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Musiker und Handicaps

Behindertenbeauftragter des Landkreises Karlsruhe schreibt Buch über Rocker im Rollstuhl

Selbstbestimmung und Inklusion sind wichtige Themen für Menschen mit Behinderung. Der Behindertenbeauftragte des Landkreises Karlsruhe hat sie in einen amüsanten Roman gepackt, in dem es um Sex, Drugs und Rock’n’Roll, geht.

Der Behindertenbeauftragte des Landkreises Karlsruhe, Reimar Neumann, zeigt sein gerade neu erschienenes Buch mit dem Titel „Normal ist das aber nicht“.
Der Behindertenbeauftragte des Landkreises Kalsruhe, Reimar Neumann, hat eine liebenswerte Komödie zwischen Rollstuhlfahreralltag und Musikszene geschrieben. Foto: Rake Hora

Zehn Prozent der Menschen in Deutschland haben eine Behinderung. Gerade in Sachen Selbstbestimmung hat sich für sie in den vergangenen Jahren einiges getan. Aber nicht genug, findet der Behindertenbeauftragte des Landkreises Karlsruhe.

„Das Thema hat mehr Gewicht bekommen, aber es ist noch lange nicht da, wo es hin muss“, sagt Reimar Neumann. Seinen persönlichen Frust hat er sich von der Seele geschrieben. Dabei ist der Roman „Normal ist das aber nicht“ entstanden. Aber was ist schon normal? Amüsant konterkariert Neumann mit dem Titel, dass einfach alles normal ist. „Ich rede seit 40 Jahren nichts anderes“, erklärt er.

Kein erhobener Zeigefinger, sondern Unterhaltung wie in einer Telenovela

Wer jetzt eine aufklärerische Lektüre mit Sendungsbewusstsein und erhobenem Zeigefinger erwartet, liegt falsch. Das Buch ist zum einen ein simpler Unterhaltungsroman, der sich wie eine Schrift gewordene Telenovela liest, in der es um Sex, Drogen, Musik und Beziehungen geht.

Zum anderen werden auch Inklusionsthemen angesprochen, da zwei der Protagonisten, Mike und Nora, Rollstuhlfahrer sind. Am Rand der Handlung spielen auch ein Spastiker und eine blinde Frau eine Rolle. Dadurch entstehen Perspektiven, die der Leser nicht erwartet und auch nicht kennt, weil sich die Beschreibung von und Auseinandersetzung mit Handicaps von den üblichen Inklusions- und Behinderungsdarstellungen und Inszenierungen unterscheidet.

Mir war es wichtig, dass das Buch keine Betroffenheit auslöst.
Reimar Neumann, Autor

„Mir war es wichtig, dass das Buch keine Betroffenheit auslöst, sondern, dass man auch mal lachen oder schmunzeln kann“, erklärt Neumann. Tabus totschweigen, sind für ihn keine Option. „Bleibt ehrlich und bei der Sache“, ist seine Devise. Konkret geht es im Buch um Mike, der eine Sängerin für seine Band sucht und auch eine Partnerin über verschiedene Internetportale. Sein Assistent Heino ist ebenfalls auf der Suche. Jutta würde gerne Sängerin in der Band werden, kann aber nicht gut singen. Ihre beste Freundin Nora von der Krankenkasse, die auch im Internet auf Partnersuche ist, hilft ihr widerwillig dabei.

Die Wege von Mike und Nora kreuzen sich erst mal nur im Internet, dann aber nicht mehr, weil sie Stellvertreter zum vereinbarten Date schicken, denn sie sitzen beide im Rollstuhl und befürchten, vom anderen abgelehnt zu werden. Das sind aber nicht die einzigen Missverständnisse, mit denen sich die Helden zwischen Rollstuhlfahreralltag und Musikszene herumschlagen müssen.

Gespickt mit Bemerkungen und Kommentaren zu gesellschaftlichen Sichtweisen, werden immer wieder Normen und Normalität hinterfragt. „Ich weiß ganz genau, was ihr in euren Köpfen rumschiebt, früher war ich auch so drauf, da haben die Nichtbehinderten es geschafft, dass ich mich völlig zweitklassig gefühlt habe, überall Defizite, und es hat lange gedauert, bis ich mich von euren Vorurteilen und dem Blick auf Äußerlichkeiten befreien konnte“, sagt der Spastiker Stanley im Buch.

Der Autor Reimar Neumann wurde 1961 in Berlin geboren. Er studierte Sozialwesen und arbeitete in unterschiedlichen Funktionen in der öffentlichen Verwaltung und in der Behindertenhilfe. 1990 gründet er „Handicap-Event-Management“, eine Agentur für und mit behinderten Musikern und Künstlern.

Vorlage für den Roman ist ein Musical-Libretto

Im Jahr 2004, anlässlich der Paralympics in Athen, schrieb er den Text für die CD-Produktion „Olympia Is Coming Home“ und realisierte die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Musikern mit Behinderung für eine gemeinsame Veröffentlichung. Das Musical „Ciano“, bei dem er zum Autoren- und Komponisten-Team gehörte, wurde 2001 uraufgeführt. Sein zweites Musical-Libretto „Wanted“ von 2020 diente als Vorlage zu diesem Roman.

„Ich habe mit Idealismus und Lockerheit die Themen, in denen ich selber seit Jahren unterwegs bin, nämlich Inklusion und Musik, zusammengebracht und dann mit Zeitgeist und Alltagsphilosophie überzogen, dass zu fast gleichen Teilen eine Beziehungskomödie und eine Gesellschaftssatire entstanden sind“, sagt Neumann.

Und in der Tat: Dieses Buch räumt mit einigen Vorurteilen auf, die Menschen über Menschen mit Behinderungen haben können. Nach der Lektüre ist fast jedes vermeintliche Tabu gebrochen.

Weitere Informationen

Reimar Neumann: Normal ist das aber nicht! Eigenverlag, 2022, ISBN 9783347729780. 194 Seiten, 19,99 Euro.

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