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Impfen ab 60?

Verwirrung bei Über-60-Jährigen: Der eine kriegt die Corona-Impfung, der andere nicht

Die Gesundheitsminister der 16 Länder haben vor Ostern beschlossen, dass sich auch Menschen ab Vollendung des 60. Lebensjahrs mit Astrazeneca impfen lassen können. In Baden-Württemberg gilt das offenbar nicht und bei den Menschen Ü60 ist die Verwirrung perfekt.

Mehrere Bundesländer ziehen aus den Kürzungen der Impfstofflieferungen durch den britisch-schwedischen Pharmakonzern Astrazeneca Konsequenzen.
Zu jung für die Impfung: Baden-Württemberg geht einen Sonderweg und verabreicht die Astrazeneca-Impfung nur an Menschen der Prioritätengruppe 1 (ab 70) und 2 (Heimbewohner oder Mitarbeiter). Foto: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa

Norbert Metzger hat seinen Humor wiedergefunden. Aber noch am Ostersonntag war dem 67-Jährigen aus Graben-Neudorf gar nicht nach Lachen zu Mute. Im Gegenteil: Stinksauer war er. Und wenn er seine Geschichte erzählt, versteht man auch, warum.

Die Nachricht vom Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz läuft am Abend des 30. März über alle Kanäle: In einer Videoschalte einigen sich die Gesundheitsminister der 16 Bundesländer darauf, den Astrazeneca-Impfstoff an alle Menschen freizugeben, die das 60. Lebensjahr vollendet haben.

„Prima“, denkt sich Norbert Metzger aus dem nördlichen Landkreis und setzt sich an den Rechner. Siehe da – tatsächlich erhält er über das Online-Impfportal des Landes prompt einen Termin für Ostersonntag (4. April), 13.30 Uhr.

Die Termine für die Corona-Impfungen waren schnell gebucht

Minuten später versucht er es gleich nochmal und kann sein Glück kaum fassen: Auch für seine 65-jährige Ehefrau Ingrid ergattert er ein Impfdate. Sie soll am selben Tag und nur zehn Minuten nach ihm drankommen.

Das Ehepaar Metzger freut sich also und stellt sich am Ostersonntag pünktlich beim Zentralen Impfzentrum (ZIZ) in der Messe Rheinstetten vor den Toren Karlsruhes an. Doch als die Metzgers an die Reihe kommen, um die Papiere prüfen und die letzten Formalitäten erledigen zu lassen, trifft sie die Aussage der Dame am Schalter wie ein Schlag ins Gesicht: „Sie können sich hier nicht impfen lassen. Sie sind zu jung“, eröffnet die Serviceangestellte dem verdatterten Paar.

Im Impfzentrum in Rheinstetten heißt es: Impfen erst ab 70

Wie jetzt? Zu jung? „Im ersten Moment dachte ich, das sei ein Witz“, berichtet Norbert Metzger. Ungläubig hakt er nach. „Aber warum haben wir denn dann überhaupt einen Termin bekommen?“, will er wissen. Die Dame am Schalter hat dazu keine Information. „Wir impfen erst Menschen ab 70“, lässt sie wissen. Ohne weitere Erklärungen und ungeimpft müssen die Metzgers wieder nach Hause fahren. „Und da waren wir nicht die Einzigen“, sagt der Graben-Neudorfer.

Stefan Mortsiefer hat mehr Glück. Genau wie die Metzgers bemüht sich der 63-jährige Karlsruher kurz vor dem langen Osterwochenende noch um einen Impftermin. Am Karsamstag stellt er sich, wie bestellt, am Kreisimpfzentrum in der Karlsruher Schwarzwaldhalle vor.

Ich kam ohne Probleme dran und war wenige Minuten später geimpft.
Stefan Mortsiefer, 63-Jähriger aus Karlsruhe

Dann geht alles ruckzuck: „Ich kam ohne Probleme dran und war wenige Minuten später geimpft“, berichtet er zufrieden. Hat er vielleicht eine Vorerkrankung oder einen anderen Grund, der ihn für die Impfung priorisiert? „Nein“, sagt Mortsiefer. „Ich habe meine Terminbescheinigung gezeigt und meinen Personalausweis – das war’s.“

ZIZ impft nicht, aber das Kreisimpfzentrum in Karlsruhe schon

Am ZIZ in Rheinstetten werden Menschen jenseits der 60 also nicht geimpft, aber am Kreisimpfzentrum in der Karlsruher Innenstadt schon. Wie kann das sein? Auf Nachfrage beim Sozialministerium in Stuttgart nimmt man das Karlsruher Impf-Roulette mit Bedauern zur Kenntnis.

