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Karawane der Tiere zieht weiter

Der lange Marsch der Elefanten in China: Auch Experten im Karlsruher Zoo rätseln

Die ganze Welt rätselt seit Wochen über eine Herde von chinesischen Elefanten, die sich auf eine 500 Kilometer lange Odyssee nach Norden gemacht hat. Auch der Karlsruher Zoodirektor und die Elefantenpflegerin verfolgen den Treck mit Interesse.

Eine Elefantenherde liegt am Boden und schläft.
Ein Nickerchen in Ehren: Eine umherwandernde Herde von 15 asiatischen Elefanten erregt derzeit nicht nur in China Aufsehen. Weltweit berichten große Medien über den schon mehr als ein Jahr dauernden Marsch. Foto: XinHua/dpa

Warum nur haben die grauen Kolosse vor knapp einem Jahr die subtropischen Wälder ihres Naturschutzgebietes im chinesischen Xishuangbanna an der Südwestgrenze zu Laos und Myanmar verlassen?

Mehr als 500 Kilometer hat die Elefantenherde schon zurückgelegt. Auf dem Weg haben die Tiere Felder verwüstet, Ernten geplündert, sind über Straßen durch Dörfer und Städte getrampelt.

Einige Hundert Zwischenfälle wurden gezählt. Die Schäden werden auf umgerechnet mehr als eine Million Euro beziffert.

Die Elefanten sind die Stars im chinesischen Internet

Trotzdem sind die „wahnsinnig süßen“ und „niedlichen“ Elefanten die Stars in sozialen Netzwerken. Drohnen filmen die Herde aus der Luft, wie sie mit ihren jungen Kälbern aneinander gekuschelt, aufgereiht zwischen Bäumen am Boden liegen und friedlich schlafen. Andere Filme zeigen, wie die erwachsenen Tiere ein Junges vor dem Ertrinken retten oder wie sie ihre Kälber mit der Kraft ihrer Rüssel aus einem tiefen Graben schubsen.

Chinas Medien informieren das Milliardenvolk täglich und schicken Eilmeldungen auf Handys: „Wilde Elefantenherde stoppt auf Weg nach Norden, während einsames Männchen zurückbleibt“, informiert das renommierte Wirtschaftsmagazin „Caixin“ mit einer schnellen Push-Nachricht, als wenn der Aktienhandel angehalten worden wäre.

Karlsruhe Zoodirektor Reinschmidt hat Züge von Elefanten schon live gesehen

Auch der Karlsruher Zoodirektor Matthias Reinschmidt und die Elefantenpflegerin Madeleine Häfner nehmen regelmäßig Anteil am Schicksal der 15 Tiere, die gemächlichen Schrittes unbeirrt und unaufhaltsam immer weiter durchs Reich der Mitte stapfen. „Das sind einmalige und beeindruckende Aufnahmen“, sagt die Elefanten-Expertin aus dem Zoo begeistert.

Wir können nur spekulieren, was der Grund für dieses Verhalten ist.
Matthias Reinschmidt, Karlsruher Zoodirektor

Dabei sind Elefantenwanderungen eigentlich nichts Ungewöhnliches. „In Afrika gibt es jährlich Elefantenzüge“, weiß der Biologe Reinschmidt, der selbst schon welche gesehen hat. Doch so lange und so weit wie die chinesische Truppe seien die Dickhäuter-Verbände selten unterwegs. „Wir können nur spekulieren, was der Grund für dieses Verhalten ist“, betont der Zoodirektor. Er vermutet, dass die Tiere schlicht und einfach auf der Suche nach einem neuen Lebensraum sind.

Der Platz für die Elefanten in China wird knapp

Der Platz für die grauen Kolosse wird nämlich selbst im großen China immer knapper. Reinschmidt hat die Zahlen im Kopf: „Im Jahr 1900 lebten auf der Erde noch zwölf Millionen Elefanten und eine Milliarde Menschen. Heute sind wir fast acht Milliarden Menschen und nur noch 350.000 Elefanten“, erklärt er eindrucksvoll den Wandel.

Appell: Die Landesregierung soll nach Ansicht des Karlsruher Zoodirektors Matthias Reinschmidt die Weichen dafür stellen, dass der Tiergarten wieder öffnen darf.
Der Karlsruher Zoodirektor Matthias Reinschmidt hat schon selbst Elefantenzüge gesehen. Foto: Timo Deible

Derzeit hält sich die Herde in der Nähe von Yimen, einem Kreis ziemlich genau in der Mitte der Volksrepublik, auf. „Dort haben die Tiere länger nach dem Männchen gerufen“, das 16 Kilometer entfernt sei, weiß Professor Chen Mingyong von der Universität Yunnan zu berichten. „Dann bewegte sich der einsame Elefant in Richtung der Gruppe.“ Dort wird er stark in der Unterzahl sein.

„Die Herden bestehen nämlich fast ausschließlich aus weiblichen Tieren, die miteinander verwandt sind“, erklärt Madeleine Häfner. Unter der Leitung einer Leitkuh ziehen Schwestern, Tanten, Mütter und Töchter im Treck voran. Die männlichen Tiere blieben in der Regel nur bis zur Geschlechtsreife bei der Truppe und setzten sich dann ab.

