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Ansichtskarten als Zeitzeugen

Einer Frau verdankt Bad Herrenalb sein „Rotes Haus”

Dank Mathilde Noedel beheimatet die Stadt Bad Herrenalb heute die Evangelische Akademie Baden. Aus ihrem Erbe ließ Noedel die Villa „Charlottenruhe” bauen, die zunächst ein Erholungsheim war.

Roten Haus, Postkartenansicht, in Bad Herrenalb
Eine alte Ansichtskarte um 1900 zeigt wie das Erholungsheim Charlottenruhe, heute Evangelische Akademie Baden, früher aussah. Foto: Archiv Clauer/Sabine Zoller

Von Sabine Zoller und Johannes-Christoph Weis

Als Kameras noch Kuriositäten und Fotografien noch Luxus waren, traten kleine rechteckige Karten aus Karton ihren Siegeszug als Kommunikationsmittel an.

Zum 1. Oktober 1869 wurde die erste offiziell erlaubte „Correspondenzkarte“ in Österreich-Ungarn versendet, in Deutschland dagegen wurden die Postkarten mit persönlichen Kurznachrichten und handschriftlichen Botschaften erst Ende des 19. Jahrhunderts populär.

Karte zeigt den prachtvollen Bau der Charlottenruhe

Auffallend daher ein farbiges Exemplar aus Bad Herrenalb, das die prachtvolle Charlottenruhe zeigt. Eine Künstlerkarte, die das Erholungsheim repräsentativ abbildet. Es dokumentiert den Aufschwung der Herrenalber Sommerfrische Ende des 19. Jahrhundert.

Der Herrenalber Sammler Richard Clauer, aufgewachsen im Gaistal, sagt, bis in die 1970-er Jahre hätte jeder im Kurort gewusst, wo das „Rote Haus” steht. Gemeint war die ursprünglich als Erholungsheim genutzte Villa Pension „Charlottenruhe“. Sie wurde 1898 direkt am Waldrand an Dobler Straße gebaut.

Heute nutzt die Evangelische Landeskirche und die Evangelische Akademie Baden unter dem Namen „Haus der Kirche” das Areal für überregionale Tagungen. Wer daran vorbeifährt, spürt wenig von dem früheren architektonischen Glanz. Das Haus ist ein Funktionsbau - ausgerichtet auf den Tagungsbetrieb.

Bauherrin war die Unternehmerin Mathilde Noedel

Doch zurück zum „Roten Haus”: Außergewöhnlich war der Auftraggeber für den Prachtbau aus der Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert. Denn in diesem Fall war es eine Frau. Mathilde Noedel, eine emanzipierte Unternehmerin aus Karlsruhe, hat keine Kosten gescheut.

Sie hat das erfolgreiche und renommierte Architekturbüro Curjel & Moser mit dem Bau ihres Gästehauses in Herrenalb beauftragt. Um die Jahrhundertwende zählt Architekt Karl Moser zusammen mit seinen Partnern Robert Curjel und Hermann Billing zu den Vertretern der avantgardistischen „Karlsruher Schule”.

Das Haus der Kirche ist die Nachfolgerin des früheren Erholungsheimes Charlottenhöhe in Bad Herrenalb.
Das Haus der Kirche ist die Nachfolgerin des früheren Erholungsheimes Charlottenhöhe in Bad Herrenalb. Foto: Sabine Zoller

Die Architekten planten im Karlsruhe der Gründerzeit den Bau der Christuskirche, der Lutherkirche sowie zahlreiche Geschäftshäuser in der Kaiserstraße und rund 70 Villen und Wohnhäuser.

Durch Ausflüge in das schöne Albtal hatte Noedel Herrenalb liebgewonnen“, schreibt Chronist Willi Schramm in seiner „Geschichte der Villen, Wohn-, Gast- und Beherbergungsstätten von Herrenalb. 1850 als Tochter eines wohlhabenden Großkaufmanns in Melsungen bei Kassel geboren, ging Noedel bereits mit 17 Jahren nach England. Dort erzog sie wie ihre Schwester Charlotte als Erzieherin und Lehrerin Kinder wohlhabender Familien.

