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Experten sind skeptisch

Corona-Pandemie stellt bisherige Stadtplanung in Frage

Die Corona-Pandemie erschwert vor allem das Leben der Menschen in den großen Städten. Um den Flächenfraß zu stoppen und wegen der schlimmen Wohnungsnot sind die Städte in den vergangenen Jahren zum Teil hemmungslos nachverdichtet worden. Das wird bei Infektionskrankheiten zum Problem. Die BNN sprachen mit Experten.

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Metropole: Was macht die Pandemie mit Städten wie Paris? Foto: N/A

Die Stadt könnte nach Corona völlig anders aussehen. Das Credo der Stadtplaner lautete bisher: Nachverdichtung, fast um jeden Preis. In Zeiten der Pandemie werden die öffentlichen Räume in den verdichteten Großstädten knapp, die notwendigen Sicherheitsabstände können oft nicht eingehalten werden.

Warnungen vor Spaziergängen in der Corona-Krise nicht nur in Mega-Citys

In Mega-Citys wie New York oder Paris ist das Problem für Menschen auf dem Weg zum Einkaufen, zur Arbeit oder beim Sport drastischer als in kleineren Großstädten wie Karlsruhe. Aber selbst in Mittelstädten wie Baden-Baden hat Oberbürgermeisterin Margret Mergen die Bürger über das Osterfest aufgefordert, die beliebte Lichtentaler Allee zu meiden. Wegen des erwarteten Gedränges wäre die Ansteckungsgefahr zu groß.

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In Baden-Baden warnte OB Margret Mergen über Ostern vor dem Besuch der Lichtentaler Allee. Foto: Ulrich Coenen

Kaum länger als ein Jahr ist es her, dass die Bundesstiftung Baukultur ein Handbuch mit dem Titel „Besser Bauen in der Mitte“ veröffentlicht hat. Es geht speziell um die Innenentwicklung der Städte und Gemeinden, die bisher aus ökologischen Gründen Vorrang vor der Erschließung von Außenflächen hatte.

Bundesstiftung Baukultur klagt über Versuchung der grünen Wiese

Ein Kapitel trägt die Überschrift „Die Versuchung der grünen Wiese“. Weil die wertvolle Ressource Boden nicht vermehrbar ist, soll der galoppierende Flächenfraß gestoppt werden. Das industriereiche Oberrheintal zwischen Karlsruhe und Freiburg ist ein Paradebeispiel. Es sind nicht nur die ausgedehnten Neubaugebiete, sondern vor allem auch die Gewerbegebiete, die sich inzwischen seit mehreren Generationen immer weiter in die Landschaft ausdehnen und Naturraum zerstören.

Aus ökologischer Sicht erschien das bisher nicht akzeptabel, so dass die zum Teil üppigen Baulücken in den Städten und Gemeinden in den Fokus von Kommunalpolitikern und Stadtplanern rückten. In Bühl hat man sie gezählt. Es sind rund 700 mit einer Gesamtfläche von 35 Hektar, die bereits komplett mit Straßen, Kanal, Wasser und Elektrizität erschlossen sind.

Fred Gresenes fordert fünf Geschosse auf dem Dorf

Diese Baulücken wecken Begehrlichkeiten. Fred Gresens, Bezirksvorsitzender der Architektenkammer Südbaden und hauptberuflich Vorstandschef der Mittelbadischen Baugenossenschaft in Offenburg, forderte in einem Vortrag im vergangenen Jahr angesichts von 65.000 fehlenden Wohnungen in Baden-Württemberg eine massive Nachverdichtung. Fünfgeschossige Neubauten sollten auch auf dem Dorf kein Tabu sein. In Mittelstädten konnte sich Gresens auch sieben Geschosse vorstellen.

Ein Beispiel für Gresens ist Paris, die am dichtesten besiedelte Metropole Europas. Dort wohnen rund 20.000 Einwohner pro Quadratkilometer. Auf die typische badische Mittelstadt mit 30.000 Einwohnern übertragen, müssten in diesen Kommunen bei entsprechender Dichte rund 1,5 Millionen Menschen leben.

