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Branche früh getroffen

Coronavirus bringt die Kreuzfahrt nach Jahren des Wachstums zum Stillstand

Schiffe unter Quarantäne, Tote und Kranke: Das Coronavirus trifft die Kreuzfahrt mit voller Wucht. Sämtliche Reisen sind über Wochen hinweg abgesagt. Wann die Ozeanliner wieder regulär fahren, ist ungewiss. Eine von Wachstum verwöhnte Branche steht still.

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Zwangspause: Die beiden Aida-Schiffe "Aida Aura"(links) und "Aida Cara" liegen derzeit am Hamburger Kreuzfahrt-Terminal Steinwerder. Foto: dpa

Einem Rekordjahr folgte das nächste. Die Kreuzfahrt hat in den vergangenen Jahren einen Boom erlebt wie kein anderer Zweig der Touristik. Doch nun bringt das Coronavirus die von Wachstum verwöhnte Branche zum Stillstand. Alle Kreuzfahrten sind über Wochen hinweg abgesagt. Wann die Schiffe wieder fahren, ist ungewiss.

Wie Perlen an einer Schnur aufgereiht liegen sie im Hafen von Miami. Die „Norwegian Bliss“, die „Sirena“, die „Azamara Pursuit“ und andere Kreuzfahrtschiffe. Gleichzeitig dümpeln Ozeanliner von MSC und Costa unweit der Küste im Meer. Eine Situation, wie es sie so noch nie gegeben hat: Das Coronavirus hat die Passagierschifffahrt zum Stillstand gebracht.

Sars-CoV-2 traf die Kreuzfahrt, als die Krankheit in Europa noch weit weg erschien. Japan stellte Anfang Februar die „Diamond Princess“ unter Quarantäne. Seither überschlagen sich die Nachrichten. Häfen verweigern das Einlaufen, Passagiere erkranken und sterben, Schiffe befinden sich wie auf Irrfahrt.

Die Pandemie setzt einer Industrie zu, die in den vergangenen Jahren ein rasantes Wachstum erlebt hat. Der weltgrößte Kreuzfahrtkonzern Carnival rechnet nun das erste Mal seit dem Börsengang 1987 mit Verlusten. Die Reederei nimmt einen Kredit von rund 2,7 Milliarden Euro auf. Und auch die Nummer zwei und drei, sprich Royal Caribbean Cruises und Norwegian Cruise Line, leihen sich Geld.

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Passagierzahl hatte sich in 25 Jahren versechsfacht

Kein anderer Zweig der Touristik hat sich innerhalb weniger Dekaden so verändert wie die Hochseekreuzfahrt. Der Boom schien kein Ende zu nehmen. Der Internationale Kreuzfahrtverband Clia zählte 2019 rund 30 Millionen Passagiere weltweit. Damit verbrachten sechsmal mehr Menschen ihren Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff als 25 Jahre zuvor.

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Auf hoher See in der Sonne aalen: Immer mehr Deutsche haben sich dafür begeistert. Foto: Hirschel

Zu dem Wachstum haben die Deutschen viel beigetragen. Noch Mitte der 1990er Jahre kam es nur einer Minderheit in den Sinn, eine Seereise zu buchen. „Das war etwas ganz Besonderes“, erinnert sich Fide Reiter, die schon damals in Gernsbach ein Reisebüro leitete.

Knapp 218.000 Bundesbürger entschieden sich 1995 für Ferien auf dem Wasser. 2009 waren es bereits mehr als eine Million. Und 2018 suchten rund 2,3 Millionen Deutsche die Erholung auf See. Deutschland war zeitweilig der zweitgrößte Hochseekreuzfahrtmarkt der Welt – bis das aufstrebende China den Platz hinter den USA streitig machte.

Ob die Bundesbürger auch ohne die „Aida Cara“ Geschmack an Kreuzfahrten gefunden hätten – vermutlich nicht. Das Schiff lief 1996 vom Stapel. „Und schlug ein wie eine Bombe“, sagt Reiter. Die Touristikerin nahm an der ersten Aida-Karibik-Kreuzfahrt teil und rieb sich wie viele andere auch die Augen.

Aida machte den Deutschen die Seereise schmackhaft

An Bord ging es locker zu, die Passagiere mussten sich nicht in Schale werfen und durften im Restaurant den Platz frei wählen. Die Aida-Väter, die Inhaber der Deutschen Seereederei, hatten die Kreuzfahrt in Deutschland von ihrem angestaubten Image befreit. Sie warben mit der ungezwungenen Atmosphäre auf dem damals ersten Clubschiff der Welt und machten Seereisen für ein breites Publikum erschwinglich.

Der Aida-Kussmund prangt heute am Bug von 14 Schiffen. Die Marke, die mittlerweile zum US-Konzern Carnival gehört, ist in Deutschland unangefochtener Platzhirsch. Von ihrem Erfolg aber haben auch andere Reedereien profitiert. Denn die einst als langweilig und elitär verrufene Reiseform war plötzlich in. Selbst Familien mit Kindern – und nicht länger nur Senioren – blätterten auf einmal in Kreuzfahrt-Katalogen.

Rund um den Globus wandten sich Seereisen-Anbieter nicht mehr nur an ihre klassische Klientel. Sie sprachen gezielt diejenigen an, die sich gerne am Meer in der Sonne aalen. Und denen es häufig egal ist, wohin es geht – Hauptsache Hotel und Wetter sind schön.

