Viel wurde vor den Prüfungen darüber diskutiert, ob es die Abiturienten 2020 viel leichter hätten als frühere. Sie bekämen ja sicher wegen der Corona-Krise einige Notenpunkte geschenkt, meinten Außenstehende. Auch Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte erklärt, die Lehrer sollten ihren Spielraum bei der Korrektur nutzen, es werde "sicher nicht das schwerste" Abitur werden - doch genau den Eindruck haben die Prüflinge nun nach dem schriftlichen Mathe-Abi. Sie haben eine Protest-Petition im Internet gestartet.
„Oh Gott, ich geb mich mit fünf Punkten zufrieden!“, stöhnten sogar gute Mathe-Schüler. Und etliche Abiturienten beschwerten sich zuhause empört über „ganz schräge Aufgaben“: Die Abi-Prüfung in Mathematik hat am Dienstag viele junge Frauen und Männer demoralisiert. Im Internet läuft nun eine Protest-Petition, in der Gymnasiasten eine Anhebung der Bewertung fordern. „Das Mathematik-Abitur 2020 in Baden-Württemberg war unverhältnismäßig schwer“, klagen sie. „Im Vergleich zu den letzten Jahren war der Wahlteil deutlich anspruchsvoller.“
Sogar die Besten unter Zeitdruck
Zeitlich gerieten offenbar viele Schüler unter Druck. „Selbst unser absoluter Mathe-Crack hat bis zur letzten Minute gebraucht, um alle Aufgaben zu lösen“, erzählt eine Abiturientin. Vor allem der Analysis-Teil habe sie selbst sehr verwirrt. „Da war ein Verfahren verlangt, das wir sonst nicht angewandt haben“, sagt sie.
Die „Aufgabe mit der Palme“ hat viele Prüflinge auf die Palme gebracht. An Schulen, die andere Aufgaben ausgewählt hatten, trieb ein variables Rechteck die Schüler in die Verzweiflung. War das Abitur im Corona-Krisenjahr 2020 tatsächlich zu schwer? Da gehen die Meinungen auseinander.
Lehrerverbandschef: Viele Aufgaben eher Mittelstufen-Niveau
Aus rein fachlicher Sicht würde Ralf Scholl, Vorsitzender des Philologenverbandes (PhV) und selbst Mathematiker, klar widersprechen. „Das kann ich nicht nachvollziehen“, erklärt er spontan zu den Schülerbeschwerden. „Einen Großteil der Aufgaben konnte man im Kopf lösen.
Die Methoden der Mittelstufe reichten für viele aus.“ Als er die Abi-Aufgaben sah, habe er sofort gedacht: „Das Versprechen der Kultusministerin, dass es den Schülern nicht besonders schwer gemacht wird, ist voll erfüllt“, erzählt der Lehrervertreter. Wobei er einräumt: Es sei denkbar, dass Schüler in der Aufregung über eine „ausgeschriebene Wurzel“ gestolpert seien – oder dass krumme Rechenergebnisse sie verwirrt hätten. „Oft stellen Lehrer ja leider nur Aufgaben, bei denen glatte Ergebnisse rauskommen“, sagt Scholl.
Eisenmann ließ Machbarkeit vorher prüfen
Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) erklärte auf BNN-Anfrage, sie habe vor den Prüfungen veranlasst, dass alle Aufgaben noch einmal besonders begutachtet wurden, um sicherzustellen, dass sie „angemessen und pädagogisch fair sind“. Das Institut für Bildungsanalysen habe alles kritisch auf Machbarkeit überprüft. Die Aufgaben entsprächen dem Bildungsplan.
Haben Schüler Palmen-Aufgabe überinterpretiert?
Ein Mathematik-Lehrer aus dem Raum Karlsruhe, der einen Abi-Kurs betreut, gibt ein Stück weit beiden Lagern recht. „Es war nicht das leichteste Abitur, aber es war insgesamt im Rahmen des Üblichen“, sagt er. „Es war zeitlich anspruchsvoll, und wenn man die volle Punktzahl haben wollte, war es auch anspruchsvoll.
Es hatte einige Knackpunkte – aber es war nichts dabei, was vorher nicht behandelt wurde.“ Ein Knackpunkt: Man habe „sehr aufmerksam“ lesen müssen. Im Prüfungsstress hätten einige Abiturienten vermutlich zuviel in die Palmen-Aufgabe hineininterpretiert: „Da war eine normale Integralrechnung und keine Wachstumsfunktion verlangt“, erklärt der Lehrer.
Lehrer sollen Spielraum bei Korrektur nutzen
Eisenmann hat die Lehrkräfte „explizit“ gebeten, ihren pädagogischen Spielraum bei der Korrektur „besonders auszunutzen“. Spielraum biete vor allem die Wertung von Zwischenergebnissen, sagt der badische Mathe-Lehrer: „Das bewegt sich im Bereich von halben Punkten.“ Er rechne aber nicht mit vielen schlechten Noten: Die Einstiegsaufgaben seien jeweils gut lösbar gewesen.