In Zeiten der Pandemie hat dies weitreichende Folgen: In Paris dürfen die Menschen in Zeiten des Coronavirus zum Sport erst ab 19 Uhr auf die Straße. In Madrid gehen die Bürger nach Generationen getrennt ins Freie, damit es nicht zu eng wird. Diese Entwicklung macht Experten skeptisch.

Wir haben in den vergangenen fünf Jahren extrem nachverdichtet.
Hubert Schurr, OB Bühl

„Wir haben in den vergangenen fünf Jahren auch in den Mittelstädten extrem nachverdichtet“, räumt der Bühler Oberbürgermeister Hubert Schnurr im Gespräch mit den BNN ein. Der Kommunalpolitiker ist als gelernter Stadtplaner und Regierungsbaumeister ein ausgewiesener Fachmann. Er glaubt nicht, dass es nach der überstandenen Pandemie weiter geht wie bisher. „Ich kann mir vorstellen, dass wir in Zukunft zwar weiterhin in die Höhe bauen, aber die Abstände zwischen den Neubauten vergrößern“, sagt Schnurr.

„Dadurch gewinnen wir nicht nur Freiraum, sondern verbessern auch das Stadtklima. Öffentliches Grün wird nach der Pandemie an Bedeutung gewinnen. Doch nicht nur die Kommunen, sondern auch der Bund und die Länder sind im Hinblick auf die Baugesetzgebung gefordert. Bei der Stadtplanung darf nicht mehr allein die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund stehen.“

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Frankfurt steht mit seinen Wolkenkratzern für eine in Deutschland einmalige Dichte. Foto: Ulrich Coenen

Kritik an der Nachverdichtung der Städte gab es auch schon vor der Pandemie, aber es war eine Minderheitsmeinung. Anwohner gingen in den Städten am Oberrhein bei neuen innerstädtischen Geschosswohnungsbauten mit schöner Regelmäßigkeit auf die Barrikaden. Sowohl in den Gemeinderäten als auch von den Verwaltungsgerichten wurde aber fast immer zu Gunsten der Investoren entschieden.

Grün wird reduziert

Skeptische Fachleute waren selten. Wolfgang W. Weisser, Professor für Terrestrische Ökologie an der Technischen Universität München, klagte beispielsweise in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung im vergangenen Jahr über den „Bauwahn“ in den Städten, dem „die letzten alten Bäume zum Opfer fallen“. Hastig hochgezogene Gebäude würden auf Flächen entstehen, die man bisher aus gutem Grunde nicht bebaut hätte. „Das Grün wird dabei dramatisch reduziert“, stellte er fest.

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Markus Neppl ist Professor für Stadtquartiersplanung am KIT. Foto: Ulrich Coenen

Die Stadtplanung nach der Pandemie könnte eine andere sein. Das Thema ist längst in der Fachwelt angekommen. „Die Situation ist komplett neu und das merken viele jetzt sehr schmerzlich“, meint Markus Neppl, Professor für Stadtquartiersplanung an der Fakultät für Architektur des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), gegenüber den BNN. Er sieht auf Politiker und Stadtplaner viele Fragen zukommen, auf die es bisher noch keine Antworten gibt.

„Alle Feste und Kulturveranstaltungen, die in den badischen Städten tief verwurzelt sind, fliegen aus dem Kalender“, stellt Neppl fest. „Weil der Einzelhandel ohnehin seit längerer Zeit Probleme hat, wird es nach der Pandemie schwierig werden, in den Innenstädten neues Lebens zu entfachen. Wenn das nicht gelingt, ist das eine Hypothek.“

Kommunen sind schlecht vorbereitet

Auch auf die Digitalisierung sieht Neppl die Kommunen schlecht vorbereitet. Die Einkaufsflächen seien jahrelang vermehrt worden. Das gesamte Karlsruher Verkehrssystem ziele beispielsweise nur darauf ab, die Menschen in die City zu bringen. „Wenn durch die Pandemie nun auch Gastronomie und Kulturszene Probleme bekommen, fehlt irgendwann die Identifikation der Menschen mit der Mitte“, befürchtet Neppl.

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