An der Basis herrscht Alarm. Der Volkssport Fußball ächzt. Das Ehrenamts-Dilemma belastet auch ihn. Die Aggression auf und neben den Plätzen erschwert die Schiedsrichter-Akquise. Mit der Serie „Notelf – die Sorgen der Amateure“ versucht sich diese Zeitung an einer Bestandsaufnahme in elf Teilen. Samstags im Zweiwochenrhythmus pfeifen wir immer ein neues Thema an.
Die Nummer sechs: Der Run auf die Nachwuchsleistungszentren.
Eines kehrte man mit dem Straßenfußball nicht aus: Den ewigen Traum kickender Kids. Alle wollen sie einmal Fußballprofi werden. Prestige, sozialer Aufstieg, Geld reichlich, jawohl. Es sind die grellen Versprechen des großen Spiels. Wer am Ende wenigstens in die Zweite Liga mit ihren satt fünfstelligen Monatssalären landet, hat den Jackpot geknackt.
Adrette Aussichten vernebeln Eltern begabter Bambinis die Sinne. Beratern sind sie Rohstoff ihrer Geschäftsmodelle. Längst machen Spekulanten Rechnungen mit Illusionen Zwölfjähriger. Ein Riesenmarkt. Der Kampf um die Besten setzt immer früher ein und kennt eigene Regeln, nicht immer nur faire.
KSC fischt im Becken nicht alleine
Was das mit den Sorgen der Amateure zu tun hat? Im Fußball hängt alles zusammen. Schwächelt die Basis, klemmt’s irgendwann in der Spitze. Fehlen dort die Erfolge, stockt der Nachschub an Nacheiferern. Dabei behauptet sich der organisierte Fußball recht stabil gegen andere Freizeitangebote. Doch früh verlieren Heimatclubs ihre Sternchen – und sehen diese meist nie wieder. Sei es, weil die Twens dem Fußball nach geplatztem Traum verloren gehen.
Sei es, weil sie ihre Veranlagung nach der Schule, neben Studium oder Job bei zahlfreudigen Amateuren monetarisieren wollen. Die Wahrheit bleibt: Nur ein Bruchteil der in den Leistungszentren ausgebildeten Talente schafft es bis in den Bezahlfußball. Die Konkurrenz ist gigantisch. Schon bei E-Jugend-Turnieren drängeln Späher. Längst fischt der Karlsruher SC im Nachwuchsbecken der Region nicht alleine. Um zu erfahren, wie alles zusammenhängt, lohnt der Abstecher in den Wildpark.
Die Mamas und die Papas
Wer im Schaukasten neben dem Eingang zum Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) die Aushänge liest, der erfährt neben den Spielterminen der U-Teams vieles mehr. Was es mit dem zehn Punkte umfassenden Verhaltenskodex für den Nachwuchs auf sich hat. Und dass es Gründe gibt, einen solchen auch für deren Eltern auszuhängen. So lernt man auch, dass der pädagogische Leiter seine Sprechstunden montagnachmittags anbietet und dass der Sportpsychologe Alexander Brink donnerstags zwischen 15 und 18 Uhr da ist.
Seine Erfahrungen hat Brink in einem kleinen Aufsatz nebst Bild hinterlassen. „Wenn auf Sportplätzen des Jugendfußballs Väter aufeinander losgehen, Mamas sich bei jeder Szene die Stimme aus dem Leib schreien und Kinder starr vor Angst auf dem Platz stehen, dann sind wir uns alle einig, dass etwas schiefläuft“, eröffnet Brink sein Plädoyer fürs besonnenere Miteinander. Die meisten Eltern seien vernünftig. Den Rat des Psychologen, die Väter und Mütter beim Training der Talentteams teilweise nicht an den Platz zu lassen, ist der Verein aber gefolgt. Das erzählt Nachwuchskoordinator Edmund Becker nun, in einem Besprechungsraum im ersten Stock des NLZs. Es ist eines von 55 seiner Art in Deutschland.