Schwimmende Luxushotels wurden zum Standard

Die Folge: Viele Reedereien ließen nicht mehr Schiffe bauen, deren alleiniger Zweck das bequeme Vorwärtskommen auf dem Wasser ist. Stattdessen schufen sie schwimmende Hotels, die den Resorts an Land in Nichts nachstehen sollten. Spezialitäten-Restaurants, Las-Vegas-Shows, Fitnesscenter und Wellnessbereiche wurden zur Selbstverständlichkeit.

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Einst eine Sensation: Die "Queen Mary 2" war eine Zeit lang das größte Kreuzfahrtschiff der Welt. Foto: Hirschel

Die Schiffe mutierten zu Riesen. Als die britische Reederei Cunard Anfang 2004 die „Queen Mary 2“ taufte, war das eine Sensation. Ein Ozeanliner mit 13 Decks und 345 Meter lang sowie 41 Meter breit – das hatte es bis dahin nicht gegeben. Bis zu 3.090 Passagiere gehen bei jeder Reise an Bord.

Die „Queen Mary 2“ wurde jedoch schnell vom Thron gestoßen. Das einst größte Kreuzfahrtschiff der Welt gilt heute keineswegs mehr als außergewöhnlich. Royal Caribbean Cruises holte ganze Kleinstädte aufs Meer.

Die Giganten in der Flotte der Reederei aus Miami sind anderthalbmal so groß wie das Cunard-Schiff. Die „Oasis of the Seas“ und ihre drei Schwesterschiffe ragen 16 bis 18 Decks in die Höhe, fast 7.000 Menschen können gemeinsam den Urlaub verbringen.

Immer größere Kreuzfahrt-Schiffe waren zuletzt der Trend

Andere zogen nach. Denn mit den Riesen lässt sich mehr Geld verdienen als mit kleinen Schiffen. So dachten auch die Planer bei Aida in immer größeren Dimensionen. Während die „Cara“ noch für knapp 1.200 Passagiere gebaut worden war, hat das jüngste Flottenmitglied, die „Nova“, Platz für rund 5.300 Gäste – und wenn in den Schulferien in den Kabinen die Schlafsofas für die Kinder ausgezogen werden, sind sogar bis zu 6.000 Urlauber an Bord.

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Immer großer: Auch die Schiffe von Aida, hier die "Prima", gleichen schwimmenden Hotels. Foto: Hirschel

Doch nicht nur in puncto Größe jagte ein Superlativ das nächste. Die erste Eislaufbahn auf See, die höchste Kletterwand, die längste Wasserrutsche – die Reedereien schauten bei Freizeitparks ab, um ihre Gäste bei Laune zu halten. Royal Caribbean Cruises gab dabei den Takt vor, bestückte Schiffe mit Shopping-Promenaden, in denen selbst Eisdielen und ein Karussell nicht fehlen. Und die Konkurrenz folgte. Ob nun Norwegian Cruise Line mit Hochseilgarten und Kartbahn oder Costa Crociere mit einem Rennwagen-Simulator.

Neue Mitspieler in der Kreuzfahrt-Branche

Die Nachfrage schnellte in recht kurzer Zeit so nach oben, dass immer mehr Unternehmen von dem Kuchen etwas abhaben wollten. TUI schloss sich 2008 mit Royal Caribbean Cruises zusammen. Die Partner kreierten ein eigenes Produkt für den deutschen Markt und siedelten es zwischen den Spaß-Schiffen und der klassischen Kreuzfahrt an. Mit Erfolg: Die „Mein Schiff“-Flotte besteht mittlerweile aus sieben Schiffen mit insgesamt knapp 18.000 Betten.

Wie sehr die Kreuzfahrt in den vergangenen Jahren ins öffentliche Bewusstsein eingedrungen ist, hat sich mit jedem Neubau gezeigt: Sobald ein Ozeanliner die Meyer-Werft in Papenburg verließ, richteten sich die Blicke auf den Schiffsbauer im deutsch-niederländischen Grenzgebiet.

Die Menschen sahen fasziniert zu, wie die riesigen Pötte auf der Ems zur Nordsee fuhren und es den Anschein hatte, dass sie im flachen Land über die Wiese kriechen. Jedes Schiff wurde als Ereignis gefeiert. Auch die Diskussion um den Klimawandel und die lauter werdende Kritik an den Reedereien, die Luft zu verpesten, hat daran bislang nicht geändert.

Volle Auftragsbücher bei den Werften vor Corona

Rund 260 Hochseeschiffe befahren laut Clia derzeit die Weltmeere. Weitere 20 sollen bis Ende des Jahres hinzukommen. Und auch für die Zeit danach sind die Auftragsbücher der Werften voll. Allein Marktführer Carnival hat für die neun Töchter 16 Schiffe bestellt. Sie sollen bis 2025 ausgeliefert werden. So lautet der Plan. Doch was macht die Corona-Pandemie aus diesem Vorhaben?

„Das Wachstum der Kreuzfahrt bleibt ungebrochen“, prognostiziert Adrian von Dörnberg. Der Professor an der Hochschule Heilbronn beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Touristik. Er ist überzeugt, dass die jetzige Krise Urlauber eines lehren werde: Schiffe könnten weiterfahren, wenn ein Staat die Grenzen schließt. „Auf See ist man relativ sicher vor Ereignissen, die an Land passieren.“

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