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Anonym, allein, mächtig

Der Herr der Sterne: Ein Test-Esser des Guide Michelin spricht über seinen Job

Die Inspektoren des Guide Michelin entscheiden darüber, ob ein Restaurant ein Stern bekommt. Ein Inspektor spricht über seine Arbeit.

Ralf Flinkenflügel ist Direktor des Guide Michelin, aber auch Testesser – als solcher muss er unerkannt bleiben.
Ralf Flinkenflügel ist Direktor des Guide Michelin, aber auch Testesser – als solcher muss er unerkannt bleiben. Foto: Michelin

Die Inspektoren des Guide Michelin entscheiden darüber, ob ein Restaurant einen Stern bekommt - oder nicht. Für die Köche geht es bei den Entscheidungen der anonymen Testesser um Umsatz, Ruf und manchmal auch die Zukunft. Ein Inspektor spricht über seine Arbeit.

Einmal wurde Ralf Flinkenflügel ertappt. Der Testesser lief an der Glasscheibe der Küche vorbei, der Koch winkte ihm freundlich zu – damit war die Bewertung praktisch gelaufen. „Anonymität ist bei uns sehr wichtig“, sagt der Direktor des Guide Michelin.

Flinkenflügel koordiniert die Testesser, auch Inspektoren genannt. Sie entscheiden, welche Restaurants einen Stern hinzu- oder auch aberkannt bekommen. Für die Köche sind das Entscheidungen über Umsatz, Ruf und manch einmal auch die Zukunft.

Flinkenflügel ist selbst als Testesser unterwegs und spricht mit den BNN er über das anonyme Leben und die große Verantwortung.

Einmal war der Ärger über den Service zu hoch

„Es ist ein spezieller Job mit langen Tagen – dafür muss man geboren sein.“ Drei Wochen lang testen die Inspektoren in einer bestimmten Region. Dazu gehören Mittag- und Abendessen. Dass es schlimmere Arbeitsbedingungen gibt, weiß Flinkenflügel. Mit Anfahrt und Berichtschreiben kommen aber einige Stunden zusammen, betont er. Manche Restaurants werden zweimal getestet, andere auch siebenmal.

Man muss Profi genug sein, um Emotionen rauszulassen.
Restaurant-Tester Ralf Flinkenflügel

Am Ende der Touren treffen sich die Inspektoren – früher in der Karlsruher Zentrale, nun in Frankfurt – und beraten. Ist eine Entscheidung nicht eindeutig, wird nochmal getestet.

Am Ende soll die Küchenleistung entscheiden – die Inspektoren wollen das Ambiente und den Service möglichst ausblenden. „Man muss Profi genug sein, um Emotionen rauszulassen“, sagt Flinkenflügel. Nur einmal ist es ihm zu weit gegangen: In einem Restaurant war der Koch sternewürdig, der Service aber dermaßen unfreundlich, dass Flinkenflügel keinen Stern vergab.

Schwierige Frage für den Guide Michelin: die Traube Tonbach

Wenn die Sterne am Dienstag veröffentlicht sind, kann sich der Direktor des Guide auf Anrufe einstellen. „Die Küchenchefs wollen wissen, woran es gehapert hat. Wir sagen ihnen aber nicht, was sie besser machen sollen.“

Intensiv wurde auch über die Traube Tonbach diskutiert, bis hin zur Unternehmensspitze in Frankreich. Das Restaurant Schwarzwaldstube hat drei Sterne, ist aber am Jahresanfang ausgebrannt. Kann es die Sterne behalten? Wie Michelin die schwierige Frage gelöst hat, möchte Flinkenflügel nicht verraten, er sagt aber: „Die Traube ist nicht irgendein Restaurant, sondern über Ländergrenzen hinaus bekannt.“

Auch die Testesser sind innerhalb der Branche keine Unbekannten. „Unsere Inspektoren waren alle in internationalen Top-Häusern aktiv“, sagt Flinkenflügel. Unter den ehemaligen Köchen habe einer auch selbst mal einen Stern gehabt – nun steht er auf der anderen Seite.

Natürlich gibt es für den Job auch viele Bewerbungen. „Man braucht eine Affinität zu guter Küche und guten Produkten“, sagt Flinkenflügel. Doch selten kommt es vor, dass ein neuer Inspektor bei Michelin angestellt wird – weil eben kaum einer geht.

5.000 Testessen hat Ralf Flinkenflügel in 27 Jahren absolviert

5.000 Testessen hat Flinkenflügel in 27 Jahren absolviert. Er ist den Job als Alleingänger gewohnt. Michelin bezahlt die Essen für seine Inspekteure – natürlich dürfen die aber kein Familienerlebnis daraus machen. Nur in Ausnahmefällen kommt es vor, dass zwei Inspekteure zusammen testen – um sich direkt auszutauschen oder um als Alleingänger keinen Verdacht zu erwecken.

„Ich habe noch kein Foto eines Inspektors im Internet gesehen“, sagt Flinkenflügel. Auch für seine Kollegen gilt es, die Anonymität zu wahren. Er selbst lehnt die vielen Einladungen zu öffentlichen Veranstaltungen ab – die Gefahr ist zu groß, dass Aufnahmen gemacht werden.

Während seine Kollegen schon für den Guide 2021 unterwegs sind, kümmert sich der Direktor um die Veröffentlichung am Dienstag: „Ich freue mich natürlich darauf. Dahinter steckt eine Menge Arbeit.“ Und zwischendurch wird Flinkenflügel auch mal wieder ganz privat ein Restaurant besuchen. „Meine Familie und Freunde sind beim Essengehen viel kritischer als ich.“

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