Es boomt bei den Sammlern und Händler von Schmuck, Postkarten, Münzen und Briefmarken. „Wir Händler brauchen Nachschub”, sagt ein Mann mittleren Alters. Er ist am Samstag aus dem Bayerischen frühmorgens nach Ettlingen angereist, um beim Auktionshaus Gert Müller mitzubieten.
Auktion wegen Corona im Tagungssaal im Erbprinz
Um sich ein Bild von der „Ware” zu machen, hat er wie viele andere Bieter auch am frühen Morgen rund 900 Lose genau in Augenschein genommen. Es sind oft Sammlungen wertvoller Briefmarken aus Nachlässen verstorbener Philatelisten, die in der Carl-Zeiss-Straße in Ettlingen gezeigt werden.
Wegen den „AHA-Regeln” hat Geschäftsführer Holger Thull die vierteljährliche Auktion der Firma Gert Müller GmbH Briefmarken- und Münzauktionen in den großen Tagungssaal des Hotel Erbprinz in Ettlingen verlegt. Die Corona-Verordnung kann gerade so eingehalten werden: Abstand 1,50 Meter pro Stuhl. Es sind vielleicht 60 Briefmarkenfreunde, Briefmarkenhändler und Briefmarkensammler anwesend, auf den ersten Blick wenig. Mehr hätten aber wegen den Corona-Regeln nicht in den Saal gehen dürfen.
Bieter kommen aus ganz Europa
Ein illustrer Kreis: Die Menschen kommen aus ganz Europa, einer der Händler ist mit einem Spezialvisum sogar aus dem Risikogebiet USA eingereist. Damit nicht genug: Die Ettlinger Auktion läuft online weltweit. Viele sind per Live-Stream mit dem Geschehen aus dem Tagungsraum verbunden. Sie geben Ihre Gebote virtuell ab, andere ganz traditionell mit Telefon oder vorab mit einem schriftlichen Angebot.
Als es um 13 Uhr los geht, wissen die Teilnehmer gleich, in welchen Richtung es geht. Ein aus dem niederländischen Groningen angereister leidenschaftlicher Briefmarkenhändler, der sich auf Marken aus dem Deutschen Reich spezialisiert hat, macht eine Handbewegung, die steil nach oben zeigt. Auktionator Thull lächelt.
Eine Sammlung „Alle Welt” mit einem hervorragenden Anteil an Marken aus früheren britischen Kolonien, zeigt die Kauflust der angereisten Händler. Statt der erwarteten 5.000 Euro bietet ein Händler gleich einmal 14.000 Euro.
Bieter-Marathon bis in den späten Abend
So geht es in einem wahren Bieter-Marathon bis in den späten Abend hinein. Um 17 Uhr hat ein einziges Los, zudem Zeitpunkt sind schon über 300 über den Tisch des Hauses gegangen, keinen neuen Eigentümer gefunden. Als eine Sammlung russischer Briefmarken, ausgewiesen mit einem Mindestgebot von rund 1.000 Euro, für 12.000 Euro ersteigert wird, raunt ein Händler angesichts der hohen Summe „grauenhaft”.
Aber immerhin sei der mehrtägige Aufenthalt in Ettlingen wunderbar entspannend gewesen. Und seine aus dem holländischen Deventer mitgereiste Ehefrau ergänzt: Sie komme nun schon seit Jahren zu den Auktionen nach Ettlingen. Die seien perfekt organisiert und das Team der Müller GmbH um Geschäftsassistentin Vera Seebacher freundlich und hilfsbereit.
Handgestempelte Marken aus der Sowjetischen Besatzungszone gefragt
In den angebotenen Losen sind ein breites Spektrum an Briefmarkensammlungen aus der ganzen Welt. So eine Spitzensammlung aus den USA mit einem Ausrufpreis von 20.000 Euro. Besondere Beachtung findet eine Kollektion mit handgestempelten Briefmarken aus der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone. Der Startpreis für die gesamte, in mehrere Lose aufgeteilte Kollektion von 170 000 Euro wird locker überschritten.
Auktionator Thull weiß, warum der Briefmarkenmarkt aktuell so boomt: Das habe nicht nur mit einer Flucht in Sachwerte zu tun. Durch den Corona-Lockdown hätten viele Zeit gehabt, mal wieder ihre Schränke auszuräumen und neu zu ordnen. Das sei auch vielen Briefmarkensammlung zu gute gekommen.
Die Sammler hätten in den vergangenen Wochen viel Zeit gehabt, sich um ihre Kollektionen zu kümmern. Das Hobby Philatelie habe in Zeiten der Kurzarbeit und des „Daheimbleibens” neuen Schwung als Freizeitbeschäftigung bekommen.
Lücken im eigenen Album schließen
Viele Briefmarkenfreunde hätten Freude daran, die Lücken in ihren Sammlungen zu schließen, meint Kommissionär Matthias Knosp aus Oberkirch. Er vertritt für den Briefmarkenagenten Lorenz Kirchheim auf der Auktion 70 Kunden, vom kleinen Briefmarkensammler bis zum großen Händler. Was wird aktuell gut nachgefragt? „Die Briefmarken müssen auf alle Fälle aus der Zeit vor 1955 sein”, meint Auktionator Thull.
Besonders gut gingen Briefmarken aus China, die können auch jüngeren Datums sein, und Briefmarken aus Deutschen Kolonien und Auslandspostämtern. Dann zeigt Thull auf eine Einzelmarke aus Deutsch-Ostafrika, ausgerufen für 17.000 Euro. Die ersteigerte ein Sammler für 34.000 Euro. Bereits am Donnerstag gab es im Auktionshaus selbst eine Steigerung.
Eröffnet wurde der Tag mit eine Auktion mit Kriegsgefangenenpost aus der ehemaligen deutschen China-Kolonie Kiautschou, dann ging es um Münzen und Schmuck. Mehrere Millionen Euro Umsatz registrierte die Firma an dem Tag: „Die Menschen sind aktuell recht kauflustig.”