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Aufgegabelt: Farina bóna

Das fast vergessene "Popcornmehl" aus dem Tessin

Erfunden wurde Farina bóna von einer Müllerin im Tessiner Onsernonetal. Lange Zeit in Vergessenheit geraten, wird das "Popcornmehl" heute wieder produziert und ist sogar zum Star der gehobenen Küche aufgestiegen. Die heutige Folge mit einem Gnocchi-Rezept!

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Herzhaft: Farina-bóna-Gnocchi mit Salsiccia und Wirsing. Foto: Michael Ludwig

Lange Zeit in Vergessenheit geraten, gibt es das Mehl, das wie Popcorn schmeckt, wieder. In kleinen Mengen wird Farina bóna im Schweizer Kanton Tessin produziert.

Wer denkt bei Popcorn nicht an tränendrüsiges oder actiongeladenes US-Kino und den großen Eimer mit den aufgepoppten Maiskörnern auf dem Schoß. Oder den Besuch am Süßigkeitenstand auf dem Jahrmarkt. Oder meinetwegen noch an den gleichnamigen 70er-Jahre-Hit des Synthi-Projekts Hot Butter.

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Das vergessene Mehl

Das Tessin kommt einem wahrscheinlich eher nicht in den Sinn. Der südliche Schweizer Kanton an der Grenze zu Italiens Norden und Popcorn? Das passt in etwa so gut zusammen wie Bayern und Meereskrabben, oder? Falsch. Denn im Tessin, wie auch in anderen Alpenregionen, hat Mais als Armeleutespeise, insbesondere als lange im Kupferkessel gerührte Polenta, eine lange Tradition.

Farina bóna - das "Popcornmehl" aus dem Onsernonetal

Während sich jedoch der gelbe, rötliche, weiße oder gar schwarze Maisbrei über die Zeiten retten konnte und heute ganz selbstverständlich sogar in Küchen auf dem flachen Land zuhause ist, verhält es sich mit dem „Popcornmehl“ aus dem Tessiner Onsernonetal anders. Farina bóna war plötzlich Mitte des 20. Jahrhunderts nicht mehr da. Weg. Verschwindibus. Ganz ohne Hokuspokus.

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Und das kam so: Mit der allmählich prosperierenden Nachkriegswirtschaft und den damit einhergehenden neuen Essgewohnheiten war dieser zwar schmackhafte, aber doch mit dem Armutsetikett behaftete Sattmacher plötzlich sowas von aus der Mode, dass die Produktion vollends den Bach – am klappernden Mühlrad vorbei – hinabging.

Wiederbelebt dank Ilario Garbani

Annunciata Terribilini und Remigio Meletta, die letzten Müller des Onsernonetales, schmissen wegen mangelnder Nachfrage letztlich hin. Hätte es da nicht ein paar enthusiastische Menschen wie Ilario Garbani gegeben, niemand wüsste heute vielleicht mehr um diesen geschmackigen Schatz aus dem abgelegenen Tessiner Tal. Leuten wie Garbani verdanken wir, dass es Farina bóna wieder zu kaufen gibt, in überschaubaren Mengen zwar und sozusagen zum „Liebhaberpreis“, aber immerhin.

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Farina bóna - heute ein Produkt der gehobenen Küche

Aus dem Fitmacher für Darbende, der einst nur mit Flüssigem, das gerade zur Hand war (Wasser, Milch, Wein) angerührt wurde, ist ein Produkt für Gourmets geworden, dessen hohes „Suchtpotenzial“ sich insbesondere in der gehobenen Gastronomie herumgesprochen hat. Nicht ganz unschuldig am Comeback von Farina bóna dürfte freilich auch Slow Food sein, das dieses einzigartige regionale Produkt inzwischen in seine „Arche des Geschmacks“ aufgenommen hat, wo es als Passagier gehegt und gepflegt wird.

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Mehl aus Popcorn: Farina bóna schmeckt wie der Knabberspaß, ist aber fein wie Staub. Foto: lie

Woher Farina bóna genau stammt, ist nicht bekannt. Aber man erzählt sich folgende Geschichte: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam der Mais nach Vergeletto im Onsernonetal. Nunzia, die Müllerin des Dorfes, machte mit dem Mais das, was schon seit Jahrhunderten mit Roggen oder Kastanien in dieser Gegend gemacht wurde: sie röstete die gelben Körner in einer Eisenpfanne über dem lodernden Feuer.

"Hahnenkämme" aus aufgeplatzten Körnern

Die Kügelchen platzten durch die Hitze auf, bei einigen von ihnen formte sich eine Art Kamm, ähnlich dem des Gockels, woraus sich der spätere Dialektbegriff „ghèl“ ableitet (gallo = Hahn). Dieses Urpopcorn wurde vor allem bei den Kindern von Vergeletto geschätzt, die sich bei der großzügigen Müllerin die Taschen mit der Knabberei für die Schulpause vollstopften. Dass die aufgepoppten Körner keine lange Überlebenschance hatten, kann man sich denken.

