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Kunsthalle Karlsruhe

Eine fruchtbare Hassliebe: Fotografie und Malerei im 19. Jahrhundert

Ein „Zauber-Kasten“ macht Furore: 1839 wurde die Daguerreotypie in Paris erstmals öffentlich vorgeführt. Mit dem neuen Medium der Fotografie verbanden sich Hoffnungen, Skepsis – und Existenzängste. Mancher Maler fürchtete um seinen Job. Was daraus wurde? Mit der wechselvollen Beziehung von Fotografie und Malerei - Licht und Leinwand - beschäftigt sich jetzt eine sehenswerte Ausstellung in der Kunsthalle Karlsruhe.

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Licht und Leinwand: Eine frühe Daguerrotypie-Kamera (1841/42) aus der Collection Hans Gummesbach ist mit weiterem Zubehör in der Ausstellung zu sehen. Foto: abw

Diese Erfindung hat eine Medienrevolution ausgelöst. Vor 180 Jahren wurde in Paris die Daguerreotypie erstmals öffentlich vorgestellt. Ganz ohne Pinsel und Stift, nur mittels Sonnenlicht und chemischer Prozesse bannte der Maler Louis Jacques Mandé Daguerre 1839 die Wirklichkeit auf eine versilberte Kupferplatte. Und dies mit einer nie zuvor erreichten Präzision. Der Naturforscher Alexander von Humboldt geriet ob des „Zaubers“ geradezu in Ekstase. Dass „Gegenstände sich in unnachahmlicher Weise (selbst) malen“, eröffnete aus Sicht des Wissenschaftlers ganz neue Möglichkeiten. Weniger begeistert waren Daguerres Kollegen aus der Kunstszene. Denn mancher Maler fragte sich bang, ob ihn die Fotografie womöglich seiner Existenzgrundlage berauben würde. Licht und Leinwand - musste da nicht etwas auf der Strecke bleiben? Und überhaupt: Was sollte man von einer Konkurrenz halten, die mit vermeintlich geringem Aufwand ein Motiv wiederzugeben vermochte? Mit allen Details, aber auch in all seiner schnöden Realität?

„Eine Fotografie kann kein Kunstwerk sein"

Für den Maler Hans Thoma, der im Jahr der Medienrevolution geboren wurde, war die Antwort klar. „Eine Fotografie kann kein Kunstwerk sein, wenn man nicht den Begriff dessen, was Kunst ist, vollständig verschiebt“, äußerte er noch 1896. Zwar sei die Fotografie eine „herrliche Erfindung“, welche die Naturkenntnis und das Wissen bereichere. Doch zwischen dem mechanischen Kopieren, das er den Fotografen zuschrieb, und künstlerischem Können sah Thoma einen unüberbrückbaren Unterschied. „Kein Maler kann mit der Fotografie rivalisieren, ohne am Wesen der Kunst zu sündigen", meinte der Mann, der drei Jahre später Direktor der Großherzoglichen Kunsthalle Karlsruhe wurde.

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Licht und Leinwand: Ein Selbstbildnis von Hans Thoma mit Amor und Tod aus dem Jahr 1875 zeigt den späteren Direktor der Kunsthalle Karlsruhe. Das Gemälde ist in der Ausstellung zu sehen. Foto: abw

Die Malerei in der Legitimationskrise

„Die Fotografie führte das alte Bildmedium in eine Legitimationskrise“, sagt Pia Müller-Tamm, die heutige Leiterin der Staatlichen Kunsthalle. Feindliche Abwehr und satirische Angriffe seien die Folge gewesen. Auch die Museen hätten sich nur langsam an das neue Medium angenähert. Ihr eigenes Haus hat keine Fotografien gesammelt. Und doch taucht die Kunsthalle Karlsruhe jetzt tief in die Geschichte des Lichtbildes ein. Und entfaltet die Genres der frühen Fotografie im Dialog mit der Malerei.

Wechselvolle Beziehung

Licht und Leinwand - so heißt die Schau, die bis 2. Juni 2019 von einer wechselvollen Beziehung zwischen Annäherung und Abgrenzung erzählt. Es ist die Geschichte einer fruchtbaren Hassliebe, die auf beiden Seiten neue Ausdrucksformen hervorbrachte. Dabei arbeitete so manches Malergenie gerne nach fotografischen Vorlagen. Aber zugeben mochten die meisten das nicht.

Andererseits wollten auch viele Fotografen mehr schaffen als "nur" ein präzises Abbild der Wirklichkeit. Die enorme Detailschärfe von Profi-Fotografien sollte unkünstlerisch sein? Die Impressionisten waren auf dem Vormarsch? Poetisch-malerische Effekte? Das konnten Fotografen auch! – Sie begannen im ausgehenden 19. Jahrhundert, mit der Unschärfe zu spielen. „Ausgerechnet durch die Aneignung malerischer Qualitäten behauptet sich die Fotografie als Kunstform und wird erstmals in Museen ausgestellt“, erzählt Leonie Beiersdorf.

