Die Fünfjährige ist eine von denjenigen Kindern, die ihre Eltern eher als Bedarfs-Anlaufstelle denn als sicheren Hafen der Geborgenheit sehen. Wir wunderten uns daher wenig, als sie mit vier Jahren begann, bei Freunden zu übernachten. Kürzlich erwiderte eine dieser Freundinnen den Besuch. Wie dieser verlief, möchte ich zur Traumabewältigung protokollarisch festhalten:
15 Uhr: Der Besuch trifft ein. Noch während das gegenseitige Eltern-Briefing läuft, verschwinden die beiden kichernd im Zimmer.
15.30 Uhr: Die Mädchen spielen. Nur der Zweijährige ist erbost, weil er aus dem Zimmer verbannt wird.
15.35 Uhr: Die Mädchen streiten. Es geht darum, wer beim Eisköniginnen-Puzzle die Elsa legen darf und wer die Anna legen muss. Wir vermitteln.
15.40 Uhr: Der nächste Streit. Ein Mädchen will malen. Das andere Bügelperlen legen. Dass jede ihre Präferenz ausübt, scheint keine Option zu sein. Wir vermitteln.
15.45 Uhr: Es gibt Eis. Die Lage entspannt sich.
16.15 Uhr: Der dritte Streit. Es geht darum, wer mehr Spiele zu Hause hat.
16.30 Uhr: Wir beschließen rauszugehen. Auf dem Spielplatz streiten die Kinder um denselben Platz auf der Wippe. Wir vermitteln.
17 Uhr: Der fünfte Streit. Es geht um einen Sandeleimer. Wir vermitteln, weisen aber darauf hin, dass Fünfjährige für gewöhnlich nicht mehr um Sandeleimer streiten.
17.45 Uhr: Der sechste Streit. Wir verstehen nicht, worum es geht. Es ist uns auch egal. Wir gehen nach Hause.
18.30 Uhr: Es gibt Abendessen. Der Besuch wehrt sich gegen die Tomatenstücke in der Soße. Die Fünfjährige mag sie plötzlich auch nicht. Wir kratzen Soße von Nudeln. Der Zweijährige verlangt nach Avocado und Brot.
19.45 Uhr: Wir gratulieren uns dazu, vor 20 Uhr drei Kinder abgefüttert und bettfertig gemacht zu haben. „Jetzt noch ein Hörspiel, dann ist Schlafenszeit“, verkünde ich naiv.
19.46 Uhr: Der siebte Streit. Es geht darum, ob Benjamin Blümchen oder Bibi Blocksberg gehört wird. Ich entscheide auf Wickie.
20.25 Uhr: Wickie ist zu Ende. Wir hören die Mädchen Wikinger spielen.
20.47 Uhr: Wir entdecken, dass die Mädchen die Bettwäsche abgezogen haben. „Für Segel“, erklären sie.
20.55 Uhr: Die Mädchen stehen in der Küche. „Wir haben Hunger“, verkünden sie. Nach kurzer Diskussion und dem Hinweis aufs erneute Zähneputzen machen wir zwei Käsebrote. Beide nehmen den Käse wieder runter und essen nur Brot mit Butter.
21.09 Uhr: Sie spielen Familie.
21.14 Uhr: Sie spielen Postamt.
21.21 Uhr: Sie spielen Zahnfee.
21.33 Uhr: Sie spielen Kinderolympiade. Matratzen-Weitsprung. Wir ermahnen.
21.51 Uhr: Nach langer Zeit der Stille entdecken wir, dass sie Kinderbibliothek spielen. Das Bett ist mit allen Büchern der Fünfjährigen bedeckt. Wir räumen auf und ermahnen.
21.57 Uhr: Wir schleichen ums Zimmer. „Wir schlafen noch immer nicht!“ ruft uns eine zu. Wir ermahnen und trinken Wein.
22.23 Uhr: Die Mädchen stehen im Wohnzimmer. „Wann geht ihr schlafen?“ fragen sie. „Warum?“, fragen wir erschöpft. „Wenn ihr schlaft, kochen wir nochmal Nudeln und bleiben die ganze Nacht wach!“
22.41Uhr: Ich lege mich auf den Boden neben dem Bett der Kinder. Wir schlafen alle drei innerhalb von Sekunden ein.