Gründung eines Mädchenpensionats in Karlsruhe

1894 kehrte sie nach Deutschland zurück. Mathilde Noedel gründete erfolgreich ein englisches Töchterpensionat in Karlsruhe. In der Ferienzeit zogen die „englischen Töchter” mit ihr zur Erholung in die „Charlottenruhe” in Bad Herrenalb. Außerhalb der Ferienzeiten kamen in den Sommermonaten die Sommerfrische suchenden Gäste in das „Rote Haus”.

Ihre einzige Schwester Charlotte starb bereits 1898 in England. Die ererbten „feinen englischen Möbel“ konnte Mathilde Noedel nicht in ihren Karlsruher Häusern unterbringen. Sie wurden nach Herrenalb in das Erholungsheim mit dem „schmucken, schindelverkleideten, villenartigen Gebäuden mit Erker, Türmchen und Dachgauben“ gebracht.

Zudem nannte Noedel das „Rote Haus” nach ihrer Schwester. Als Noedel 1908 aus gesundheitlichen Gründen ihr Pensionat aufgeben musste, übertrug sie ihren Besitz dem Badischen Landesverein für Innere Mission gegen eine Leibrente, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Damit wurde die „Charlottenruhe“ zu einem christlichen Erholungsheim mit Tagungsgästen, was bauliche Veränderungen nach sich zog.

Noch vor dem Ersten Weltkrieg gab es Licht und Zentralheizung

Bis zum Kriegsausbruch 1914 wurden nicht nur neun neue Fremdenzimmer und eine Zentralheizung eingerichtet, das Haus erhielt zudem elektrisches Licht und die außergewöhnliche Farbgebung mit rotem Anstrich. Während noch in den 1920-er Jahren Schülerinnen der Haushaltsschule „Falkenburg“ hier ihren Kochunterricht erhielten, wandelte sich nach dem 2. Weltkrieg die Nutzung des Hauses schlussendlich zu einem reinen Tagungsort.

1947 wurde das Haus von der Badischen Landeskirche für die Evangelische Akademie und die Landessynode übernommen, was in den Folgejahren erneut zu baulichen Veränderungen führte. 1997 erfolgte unter Verwendung vorhandener Bausubstanz ein Generalumbau und 2005 weitere Erweiterungen. Daraus entstanden ist ein Gebäudekomplex, der mittlerweile 3.500 Quadratmeter umfasst und nichts mehr mit der ursprünglichen Villa und deren Baugeschichte gemeinsam hat. Während Postkarten einst den ursprünglichen Zweck hatten, kurze Mitteilungen und Grüße in ferne Regionen zu senden, sind sie heute die einzigen fotografischen Zeitzeugen vergangener Tage.

Haus der Kirche und Evangelische Akademie Baden

Als unselbständige Einrichtung des Evangelischen Oberkirchenrats beherbergt das „Haus der Kirche“ heute jährlich mehr als 25.000 Tagungsgäste. In Corona-Zeiten hat sich das Bild allerdings gewandelt, wie der langjährige Geschäftsführer Klaus Holldack sagt. Zwar habe das Haus seit 2. Juni wieder geöffnet, doch seien alle internationalen für August und September 2020 geplanten Veranstaltungen abgesagt worden. Den Umsatzverlust beziffert er mittlerweile auf rund 1,2 Millionen Euro. Das ist die Hälfte des sonst üblichen Jahresumsatzes von rund 2,4 Millionen.

Ein offenes Tagungshaus

Das Haus der Kirche ist ein Tagungsort, mit jährlich rund 500 regionalen und überregionale Veranstaltungen. Das Bildungszentrum ist offen für Gäste aus den Bereichen Kirche, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft und bietet Raum für eine Vielzahl an zusätzlichen Festen und Veranstaltungen.

