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Jahrelanger Streit

Darf er für seine Arbeitsweise ermahnt werden? Richter zieht vor den BGH

Richter Thomas Schulte-Kellinghaus will gründlich arbeiten und das kostet Zeit. Weil er weniger Fälle bearbeitet als seine Kollegen, wurde er 2011 von seiner Chefin ermahnt. Der Streit läuft seit Jahren und landet nun vor dem Bundesgerichtshof. Der Richter klagt auch das deutsche Justizsystem an.

Richter Thomas Schulte-Kellinghaus
Seit Jahren geht Richter Thomas Schulte-Kellinghaus gegen die Ermahnung seiner damaligen Chefin vor. Foto: dpa
Richter Thomas Schulte-Kellinghaus will gründlich arbeiten und das kostet Zeit. Weil er weniger Fälle bearbeitet als seine Kollegen, wurde er 2011 von seiner Chefin ermahnt. Der Streit läuft seit Jahren und landet nun vor dem Bundesgerichtshof. Der Richter klagt auch das deutsche Justizsystem an.

Lange war es ruhig um Thomas Schulte-Kellinghaus. Der Richter wird erst in den kommenden Tagen wieder in den Fokus von Kollegen, Medien und Gerichtspräsidenten rücken. Schulte-Kellinghaus wurde 2012 als Zivilrichter am Oberlandesgericht Karlsruhe von seiner Chefin ermahnt, mehr Fälle zu erledigen.

„So etwas hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben“, sagt er, spricht von Nötigung und einem Eingriff in seine richterliche Unabhängigkeit.

Sein Kampf wird noch länger dauern

Seit acht Jahren also kämpft er sich durch die Instanzen gegen diese Ermahnung. Es geht aus seiner Sicht um ihn, aber auch um die deutsche Justiz.

Die nächste Runde, die Verhandlung am 12. Mai am Bundesgerichtshof, dürfte nicht entscheidend sein. Der 65-Jährige rechnet damit, dass seine Revision abgewiesen wird – dann kommt er zu seinem eigentlichen Ziel. Verfassungsbeschwerde. Sein Kampf wird also noch länger dauern.

"Normalerweise bricht man da zusammen"

Sein Fall wühlt auch die Richterschaft auf. Manche Kollegen, verteilt in ganz Deutschland, stimmen ihm hinter vorgehaltener Hand zu, sagt Schulte-Kellinghaus. Doch es gibt auch viele Kritiker. Er ist mittlerweile am Freiburger Außensenat des OLG Karlsruhe tätig und klagt über Mobbing. „Normalerweise bricht man da zusammen“, sagt er.

Warum nimmt er diese Sache vor acht Jahren, was bei anderen Arbeitgebern so etwas wie eine Abmahnung wäre, nicht einfach hin? Warum reibt sich dieser Mann kurz vor dem Ruhestand so auf?

1.000 Seiten beim neuen Fall - er wird sie alle lesen

Schulte-Kellinghaus möchte das erklären. Ein verregneter Februar-Tag, ein Treffen in seinem Lieblings-Café in der Nähe des Freiburger Bahnhofs. Viel Zeit, möglichst wenig Emotionen.

Schulte-Kellinghaus kommt gerade vom Gericht. 1.000 Seiten hat er mit seinem neuen Fall auf den Tisch bekommen. Eine Woche wird er zum Einlesen brauchen, sagt er.

Dieser Fall trifft den Kern des Streits. Aus seiner Sicht arbeitet Schulte-Kellinghaus gründlich. Wer als Richter höhere Erledigungsquoten haben möchte, dürfe nicht alles lesen, müsse schnelle Vergleiche anstreben oder Verfahren an andere Instanzen verweisen.

Weniger Verfahren erledigt als ein Halbtagsrichter

Seine damalige Gerichtspräsidentin ließ feststellen, er habe im Jahr 2011 durchschnittlich weniger Verfahren erledigt als ein Halbtagsrichter. Von 2008 bis 2010 hat er demnach 68 Prozent so viele Fälle abgeschlossen wie seine Kollegen.

Dann kommt der Teil, mit dem Schulte-Kellinghaus bis heute nicht leben kann: „Ich ermahne Sie zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte.“ Vorgehalten wurde ihm die „ordnungswidrige Art der Ausführung der Amtsgeschäfte“.

Suche nach dem dünnsten Brett

Schulte-Kellinghaus spricht in seinem Stamm-Café lange darüber. Er wird nicht ausfallend emotional, er lacht eher an Stellen, an denen es aus seiner Sicht besonders absurd wird. Diesen Fall mit den 1.000 Seiten, Baurecht, hat das Landgericht wegen fehlender Formalitäten abgewiesen, deshalb liegt er nun bei ihm.

„Es ist die Suche nach dem dünnsten Brett.“

Vergewaltigung oder falsche Beschuldigung: Die Darstellungen des Geschehens vor Gericht weichen stark voneinander ab.
Vergewaltigung oder falsche Beschuldigung: Die Darstellungen des Geschehens vor Gericht weichen stark voneinander ab. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Es sei eindeutig, dass sich das Landgericht mit dem Fall beschäftigen müsse. Viele Richter würden danach suchen, welche Unterlagen sie nicht zulassen müssen. „90 Prozent der Richter verdrängen das Problem. Manche sagen auch ganz offen, dass sie nach Erleichterungen suchen.“

Früherer Jurist sieht eine Gefahr

Die Menschen würden aber erwarten, dass sich die Richter vollends einarbeiten. „Wenn mir etwas auffällt, muss ich dem nachgehen. Sonst begehe ich Rechtsbeugung.“ Richter hätten sich längst daran gewöhnt, nach Fallzahlen zu arbeiten. „Wir schaffen weg, was kommt. Zahlen stellt man über Gesetze.“

Wie Richter auf seine Fallzahlen kommen, sei ihnen überlassen, sagt ein früherer hochrangiger Jurist, und betont: „Alleine nach den bisherigen Berechnungen fehlen Richter in großer Zahl.“ Erledigungszahlen tauchten in Dienstzeugnissen auf. „Das birgt die Gefahr, dass Richter darauf achten, dass ihre Zahlen unauffällig sind oder sogar hervorstechen.“ Staatsanwaltschaften seien noch schlechter ausgestattet.

Auch Staatsanwaltschaften unter Druck

„Bestimmte Bereiche können nicht so bearbeitet werden, wie sie sollten.“ Delikte, die erst durch Ermittlungen auffallen – etwa Betäubungsmittel oder Cybercrime – werden auch als Holkriminalität bezeichnet.

„Da können Sie hinschauen oder wegschauen. Da kann man sich Freiheiten verschaffen, um schwerere Delikte zu verfolgen.“ Aus der Not heraus gebe es eine Mischkalkulation. „Das ist nicht der Anspruch, den das Gesetz an die Strafverfolgung hat.“

Alt und Alkoholiker? "Wäre es kein Problem gewesen"

Die Frage, ob Richter aufgrund ihrer Zahlen ermahnt werden dürfen, sieht Schulte-Kellinghaus im bisherigen Verfahren nicht behandelt. „Wenn ich gesagt hätte, ich bin alt, depressiv und Alkoholiker, wäre es kein Problem gewesen.“

Es sei seine Überzeugung, die für Ärger sorge. „Ich möchte die Aufgabe zu Ende führen“, sagt er. „Damit trage ich zum Rechtsstaat bei.“

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