Sozialverhalten der Elefanten fasziniert Karlsruher Zoo-Experten

Matthias Reinschmidt und seine Kollegin Madeleine Häfner sind Elefanten-Fans. Genau wie die 140 Millionen Menschen, die der Truppe in den sozialen Medien folgen. Dass wir Menschen uns von den grauen Kolossen angezogen fühlen, habe wohl mit dem ausgeprägten Sozialverhalten der Tiere zu tun. „Sie kümmern sich um ihre Jungen und um ihre Alten. Sie sind rücksichtsvoll und hochintelligent“, sagt Häfner.

Wenn ein Mensch in eine solche Herde gerät, besteht Lebensgefahr.
Matthias Reinschmidt, Karlsruher Zoodirektor

Trotzdem betrachten die chinesischen Behörden, den Zug mit Vorsicht. Denn zuletzt drohte die Herde, in die Sieben-Millionen-Metropole Kunming einzufallen. „Wenn ein Mensch in eine solche Herde gerät, besteht Lebensgefahr“, weiß Reinschmidt. Noch scheint es den chinesischen Behörden allerdings gelungen sein, eine Begegnung zwischen Menschen und Tieren zu verhindern. Die örtliche Polizei sperrt Straßen ab und legt Lockfährten aus Lebensmitteln.

Schon wird im Internet gescherzt, dass sich die Elefanten wie einst die kommunistischen Revolutionäre in den 30er Jahren auf einen „langen Marsch“ gemacht hätten, um vielleicht an den großen Feiern zum 100. Geburtstag der Partei am 1. Juli in Peking teilzunehmen.

Ist die Leitkuh der Elefantenherde in China verwirrt?

Der dicht besiedelte Norden ist auf jeden Fall ein Irrweg. Also, ist die Leitkuh unerfahren oder verwirrt? Xie Can von Chinas Akademie der Wissenschaften, Experte für geomagnetische Felder, glaubt, dass etwas mit dem angeborenen Wandertrieb der Elefanten passiert sei. „Es könnte sein, dass ein Magnetsturm, ausgelöst durch ungewöhnliche Sonnenaktivität, den Instinkt ausgelöst hat“, wird er zitiert.

Die wandernde Elefantenherde weidet in einem Bezirk der Stadt Kunming im Südwesten der chinesischen Provinz Yunnan.
Die wandernde Elefantenherde weidet in einem Bezirk der Stadt Kunming im Südwesten der chinesischen Provinz Yunnan. Foto: Uncredited/Yunnan Forest Fire Brigade/AP/dpa

Wie so oft ist aber wohl eher der Mensch schuld. So sei das Naturreservat in Xishuangbanna um 40 Prozent geschrumpft, berichtet Professor Zhang Li von der Pädagogischen Universität in Peking. Landwirtschaft und Siedlungen verdrängen den Wald. Besserer Schutz der Elefanten - auch vor Wilderern - hat ihre Zahl in China aber von 180 in den 80er Jahren auf heute 300 steigen lassen.

Drohnen und Menschenaufläufe stressen die Elefanten

„Auf der einen Seite haben wir eine wachsende Population, auf der anderen verringert sich das passende Habitat“, schildert der Ökologie-Professor im TV-Interview das Dilemma. Der klassische Konflikt zwischen Artenschutz und der Entwicklung der ländlichen Wirtschaft ist auch für Matthias Reinschmidt der Schlüsselfaktor, warum die Elefanten aus ihrer Heimat auswandern. Deshalb dürfte es wohl auch sehr schwierig werden, die Elefanten zum Rückweg zu bewegen.

Die großen Tiere, die aggressiv werden können, wenn sie sich bedroht fühlen, werden ohnehin als gestresst beschrieben. Schon wegen des Rummels. Hunderte Schaulustige versammeln sich, wenn ihre Ankunft erwartet wird. Flugkörper mit Kameras kreisen über ihren Köpfen. Ein Krisenstab mit 300 Helfern verfolgt seit Wochen jeden Schritt. Informationen, wo die Tiere gerade genau sind, werden in Echtzeit an Dorfkomitees gegeben. Mit Lastern oder Müllwagen werden ihnen dann Straßen versperrt, um sie fernzuhalten.

Elefanten entfernen sich immer weiter von ihrer natürlichen Lebensweise

Die schlauen Elefanten haben längst gelernt, dass in der Landwirtschaft leichter gehaltvollere Nahrung zu finden ist als in den Wäldern ihres Reservats, wo sie meist nur kleine Pflanzen fressen, erklären Experten. Dorfbewohner locken sie daher mit tonnenweise Nahrung wie Zuckerrohr, Bananen, Mais und anderem Getreide weg von ihren Feldern und Siedlungen.

So finden die Tiere, die täglich 200 bis 300 Kilogramm futtern können, immer wieder ganz einfach Nahrung auf ihrer Wanderung - und entfernen sich damit noch weiter von ihrer natürlichen Lebensweise.

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