Der Weg ist das Ziel – genauer gesagt: die Straße. Wer lebt dort, was können die Menschen dort besuchen, erledigen und erleben? Wer gab der Straße ihren Namen, und wie alt ist dieses Stück Stadt eigentlich? Kurzum: Was macht diesen Streifen Karlsruhe lebenswert? In der Serie „Straßen-Geschichten“ tauchen BNN-Redakteure ein in diese Lebensadern der Fächerstadt.
Ein ziemlich untypischer Neubau steht an der Nummer 1. Gegenüber, die Nummer 2, passt schon besser ins Bild der Bachstraße mit ihren repräsentativen Bürgerhäusern der Jahrhundertwende, von denen ganze 25 als Kulturdenkmale ausgewiesen sind. Eben wie die Nummer 2, erbaut 1901 vom Architektenteam Curjel und Moser. Gusseiserne Törchen in dicken Grundstücksmauern und Vorgärten mit Rosenstöcken und hohen Bäumen sieht man oft in diesem Abschnitt des Musikerviertels.
Die Ruhe weiß Norbert Rupp in der Hausnummer 15 zu schätzen. Er leitet seit 1979 das Waldstadt Kammerorchester, spielt Cembalo und Orgel. Der Kirchenmusiker organisiert auch die Grötzinger Musiktage mit, die in diesem Jahr einen Bach-Schwerpunkt haben, unter anderem mit Auszügen aus den Goldberg-Variationen.
„Am 11. Juli tritt sogar Gotthold Schwarz in Karlsruhe auf“, erzählt Krupp. Der Bariton-Sänger und Dirigent ist der 17. Nachfolger Bachs als Thomaskantor in Leipzig.
Doch zurück nach Karlsruhe: Das Waldstadt Kammerorchester probt regelmäßig in Krupps Wohnung, die er vor etwa 30 Jahren vom Maler Gerhard Sauter übernommen hat. „Dieses Zimmer war immer schon das Musikzimmer“, erzählt Krupp. Er ist nicht der einzige Musiker, der hier lebt, und auch Hochschulprofessoren, Rechtsanwälte oder Ärzte wohnen und arbeiten in dieser Gegend.
In der Nummer 19 lebte bis 1938 der jüdische Arzt Franz Lust, der die erste Kinderklinik Karlsruhes gründete (siehe Grafik). Das Ehepaar Lust veranstaltete Konzerte in seiner Wohnung und unterstützte bildende Künstler. „Werner Kornhas war einmal pro Woche zum Essen eingeladen, damit er über die Runden kam“, erzählt Eva Maria Lüttich, die schräg gegenüber wohnt und den Maler vieler Karlsruher Stadtansichten noch persönlich kannte.
An der Weststadtgrenze
Dort, wo die Händelstraße die Bachstraße quert, verläuft die Grenze zwischen Weststadt und Mühlburg. An dieser Demarkationslinie eilen täglich Rettungswagen entlang, um das nahe gelegene Städtische Klinikum zu erreichen.
An der Ecke steht ein weiteres Kulturdenkmal: Das 1908 im Jugendstil errichtete Wohnhaus zieren zwei markante Balkone, hohe Fenster und eine mit Art-Déco-Elementen und Tiffanyglas geschmückte Haustür. Im Inneren eine besondere Gemeinschaft: Softwareentwickler, eine Werbeagentur und das Vermieterpaar teilen sich ein gemeinsames Dach.
Haarwäsche mit dem Wassereimer
„Wir haben das Haus 1980 gekauft, in einem erbärmlich schlechten Zustand“, erzählt Doris Hermann-Böser. Das ehemalige Altenheim sei für diesen Zweck nicht mehr nutzbar gewesen. „Wir sind eingezogen ins unrenovierte Gebäude“, erzählt die Architektin. „Ich habe mir morgens mit einem Wassereimer die Haare gewaschen und bin dann nach Heidelberg zur Arbeit gefahren.“
Das alte Haus zu renovieren und umzubauen, sei ein Risiko gewesen und jahrelange Arbeit. „Aber wenn sich ein Architekt nicht herantraut, wer dann?“ Mit Bedauern weist sie auf andere, weiter westlich stehende Gebäude in der Bachstraße hin, die durch „dieses schreckliche Wärmedämmen“ viel Charme eingebüßt hätten.