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Licht und Leinwand: Leonie Beiersdorf hat die Ausstellung kuratiert. Foto: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Beiersdorf (Jahrgang 1980) ist die neue Kuratorin für Neuere Malerei und Plastik an der Kunsthalle Karlsruhe. Die Ausstellung „Licht und Leinwand“ ist ihr Kind. Sie hat die Schau schon an ihrer früheren Wirkungsstätte, dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, „geboren“ – dort wurde „Licht und Leinwand“ im Sommer 2018 mit großen Erfolg gezeigt.

Licht und Leinwand  - für Karlsruhe überarbeitet

In Karlsruhe präsentiert die Kunsthistorikerin aber keine bloße Konserve. Mit Unterstützung durch den Volontär Sebastian Borkhardt hat sie die Ausstellung an die Gegebenheiten vor Ort angepasst. So wurden 30 Gemälde des 19. Jahrhunderts aus der Karlsruher Sammlung integriert, zudem etliche lichtempfindliche Fotografien durch andere Werke von internationalen Leihgebern ersetzt. Beiersdorfs Ex-Chef Ulrich Großmann, der Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums, hat die überarbeitete Schau in den vergangenen Tagen unter die Lupe genommen. Er prophezeit: „Wenn es den Besuchern in Karlsruhe nur halb so viel Spaß macht, durch die Ausstellung zu laufen, wie mir – dann werden sie Schlange stehen.“

Eine Belichtungszeit bis zu 30 Minuten

Vergnüglich ist der Gang durch die Räume in der Tat – und bisweilen verblüffend. Denn wer weiß schon, dass noch im Herbst 1839 die Belichtungszeit für Daguerreotypen je nach Tageszeit und Witterung fünf bis 30 Minuten (!) betrug? Erst als es 1841 gelang, die Belichtungszeit auf einige Sekunden zu senken, konnte die Porträtfotografie sich als wichtigster Bereich des neuen Mediums etablieren. Trotzdem forderten steif wirkende Aufnahmen weiter den Spott der Karikaturisten heraus. Honoré Daumier etwa zeichnete Fotografen, die die Köpfe ihrer Modelle mit Schraubstöcken fixierten – es sollte ja nichts verwackeln.

Die Fotografie macht bislang Unsichtbares sichtbar

Andererseits brachten neue fotografische Verfahren auch manchen stolzen Künstler in Erklärungsnot. Pferdebilder etwa waren im 19. Jahrhundert beliebt – gerne zeigten Maler die Tiere im „gestreckten Galopp“. Doch dann entwickelte der Brite Eadweard Muybridge die Methode der Chronofotografie. Damit konnte er Bewegungsabläufe in Serienbildern dokumentieren. Und es erwies sich, dass die Maler bislang von völlig falschen anatomischen Vorstellungen ausgegangen waren. Wie sagte Hans Thoma? "Die Fotografie bereichert unsere Naturkenntnis...". Faszinierend ist, wie detailgenau eine Aufnahme von der Mondoberfläche ist, die die Brüder Paul und Prosper Henry schon um 1885 mit eigens gefertigten Objektiven anfertigten.

Jetzt bitte nicht bewegen...

Und die heute allgegenwärtigen „Selfies“? Die finden ihre Vorläufer auch bereits im 19. Jahrhundert. Ein „Photostudio anno 1850“ stellt in der Kunsthalle die einstigen Bedingungen bei Aufnahmen mit einer Plattenkamera nach. Immerhin 15 Sekunden müssen die Besucher still sitzen, wenn sie es ausprobieren – und ein scharfes Bild von sich haben möchten.

Brücke in die Gegenwart

Alles Schnee von gestern? Takashi Arai (geboren 1978) gehört zu den ganz wenigen Künstlern weltweit, die heute – wieder – auf die alte Methode der Daguerreotypie setzen. Seit 2016 schafft der Japaner damit eindringliche Porträts junger Menschen aus Städten mit einem nuklearen Trauma – aus Hiroshima und Fukushima. Seine Raum-Klang-Installation „Tomorrow’s History“ schlägt die Brücke vom 19. ins 21. Jahrhundert. Sie ist erstmals außerhalb Japans ausgestellt und ergänzend zu Licht und Leinwand exklusiv in der Karlsruher Kunsthalle zu sehen.

Licht und Leinwand. Fotografie und Malerei im 19. Jahrhundert: Sonderausstellung bis 2. Juni 2019 in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe . Hier kann man den Besuch vor- oder nachbereiten.

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