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Film „Ohne Angst“

Warum der Pfinztaler Dokumentarfilmer Walter Brähler seine Kamera auf die Karlsruher Kunstturnerinnen richtete

Mit Kunstturnen hatte Walter Brähler bis vor zwei Jahren nichts zu tun. Jetzt begleitete der Pfinztaler Dokumentarfilmer die KR Karlsruhe über mehrere Monate mit der Kamera. In seinem Film geht es um mehr als rein sportliche Aspekte.

KRK-Trainerin Tatjana Bachmayer mit ihren Turnerinnen Chiara Moiszi und Anna-Lena Koenig.
Freude im Team: KRK-Trainerin Tatjana Bachmayer mit ihren Turnerinnen Chiara Moiszi und Anna-Lena Koenig. Foto: Edith Geuppert/GES

Die Kunst des Dokumentarfilmers ist es, auch dann draufzuhalten, wenn es weh tut. Weiterzudrehen, obwohl man die Kamera lieber wegdrehen würde. Walter Brähler kennt das: Es war lange Zeit sein Job, jetzt ist es immer noch seine Leidenschaft.

Doch trotz aller Routine: Brähler war es alles andere als angenehm, als er Tatjana Bachmayer und Chiara Moiszi in diesem Moment filmte. Die Trainerin und ihre Turnerin, niedergeschlagen, „mit völlig bedröppelten Gesichtern“, wie Brähler erzählt: „Wer möchte so schon gefilmt werden?“

Was mache ich, wenn sie es tatsächlich nicht schafft?
Walter Brähler, Filmemacher

Es war der Augenblick, als alle dachten: Das war es mit der EM. Und es war der Moment, als auch dem Mann mit der Kamera durch den Kopf schoss: „Und jetzt? Was mache ich, wenn sie es tatsächlich nicht schafft?“ Wenn einem plötzlich der Höhepunkt fehlt, die Dramaturgie in sich zusammenfällt?

Der langjährige ARD-Auslandskorrespondent Brähler lernte in diesem Jahr das, was Tatjana Bachmayer als Cheftrainerin der Kunstturn Region Karlsruhe (KRK) immer und immer wieder predigt: Eine Saison ist lange, es kann so viel passieren, nichts ist sicher.

Europameisterschaft und „Kulturwandel“ im Kunstturnen als roter Faden

Von Januar bis August hatte Brähler Bachmayer, Moiszi und deren Teamkolleginnen Anna-Lena König sowie Amelie Pfeil begleitet. Er war im Training und bei Wettkämpfen, interviewte die Sportlerinnen und deren Eltern.

Ein roter Faden des Dokumentarfilms „Ohne Angst“ ist das sportliche Ziel, das sich die Turnerinnen gesteckt hatten: die European Championships in München. Die andere verrät der Untertitel: „Kulturwandel im Kunstturnen“.

Walter Brähler, Dokumentarfilmer aus dem Pfinztal
Walter Brähler, Dokumentarfilmer aus dem Pfinztal. Foto: privat

Das war auch das Thema, durch das der frühere Redakteur beim SWR über kleine Umwege auf die KRK gestoßen ist. Weder mit dem Verein noch dem Sport an sich hatte der Filmer aus dem Pfinztal zuvor je zu tun.

Doch die von Top-Turnerin Pauline Schäfer-Betz im Herbst 2020 erhobenen Vorwürfe über Missstände am Turn-Bundesstützpunkt in Chemnitz drangen auch zu Brähler.

Debatte über Missstände weckt erste Neugier

Dessen erste Neugier war geweckt und schließlich so richtig angefacht, als er kurz darauf Bachmayer und deren Geschichte kennengelernt hatte. Bachmayer litt als junge Sportlerin selbst unter starken Ess-Störungen, was die 49-Jährige nachhaltig prägte. Bei der KRK verfolgt die Trainerin seit Jahren einen Weg, der den Athleten in den Vordergrund stellt. Motto: „Leistung durch Spaß.“

Die von Schäfer-Betz vor zwei Jahren in Gang gesetzte Diskussion über psychischen und physischen Druck hat auch beim Deutschen Turner-Bund (DTB) Reformen-Debatten in Gang gesetzt. Diplom-Sportlehrerin Bachmayer sitzt beim DTB im Ausschuss für Leistung – und Nachwuchsförderung sowie in der Steuerungsgruppe Leistung mit Respekt. Bachmayer setzt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema auseinander.

Brähler interviewte für seinen Film auch Schäfer-Betz, Ex-KRK-Turnerin Desiree Baumert und die langjährige deutsche Vorzeige-Turnerin Kim Bui, die in diesem Sommer ihre große Karriere beendet hatte. Auch Bui finde im Film recht klare Worte, „warum ein Kulturwandel nötig ist“, sagt Brähler. Einen Wandel, wie ihn Bachmayer verkörpere, findet der Filmemacher.

„Druck ist natürlich immer dabei“, sagt Brähler, es geht schließlich um Leistungssport. Aber die Frage sei doch: Ist das noch ein gesunder Druck? Steht im Vordergrund die Medaille oder der Mensch? „Die Mädels sagen ja selbst, dass sie auch mal gepusht werden müssen – aber die Peitsche brauchen sie nicht“.

Film-Premiere am 16. November

Der Film „Ohne Angst – Kulturwandel im Kunstturnen“ feiert am 16. November (19 Uhr) seine Premiere in der Kinemathek in Karlsruhe.

Tickets gibt es auf der Seite der Kinemathek.

Filmemacher Brähler erlebt Gefühlswelten der Turnerinnen hautnah mit

Schon gar nicht im Falle des Misserfolgs. Auch diese Gefühlswelten erlebte Brähler als Beobachter hautnah mit: Wie der EM-Traum von Amelie Pfeil durch eine Verletzung früh platzte und die EM der Seniorinnen für König einfach noch einen Tick zu früh kam.

König war immerhin als Ersatzturnerin mit in München – nicht ahnend, dass ihr großer Moment doch noch kommen sollte: Die 16-Jährige ging gerade erst mit dem deutschen Team bei den Weltmeisterschaften in Liverpool an die Geräte.

Auch für den erfahrenen Journalisten Brähler hielt die Dokumentation noch neue Erfahrungen parat – die Akkreditierung für die Wettkämpfe in München und das Erlangen von Bildrechten waren ein langer, dornenreicher Weg. Als einzelner Filmemacher war Brähler ein Sonderfall, der in den ganzen Statuten und Ausschreibungen so nicht vorkam.

Auch Brählers persönliche Dramaturgie stimmte also am Ende – wie die des Films. Moiszi nämlich stand nach besagter Momentaufnahme mit dem resignierten Gesicht plötzlich doch auf dem Treppchen, hatte Platz drei beim letzten Qualifikations-Wettkampf erreicht – und gewann bei den EM-Titelkämpfen der Juniorinnen mit dem Team Bronze.

Und mehr noch: Moiszi schaffte es ins Balken-Finale, feierte dort Rang vier. Es war Walter Brähler eine Freude, in diesem Moment zu filmen.

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