Begehrter Wohnraum
„Wird da eine Wohnung frei?“, fragt Justyna ein paar Häuser weiter vom gegenüberliegenden Straßenrand herüber. „Wir brauchen nämlich was Größeres“, sagt die junge Mutter. Sie wohnt in einem der modernisierten Gebäude in einer Zweizimmerwohnung. „Wir würden gerne hier im Viertel bleiben. Es ist wie eine kleine Stadt mit eigenem Zentrum, auch hinten die Hildapromenade ist toll.“
Dem wie überall in Karlsruhe heiß begehrten Wohnraum ist in der Bachstraße schon so mancher der alten Hinterhöfe gewichen, in denen Handwerksbetriebe beheimatet waren. Ein paar gibt es aber noch, dort sitzen etwa Softwareunternehmen oder Designbüros, manchmal findet auch ein von Bewohnern privat organisierter Flohmarkt statt.
An der Kreuzung mit der Philippstraße treffen alt und neu, Hoch- und Subkultur zusammen. Da rollt schon mal ein Motorradfahrer in Kutte vorbei. Links ein Wettbüro, rechts hinter Magnolienbäumen der Brahmsplatz. Seit 1902 entstanden hier erste Häuser, 1926 die große Wohnanlage, mit der der heutige Brahmsplatz nach hinten abschließt. Diagonal läuft zudem die Brahmsstraße auf den Platz zu, auf dem das Kulturnetzwerk Mühlburg seit 2009 das allsommerliche Brahmsplatzfest mit viel Livemusik verschiedener Genres organisiert.
Schöner Tag!
Ebenfalls an dieser Kreuzung hat Anja ihr „Mühlburger Brezeleck“. Der kleine Bäckerladen bietet alles Lebensnotwendige: Brot und Croissants, quietschbunte Süßigkeiten für die Schüler, Schnitzelweckle für die in der Nachbarschaft arbeitenden Bauarbeiter sowie ein immer freundliches, breites Lächeln. „Die Namen kenne ich nicht alle, aber die Gesichter merkt man sich“, sagt Anja.
Manche Kunden bleiben etwas länger und verweilen an einem der kleinen Tische, die sie entlang der Fensterscheiben aufgestellt hat. So wie Elke. „Die Elke gehört zum Inventar“, sagt Anja. Sie komme jeden Tag und trinke ihren Tee, sagt die Frau mit blondierter Kurzhaarfrisur und Raucherstimme. „Wegen der Unterhaltung und der Gemütlichkeit“, fügt sie hinzu.
Seit fast 75 Jahren wohnt Elke in Mühlburg, etwas weiter hinten, jenseits der Hildapromenade. „Wenn sie mal einen Tag nicht kommt, müssen wir uns Gedanken machen“, sagt Anja. Und wie immer grüßt die Bäckerin zum Abschied mit den Worten: „Schöner Tag!“
Bier und Karaoke im „Mühles”
Der Wohn- und der Parkraum verdichten sich jetzt zunehmend. Für gewisse Herren der Schöpfung bietet die Nummer 46 einen Treffpunkt: Die Gay-Sauna Aquarium lädt Männer zum „Entspannen, Leute kennenlernen, Freunde treffen, Spaß haben“ ein – nur Frauen müssen draußen bleiben.
In den beiden Kneipen an der Ecke zur Gluckstraße dagegen ist jeder willkommen, der eine gewisse Nebeltoleranz mitbringt: Dort darf noch geraucht werden. Während es im kleinen Winzereck bei Pils und Korn eher ruhig zugeht, wird im Mühlburger Hof gerne feucht-fröhlich gefeiert. Zum Beispiel beim allwöchentlichen Karaokeabend, an dem lauthals „Qué será será“ durch die geöffneten hohen Bogenfenster des „Mühles“ auf die Bachstraße hinausgeschmettert wird.
Irgendwo weiter hinten muss eine Studenten-WG sein, denn da schallt des Öfteren am Wochenende Technomusik und Stimmengewirr nach draußen.
Atelier im Hinterhof
Eine meist ruhige Oase hat Susanne Ackermann im Hinterhof der Nummer 81 gefunden: Seit rund 18 Jahren radelt sie jeden Morgen von ihrer Wohnung aus die ganze Bachstraße entlang. Auf dem Weg versorgt sie sich mit Kaffee und Brezel bei Anja in der Bäckerei, bevor sie in ihrem Atelier mit viel Tageslicht in die Arbeit eintaucht. „Es ist mittlerweile schwierig, noch so was zu kriegen“, sagt die Malerin. Sie ist gerne hier: „Mühlburg hat ’was Familiäres, ähnlich wie die Südstadt.“
Am Ende der Bachstraße, die Nuitsstraße entlang, kommt eine Gruppe Jogginghosen tragender Teenies lachend daher. Aus einem Handy schallt laut ein moderner Schlager: „Ich zeig’ dir meinen Helikopter, denn Bugattis sind für Opfer“.
So unterschiedlich die Bewohner sind, in einem scheinen sie einig: In der Bachstraße, da ist Musik drin.