Einmal pro Woche wird Stefan Becker (Name von der Redaktion geändert) an die Maschine angeschlossen. In drei Stunden werden drei bis vier Liter seines Bluts gefiltert. Becker ist seit etwa eineinhalb Jahren auf die Dialysemaschine angewiesen. Er ist Risikopatient – die Angst vor Corona begleitet ihn täglich.
In einer Dialysepraxis in Karlsruhe sitzt er zur Blutwäsche zusammen mit sechs anderen Patienten in einem Raum. Nierenpatienten müssen sogar dreimal pro Woche kommen.
Kontakte vermeiden, sich isolieren – das ist für Dialysepatienten nicht möglich. „Ich kann schon mal ein paar Wochen aussetzen, aber es ist nicht gut für meine Gesundheit“, sagt Becker. Anders bei Nierenpatienten: „Bei denen ist das tödlich.“
Bei uns geht eine Infektion zu fünfzig Prozent nicht gut aus.Stefan Becker, Dialysepatient
Der Karlsruher leidet an einer seltenen Krankheit, einer Hyperlipidämie. Dabei ist im Blut unter anderem der Wert an Cholesterin, Triglyceride und der Lipoproteine erhöht. Beckers Herz ist durch die Krankheit stark angegriffen. Er hat mehrere Herzinfarkte hinter sich. Was hilft, ist die Dialyse, bei der in seinem Fall Lipoproteine ausgefiltert werden.
Seit einem Jahr versuchen sich Becker und seine Familie so gut es geht abzukapseln. Weil er in seinem Job kein Homeoffice machen durfte, hat der 60-jährige Akademiker inzwischen aufgehört zu arbeiten. Die Angst, sich mit Corona anzustecken, ist zu groß. Sie schwebe über ihm „wie ein Damoklesschwert“, beschreibt Becker.
Risiko einer Ansteckung mit Corona für Dialysepatienten ist hoch
„Wir gehen Woche für Woche in eine Dialysepraxis mit dem Wissen, dass im Nachbarraum ein positiv getesteter Mitpatient behandelt wird. Von den gleichen Ärzten und Pflegern“, sagt er. Oft würden Menschen bei Corona-Risikopatienten nur an sehr alte Menschen denken. „Bei uns geht eine Infektion zu fünfzig Prozent nicht gut aus“, sagt Becker. „Das ist keine tolle Aussicht.“ Ähnliche Prognosen gelten für Dialysepatienten mit Nierenerkrankungen.
Das Risiko bei den Betroffenen, auch bei den jüngeren Patienten, für einen schweren Verlauf der Erkrankung ist leider sehr hoch.Martin Hausberg, Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie
„Die Sorgen von Dialysepatienten, sich mit Covid-19 zu infizieren, sind berechtigt“, sagt Martin Hausberg, Klinikdirektor und Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie am Städtischen Klinikum Karlsruhe. „Das Risiko bei den Betroffenen, auch bei den jüngeren Patienten, für einen schweren Verlauf der Erkrankung ist leider sehr hoch“, sagt der Nierenspezialist.
Eine aktuelle Erhebung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) zeigt, dass die Sterblichkeit durch Covid-19 bei den Dialysepatienten in Deutschland bei etwa 30 Prozent liegt – „das ist mindestens so hoch wie bei Patienten mit Tumorerkrankungen.“
Im Städtischen Klinikum werden durch engmaschige Tests positiv auf Corona getestete Dialysepatienten laut Hausberg sehr schnell erkannt und isoliert behandelt. Auch das Dialysepersonal werde engmaschig getestet. Von den nicht infektiösen Dialysepatienten werden im Klinikum ein bis drei Patienten gleichzeitig in einem Raum behandelt.
Das sei allerdings nicht in allen Dialysepraxen möglich. „Oft müssen sechs und auch mehr Patienten in einem Raum gleichzeitig behandelt werden“, sagt Hausberg. Dabei würde, einer britischen Studie zufolge, ein Abstand von mindestens drei Metern die Übertragungsgefahr zwischen Patienten verringern.
Facharzt plädiert für mehr Tests
Der Facharzt plädiert für engmaschige Testungen. Häufig wären besonders Dialysepatienten asymptomatisch. „Im Sommer 2020 wurde durch administrative Vorgaben leider die Covid-Testung asymptomatischer Patienten in Deutschland begrenzt, was zu dem starken Anstieg der Infektionszahlen im Herbst 2020 beigetragen haben dürfte. In diesem Fall hat man an der falschen Stelle gespart.“
Geärgert hat Stefan Becker sich vor allem über die Einteilung beim Impfen. In der Anfang Februar vom Robert Koch-Institut veröffentlichten Impfreihenfolge tauchen beispielsweise Menschen mit Nierenerkrankungen erst an dritter Stelle auf.
Die DGfN hat mehrfach versucht, die Dialysepatienten in die erste Stufe der Impfreihenfolge zu bringen. Einen kleinen Erfolg konnte die Gesellschaft einfahren: Die Patienten sind von der dritten in der zweiten Stufe gelandet. Vor Mai dürften sie trotzdem nicht an der Reihe sein. Für Becker heißt es also erst mal weiter warten. „Ich bin mit meiner seltenen Erkrankung sowieso nochmal ein Sonderfall.“
Auch Hausberg kritisiert die Entscheidung: „Das ist nicht nachvollziehbar, warum die Patienten bei der Impfung nicht höher priorisiert werden“, so der Klinikdirektor. „Das ist bedauerlich.“