Das Haus, das zudem eine eigene Hauskapelle besitzt, ist mit zehn multifunktionalen Tagungsräumen und Kapazitäten bis zu 200 Personen ausgestattet. Es verfügt über 90 Gästezimmer mit 112 Betten. Jährlich werden über 21.000 Übernachtungen gezählt. Diese Zahlen gehen auch in die Übernachtungsstatistik der Kurstadt Bad Herrenalb ein.

Über 80 Prozent Stammkundschaft

„Wir haben 80 Prozent Stammkundschaft“, so Holldack, der über Mitarbeiter von Firmen wie Bosch und Daimler spricht, die er bereits seit über 20 Jahren als Gäste betreut. Dazu gehören auch verschiedene Universitäten, wie das KIT aus Karlsruhe, das ebenso regelmäßig wie die Universitäten aus Heidelberg, Freiburg, Tübingen und Konstanz Veranstaltungen bucht und damit Gäste aus der ganzen Welt nach Herrenalb bringt.

Eine beliebte Frage von Besuchern des Hauses der Kirche ist: „Wie kommt es, dass die badische Landeskirche ihre Tagungsstätte auf schwäbischem Boden errichtet hat?” Dann wird regelmäßig an die Karlsruherin Mathilde Noedel erinnert, die dem Badischen Landesverein für Innere Mission und diese dann später der Landeskirche die Charlottenruhe übereignet hat.

Und kaum ein evangelischer Theologe der Evangelische Akademie unterschlägt die tiefer gehenden Wurzeln: Das Erbe der Zisterzienser wird regelmäßig bemüht. Man stehe in der Tradition des Ordens.

Evangelische Akademie Baden und das Haus der Kirche

Seit 1950 ist das Haus die Tagungsstätte der Evangelischen Akademie und der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden. Damals hieß das Haus noch „Haus Charlottenruhe” in Erinnerung an das Gästehaus, das Mathilde Nödel 1898 vom renommierten Architekturbüro Curjel & Moser entwerfen lies.

Die Tagungsstätte wurde in den vergangenen Jahren mehrfach erweitert und umgebaut: 1958 wurde die Kapelle gebaut, seit 1963 gibt es den fünfgeschossigen Gebäudetrakt mit dem großen Tagungssaal. Von 1995 bis 1997 wurde das Haus komplett modernisiert nach Entwürfen von Kirchenbaudirektor Horst Wein. Vom 18. bis 23. Oktober 2020 findet in Bad Herrenalb die 12. Tagung der 12. Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden statt. Die Landessynode (Kirchenparlament) ist neben dem Landesbischof, dem Landeskirchenrat und dem Evangelischen Oberkirchenrat eines der vier landeskirchlichen Leitungsorgane. Diese unterscheiden sich durch die ihnen jeweils durch die Grundordnung zugewiesenen Aufgaben, dienen in ihrem Zusammenwirken aber dem einen gemeinsamen Ziel, das Evangelium Jesu Christi allen Menschen zu bezeugen. Die Leitung hat deshalb, wie die Grundordnung sagt, in geistlicher und rechtlicher Einheit zu geschehen. Die Landessynode ist die Versammlung von gewählten und berufenen Mitgliedern der Landeskirche, die aus ihren Erfahrungen im kirchlichen Leben und aus ihrer besonderen Sachkenntnis heraus beschließend und beratend im Dienste an der Kirchenleitung zusammenwirken. Sie setzt sich zusammen aus den von den Bezirks- und Stadtsynoden gewählten und den von den synodalen Mitgliedern des Landeskirchenrates im Einvernehmen mit der Landesbischöfin bzw. dem Landesbischof berufenen Synodalen. (Quelle evangelische Landeskirche).

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