozent vor.

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