Heraus kommen aus deren Mitte, landauf landab bedauert, recht gleichförmige Gesellen. In Karlsruhe hängen auf den Gängen Bilder von Typen wie Oliver Kahn, Mehmet Scholl und Lars Stindl und von anderen hier Ausgebildeten, die es geschafft haben. Becker sagt jetzt „Jein“. „Jein“ auf die Frage, ob die Jungs heutzutage zu früh aus ihren Heimatclubs herausgerissen werden, zu früh eben beispielsweise zum KSC und in dessen NLZ wechseln. „Wenn wir einen Jungen nicht ansprechen, spricht ihn die TSG Hoffenheim an. Wenn er dann mal bei uns oder bei der TSG ist, kostet so ein 14 Jahre alter Spieler 25 000 Euro, wenn er vom einen in ein anderes NLZ wechselt. Diese Ausbildungsentschädigungen beginnen bei Zwölfjährigen.“
Becker wünscht sich Regeln vom DFB
Das alles vermittelt eine Idee davon, wie früh der Verdrängungswettbewerb einsetzt. Und die Nachfrage nach immer neuen Hoffnungsträgern regelt das Angebot. War ein Junior acht Jahre beim KSC und wechselt aus dessen U19 zu einem Bundesligisten, streicht der KSC 120 000 Euro ein. Der Heimatverein aber, bei dem alles begann, sieht keinen Euro – es sei denn, der Spieler unterschreibt später irgendwo einen Profivertrag
„Was die Amateurclubs betrifft“, sagt Pascal Huber, der organisatorische Leiter im NLZ, „gibt es keine klare Regelung. Immer mehr verlangen dann doch etwas und wollen die Spieler eventuell sperren, wenn nichts fließt“. Becker fände es an der Zeit, dass der DFB faire Regeln definiert: „Bei den Amateuren werden Basics gelegt, werden Schuhe gebunden. Dass die nicht partizipieren sollen am großen Kuchen, ist nicht zu verstehen. Das raubt der Basis nach und nach die Grundlage.“
Zweistufen-Modell: Perspektivtem und Talentteam
Zwei Stufen kennt die Nachwuchssichtung beim KSC. Da wäre der Grundlagenbereich für die Neun- bis Zwölfjährigen. „Die guten Jungs im Großraum, also im Radius von bis zu 50 Kilometern, bekommen wir schon hierher“, berichtet Becker. Vier freiberufliche Scouts seien im Einsatz. Zudem pflege man Partnerschaften zu sechs Vereinen. Es sind Beckers Heimatverein TSV Reichenbach, der SV Sinzheim, der 1. SV Mörsch, der VfB Eppingen, Phönix Bellheim und der FC Thun in der Schweiz.
Auch ein halbes Dutzend Talentsichtungstage veranstaltet der KSC jährlich. Manche Jungs landen dann erst mal im Perspektivteam. Das heißt, sie bleiben bei ihrem Verein und kommen einmal wöchentlich für eine Extraeinheit. Entwickelt sich ein Junge gut, holt man ihn ins Talentteam. Die Hochbegabten zu bekommen, ist das eine, sie zu halten, das andere. Die große Herausforderung komme bei den 13- bis 14-Jährigen. Dann, so Becker, kämen diese Angebote – von Bayern München, vom SC Freiburg, aus Hoffenheim und Mainz, vom VfB Stuttgart – das seien „die Player“.
Seinen 14 Jahre alten Mittelfeldspieler Vasco Walz wird der KSC an Borussia Dortmund verlieren. Ein Besuch beim Champions-League-Spiel, ein „Hallo“ vom Cheftrainer, ein Gang übers Trainingsgelände – wie sollte ein Eben-noch-Drittligist da einem Kicker und dessen Eltern noch attraktiv erscheinen? Schwierig.