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Scheibenhardt und Scheibenhard

Das ehemals geteilte Dorf in Pfalz und Elsass ist durch das Coronavirus wieder geteilt

Ein Dorf - zwei Nationalitäten. Das Flüsschen Lauter trennt seit dem Wiener Kongress 1815 das pfälzische Scheibenhardt vom elsässischen Scheibenhard. Seit 1993 gab es keine Grenze mehr. Langsam wuchs alles zusammen. Doch dann hat Corona das Dorf wieder geteilt.

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Höchstens einen Blick dürfen Scheibenhardter und Scheibenharder derzeit einander zuwerfen. Die Brücke, die das Dorf trennt, trennt gleichzeitig den französischen vom deutschen Teil. Foto: Kranich

Ein Dorf – zwei Nationalitäten. Das Flüsschen Lauter trennt das pfälzische Scheibenhardt vom elsässischen Scheibenhard. Seit 1993 gab es keine Grenze mehr. Langsam wuchs alles zusammen. Doch nun hat Corona das Dorf wieder geteilt.

Francis Joerger schämt sich. Manchmal – das gibt der elsässische Bürgermeister zerknirscht zu – da hat er sich die Grenze zurückgewünscht. „Nur für einen Tag und nur damit die Dorfjugend mal sieht, was das überhaupt bedeutet: eine Grenze.“ Jetzt ist sie wieder da. Als hätte eine böse Fee namens Corona Joergers geheimsten Wunsch über Nacht erfüllt. Ein hässliches rot-weißes Absperrgitter teilt den Ort wieder in zwei Teile. In „hüwwe“ und „drüwwe“. Ins pfälzische Scheibenhardt mit einem T am Ende und ins elsässische Scheibenhard ohne. Als hätte es Schengen nie gegeben.

Ein Plastik-Ungetüm teilt das Dorf in der Corona-Krise

Auf der kleinen Brücke über die Lauter steht das Plastik-Ungetüm. So lachhaft sieht es aus, dass viele das Durchfahrtsverbot in den ersten Tagen einfach ignorierten. Die Bundespolizei musste nachbessern. Ketten und Flatterbänder schließen jetzt die Lücken. Mehrmals am Tag kommt eine Streife vorbei.

Francis Joerger steht auf der französischen Seite und wünscht, er hätte das mit der Grenze nie gedacht. Seine Wut auf das hässliche Ding, das den Ort in der Mitte durchschneidet, ist grenzenlos. „Das ist ein Tragödie“, sagt er. Nach 30 Jahren als Ortschef will Joerger in diesem Jahr aufhören. Zur jüngsten Wahl ist er nicht mehr angetreten. Dass er jetzt unter solchen Umständen aus dem Amt scheidet, wurmt den strammen Sozialisten.

Die Arbeit als Ortsschultes war oft zäh. Ob mit Franzosen oder Deutschen – in punkto Bürokratie schenken sich Behörden nichts. Aber ab und an klappte doch was. Dann wurden Ideen verwirklicht. Vereinskooperationen, ein gemeinsames, zweisprachiges Dorfblättle und ein gemeinsamer Neujahrsempfang. Nichts Weltbewegendes. Trotzdem gab es vorher ganze Berge zu versetzen.

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Treffpunkt Grenze: Karl Heinz Benz ist Ortschaftsrat für die SPD in Scheibenhardt, Francis Joerger ist Bürgermeister vom französischen Teil. Foto: Kranich Foto: None

Das deutsch-französische Brückenfest ist das Highlight

Auf das deutsch-französische Brückenfest sind die „Scheiweda“ besonders stolz. Dieses Jahr hätte es zum 25. Mal stattfinden sollen. Es ist bereits abgesagt und bei der Neuauflage 2021 will Joerger keine Sonntagsreden mehr über Europa hören. „Gräben, die wir seit 25 Jahren mühsam zuschütten, sind über Nacht wieder aufgerissen worden“, sagt er und rüttelt kraftlos an der billigen Plastikkette.

Die Stimmung ist schlecht. Miserabel.

In Scheibenhardt mit T ist von der anderen Seite Karl Heinz Benz zur Grenze gekommen. Normalerweise würden die beiden Männer sich umarmen.

Benz, der seit 40 Jahren in Scheibenhardt zu Hause ist, ist über die Grenze ebenso erzürnt, wie sein Freund, der Bürgermeister. Auch er sieht die deutsch-französische Freundschaft in Not. Die Geschichten von schikanösen Grenzkontrollen kennt er zur Genüge. Natürlich seien viele Übertreibungen dabei. „Aber die Stimmung ist schlecht“, sagt Benz. „Miserabel“.

Benz fällt es schwer, den Sinn hinter den Maßnahmen zu erkennen. „Wenn man es mit dem Schutz vor Corona wirklich ernst meint, dann müsste man die Grenze nach Baden-Württemberg dicht machen. Da gibt es viel mehr Infizierte.“ Die Schließung der Scheibenhardter Brücke jedenfalls gehe völlig an der Realität vorbei. „Hier leben Menschen“, sagt er fast beschwörend.

Ein Rennradler schlüpft unten durch

Wie zum Beweis kommt von deutscher Seite ein Rennradler in voller Montur auf die Grenze zugerast. Kurz vorher bremst er, steigt ab und mit einem höflichen „Bonjour“ zieht er ungerührt Plastikkette und Flatterband nach oben, um mitsamt dem Rad darunter durchzuschlüpfen. Elegant schwingt er sich in den Sattel zurück. „Bonne route“, ruft ihm der Bürgermeister grinsend hinterher. „Hier! Das ist normal“, sagt er und es klingt wie Lob.

Alle aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus im Überblick

Papa und Mama diesseits und jenseits der Grenze

Ganz so leicht kann es sich Anne Reisch-Cezar nicht machen. Nach der Trennung ist sie mit ihren drei Kindern 120 Meter die Ortsstraße hinunter gezogen. Die Kinder sollten ihren Vater immer sehen können.

Dumm nur, dass die neue Wohnung im französischen Teil liegt. Um zum Vater zu kommen, müssen Carol (12) und seine kleinen Schwestern Camille und Louane den Grenzübergang Bienwald benutzen. Hin und zurück ist Anne dann 50 Kilometer unterwegs. Begeistert ist Anne davon nicht. Wütend? „Nein“, sagt die junge Mutter. „Ich finde, man muss in dieser Sache auch mal über die eigenen Dorfgrenzen hinausdenken.“

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