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Mediziner der "Körperwelten"

Der umstrittene Plastinator Gunther von Hagens wird 75 und denkt nicht ans Aufhören

Er ist umstritten, aber auch sehr erfolgreich: Der Mediziner Gunther von Hagens ist mit seiner Plastination berühmt geworden. Die Ursprünge liegen in Heidelberg, wo er heute noch teilweise tätig ist. An diesem Morgen um die Jahreswende ist Gunther von Hagens nicht in bester Verfassung.

Er ist umstritten, doch der Erfolg gibt Gunther von Hagens recht. Hier steht er 2018 vor dem Exponat „Rearing Horse and Rider“ bei der Eröffnung des „Körperwelten“-Museums in London.
Er ist umstritten, doch der Erfolg gibt Gunther von Hagens recht. Hier steht er 2018 vor dem Exponat „Rearing Horse and Rider“ bei der Eröffnung des „Körperwelten“-Museums in London. Foto: dpa/Archiv

An diesem Morgen um die Jahreswende ist Gunther von Hagens nicht in bester Verfassung. Die Sprache des Mediziners, die wegen seiner Parkinsonerkrankung schon undeutlich ist, ist noch weniger verständlich als sonst. Seine zweite Ehefrau Angelina Whalley und sein Sohn Rurik von Hagens (38) dolmetschen. „Ich habe drei Fehler gemacht“, sagt selbstironisch der schmale große Mann, der am kommenden Freitag 75 Jahre alt wird.

Seine Krankheit bremst den Wissenschaftler

„Ich habe zu lange familiäre Gemeinschaft geübt, zu wenig geschlafen und Kuchen gegessen.“ Von Hagens hielt bis vor wenigen Jahren Schlafen für Zeitverschwendung. Heute bremst die Krankheit den Wissenschaftler aus.

Doch der wegen seiner Ausstellungen von plastinierten Leichen umstrittene Anatom hat sich nicht in den Ruhestand verabschiedet; er feilt noch immer an der Plastination, einer Konservierungsmethode, die er hat patentieren lassen.

Sie basiert auf dem Austausch des Körperwassers durch Aceton und einem Entzug des Acetons mit anschließendem Zuführen in einer Vakuumkammer. Zuvor mussten sich die Studenten mit Wachsmodellen oder in Formaldehyd eingelegten Präparaten begnügen, um den menschlichen Körper zu erforschen.

Er tüftelt an neuen Kunststoffen und Techniken

Den Körper oder Teile davon auf diese Weise von innen zu stabilisieren und damit Muskeln, Knochen und innere Organe geruchlos und trocken für den Betrachter sichtbar zu machen, ist seine Lebensaufgabe.

Derzeit entwickelt von Hagens neue Kunststoffe, die bei hoher Stabilität selbst die winzigsten Gefäße im Detail zeigen. Dafür experimentiert er mit Schweinenieren und kehrt damit zu seinen Ursprüngen in Heidelberg zurück . Am Institut für Anatomie der dortigen Universität erfand er 1977 die Plastination. Sein erstes konserviertes Organ war damals eine Niere.

Aus diesen Anfängen entstanden Jahrzehnte später aufsehenerregende Ausstellungen, die „Körperwelten“ mit Ganzkörperplastinaten in unterschiedlichen Situationen, beim Schachspielen, Sport oder beim Sex.

Für manche überschreitet er damit eine rote Linie, andere können sich der merkwürdigen Ästhetik der Objekte und ihrem morbiden Charme nicht entziehen.

Millionen Menschen sahen die Ausstellungen

Bis heute haben nach Angaben der Veranstalter 50 Millionen Menschen die Wanderausstellungen und vier Dauerausstellungen besucht. Die öffentliche Zurschaustellung der menschlichen Präparate entspringt der Idee der „Demokratisierung der Anatomie“, wie von Hagens es nennt. „Tod und Anatomie waren lange ein Privileg etablierter Mediziner, die hinter verschlossenen Türen vor sich hinwerkelten.“ Von Hagens will Anatomie – also die Lehre vom Aufbau des Körpers und dessen Zergliederung für Forschungszwecke – für die Allgemeinheit zugänglich machen. Und ging damit so weit, dass er 2003 in London eine öffentliche Autopsie vornahm. Deren Dokumentation durfte in Deutschland nicht ausgestrahlt werden.

Der Mann mit dem Markenzeichen eines schwarzen Hutes sieht sich als gesundheitlicher Aufklärer. „Ich will mit meinen Plastinaten die Vergänglichkeit des Menschen zeigen und darüber informieren, wie man den Körper negativ oder positiv beeinflussen kann.“ Er stellt dann eine dunkle Raucherlunge einer hellen Nichtraucherlunge gegenüber. Von Hagens hat sich weder von Rechtsstreitigkeiten noch von Kirchenleuten und Politikern einschüchtern lassen.

Totenruhe umstritten

Die Kritik macht sich insbesondere an der Störung der Totenruhe fest – aus Sicht von Hagens’ ein nicht mehr zutreffendes Argument: „Die Totenruhe ist ein Begriff aus einer Zeit, als man nicht mit 100-prozentiger Sicherheit wusste, wann ein Körper tot ist. Mit der Totenruhe wollte man vermeiden, dass jemand lebendig begraben wird.“ Trotz oder gerade wegen der Diskussion über den Umgang mit Tod und Toten strömen die Menschen in die „Körperwelten“.

Wir haben eher zu viele als zu wenige Leichen im Keller.

Die erste Ausstellung 1995 in Tokio war ein Publikumsmagnet. Es kamen mehr als 450 000 Besucher in vier Monaten, eine Zahl, die alle Erwartungen sprengte. Die Mannheimer „Körperwelten“ besuchten 1997/98 in vier Monaten 780 000 Gäste.

Von Hagens pendelt zwischen Heidelberg, wo seine Frau die Ausstellungen organisiert, und dem brandenburgischen Guben. Im dortigen Plastinarium stellen 46 Mitarbeiter Plastinate vor allem für universitäre Zwecke her. Die massenweise Herstellung warf Fragen auf, ob es für alle Körperspenden auch zu Lebzeiten die Einwilligung zur Plastination gibt. Das bejaht das Paar und verweist auf die 19 000 Körperspender, die sich notariell hätten registrieren lassen. Von Hagens sagt: „Wir haben eher zu viele als zu wenige Leichen im Keller.“

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