Trocken wie Staub

Na ja, Nunzia jedenfalls hat den Großteil der „Hahnenkämme“ zusammen mit den nicht explodierten Körnern zwischen ihren Mahlsteinen zu feinem Mehl verarbeitet, das wegen seiner unglaublichen Trockenheit auch rasch seinen Namen hatte: „farina sec’a“ (trockenes Mehl). Offiziell heißt es heute Farina bóna.

Aufgetischt

Mit Farina bóna lassen sich Pep und natürliches Popcornaroma gleichermaßen unter einen Topfdeckel bringen. Da das staubfeine Mehl gut Flüssigkeiten annimmt, bindet es hervorragend Suppen, es macht Soßen sämig und Müsli cremig. In Farina bóna gewälzte Fischfilets sorgen nicht nur für zusätzlichen Aromakick, sondern sie werden auch besonders knusprig.

Farina bona: geeignet für Pikantes wie Süßes

Ansonsten sind der Fantasie kaum Grenzen gezogen: von Hähnchengeschnetzeltem über Piadina (Fladenbrot, wie man es aus der italienischen Romagna kennt) und Frittata bis zu sahnigem Eis, Keksen und Kuchen reichen die Einsatzgebiete der Farina bóna. Darüber hinaus wird das Röstmehl handwerklich zu dem Brotaufstrich „La Bonella“ verarbeitet, den es (wie „Nutella“) im Glas zu kaufen gibt. Oder man braut sogar Bier daraus, eine Spezialität aus dem Tessin.

Eine besondere Note erhalten Kartoffelgnocchi , wenn sie mit einem Teil Farina bóna hergestellt werden. Begleitet werden sie von italienischer Salsiccia (Bratwurst) und Wirsing .

Gnocchi mit Farina bóna: ein Rezept für 4-6 Portionen

1. 750 mehlige Kartoffeln kochen und ausdampfen lassen. 2 x durch die Kartoffelpresse drücken. Mit 75 g Farina bóna, 75 g Weizenmehl Typ 405, etwas frisch geriebenem Parmesan und ggf. Salz zu einer homogenen Masse verkneten. Fingerdicke Rollen formen, in Stücke schneiden und mit einer Gabel Rillen in die Gnocchi drücken.

2. 4-6 Wirsingblätter in Salzwasser nach Geschmack weich kochen, eiskalt abschrecken und in Streifen schneiden.

3. 1 eingelegte Sardelle und 1/2 rote Zwiebel (jeweils fein gehackt) in 2-3 EL Butter anbraten, 2 Salsiccie (ohne Darm) zerdrücken und zugeben. Rundum bräunen. 1 frisches Lorbeerblatt zufügen. Mit einem guten Schuss weißem Portwein ablöschen. Einkochen. Etwas Gemüsebrühe angießen und 10 min schmoren. Etwas frischen Parmesan zum Binden hineinreiben und mit Pfeffer abschmecken.

4. Wirsing zufügen und vermischen.

5. Gnocchi portionenweise in leicht siedendes Salzwasser geben und warten, bis sie an die Oberfläche steigen. Dann noch etwa 1 min ziehen lassen und mit dem Schaumlöffel herausnehmen.

6. Gnocchi zum Sugo geben und vorsichtig mischen, auf vorgewärmte Teller verteilen und frischen Parmesan darüber hobeln.

Aufgespießt

In der Schweiz sind Slow-Food-Presidi wie Farina bóna in coop-Geschäften erhältlich. Außerdem werden Farina-bóna-Produkte wie das Mehl selbst, Biscotti oder „La Bonella“ über die Seite von Ilario Garbani vertrieben. Der Versand ist allerdings auf die Schweiz beschränkt. In Deutschland kann Farina bóna

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In 250-Gramm-Säckchen erhältlich: original Farina bóna. Foto: None

dennoch via Internet bestellt werden. Die Firma „umamis“ verkauft zwar normalerweise fast ausschließlich an die gehobene Gastronomie und verfügt auch (noch) nicht über einen Webshop, für 7,38 Euro zzgl. Versand pro 250-g-Packung wird das kostbare Mehl jedoch auch an Privatkunden verschickt.

E-Mail-Adresse: farinabona@web.de

Aufgelesen

Wer auf den Farina-bóna-Geschmack gekommen ist,

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Aufgegabelt Foto: None

findet in Erica Bänzigers Buch „Polenta“ aus dem FONA-Verlag etliche Rezepte, in denen das geröstete Mehl eine, wenn nicht die Rolle überhaupt spielt. Dieses Buch ist zugleich eine Liebeserklärung an den Mais, der lange Zeit im Schatten der „edleren“ Getreidesorten stand, aber durch das gestiegene Interesse an Glutenfreiem wieder eine größere Rolle in der Küche spielt. (€ 22,–)

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