Aber Sprecher Pascal Murmann verweist sogleich auf eine Pressemitteilung vom 31. März. Die verkündet: „Baden-Württemberg folgt der Empfehlung der Ständigen Impfkommission: Danach kommt der Impfstoff von Astrazeneca ab 31. März 2021 bei Impfberechtigten von über 60 Jahren zum Einsatz sowie als Angebot für Jüngere.“

Also darf man sich als 61-Jähriger generell impfen lassen? Oder gilt das nur für Impfberechtigte von über 60? Wer weiter liest, wird nicht deutlich schlauer: „Der Impfstoff kommt zum Einsatz bei Personen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben“, heißt es weiter. Erst dann kommt die entscheidende Abzweigung: „Den Ländern steht es frei, bereits jetzt auch die 60-69-Jährigen für diesen Impfstoff mit in ihre Impfkampagne einzubeziehen.“

Corona-Impfungen für Über-60-Jährige: Die Lage ist missverständlich

Für Norbert Metzger ist damit klar: Er und seine Frau können sich impfen lassen. Dass ihm das Impfportal erlaubt, überhaupt einen Termin zu vereinbaren, sieht er als weiteren Beweis für seine These. Einen Grund, weiter zu forschen, gibt es für ihn nicht.

Vermutlich hätte aber auch das nicht viel geholfen. Denn weiter unten auf der Seite, unter der Überschrift „Was heißt das für Baden-Württemberg konkret?“ wird es nur noch verwirrender. Da heißt es: „In Baden-Württemberg ist der größte Teil der derzeit Impfberechtigten über 60 Jahre alt. Sie sind also nicht von der Einschränkung betroffen, die Impfung der hochpriorisierten Gruppen geht also weiter. Den Jüngeren wird ein Angebot gemacht, das heißt ab morgen (1. April) werden Personen mit Astrazeneca geimpft, die das 60. Lebensjahr vollendet haben oder jüngere Personen, die dies gemeinsam mit dem impfenden Arzt nach ärztlichem Ermessen und bei individueller Risikoanalyse nach sorgfältiger Aufklärung entschieden haben.“

Für die Behörden scheint die Information eindeutig

Für Menschen, die im Umgang mit behördendeutschen Formulierungen Erfahrung haben, scheint die Faktenlage eindeutig. Auch beim Landratsamt Karlsruhe wird die Botschaft klar verstanden – wenngleich überraschenderweise anders als man denkt. „Wenn man alleine das Lebensalter zu Grunde legt, ist momentan der Personenkreis ab Vollendung des 70. Lebensjahres und älter angesprochen“, erklärt Matthias Krüger aus dem Büro des Landrats.

Anders als in anderen Bundesländern seien in Baden-Württemberg auch weiterhin ausschließlich Menschen aus der ersten und der zweiten Priorität impfberechtigt. Das sind laut der Internetseite impfen-bw.de: Personen, die das 70. Lebensjahr vollendet haben und Personen, die in stationären und teilstationären Einrichtungen zur Behandlung, Betreuung oder Pflege älterer oder pflegebedürftiger Menschen behandelt, betreut oder gepflegt werden oder tätig sind.

Und wer informiert die Mitarbeiter in den Impfzentren?

Das erklärt, warum Norbert und Ingrid Metzger beim ZIZ abgewiesen wurden. Es erklärt aber nicht, warum Stefan Mortsiefer den Piks bekam. Kann es sein, dass die Kommunikation zwischen Verwaltung und Servicekräften am Schalter ein wenig zu wünschen übrig lässt? Wer ist überhaupt für die Information der Menschen zuständig, die den Kundenkontakt haben?

Beim Corona-Team der Stadt Karlsruhe ist man derzeit noch dabei zu recherchieren, wer die Informationen weitergibt. Das Staatsministerium dagegen verspricht schon mal: „Die Mitarbeitenden der Impfzentren wurden schon letzte Woche informiert. Wir nehmen den Hinweis aber gerne noch einmal auf, um auf unserer Website einen prominenteren Absatz dazu zu platzieren.“

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