
„Polizei beendet Großeinsatz in Karlsruher Apotheke“. Am späten Abend des 10. März 2023 war diese Schlagzeile deutschlandweit zu lesen. Über mehrere Stunden hinweg hatte ein Mann in einer Apotheke in der Nähe der Innenstadt mehrere Menschen in seiner Gewalt. Schließlich stürmte die Polizei die Räume und überwältigte den mutmaßlichen Täter. Die Geiseln blieben unverletzt. Körperlich.
Welchen Schaden die Seele von so einem Ereignis davonträgt, wissen die Experten der Karlsruher Trauma-Ambulanz nur zu gut. Aus einer Gewalterfahrung kann beim Opfer ein Trauma entstehen, das sich unbehandelt zu einer handfesten Erkrankung der Psyche auswachsen kann. Es bleibt für sein Leben gezeichnet.
Auf die ersten fünf Tage nach der Tat kommt es an
„Wir sind sehr froh, dass wir schnell für die Menschen aus der Apotheken-Geiselnahme da sein konnten“, sagt Sabrina Sengle. Sie ist die Sprecherin der Behandlungsinitiative Opferschutz (BIOS), die in Karlsruhe eine der wenigen Trauma-Ambulanzen im Land betreibt. Noch in der Nacht der Geiselnahme habe die Polizei Kontakt aufgenommen.
„Das war wichtig“, sagt Sabrina Sengle. Denn im Fall eines Verbrechens oder einer Gewaltepisode tickt die Uhr. „Fünf Tage sind das Limit“, weiß Klaus Michael Böhm. Der ehemalige Richter am Oberlandesgericht hatte den Verein für den Opferschutz vor vielen Jahren mitgegründet. Inzwischen hat man dort viel Erfahrung gesammelt. „Wir wissen jetzt: Wenn die Hilfe später kommt, wird es schwerer, das Trauma in den Griff zu bekommen“, so der BIOS-Vorstandsvorsitzende.
Karlsruher Ambulanz hat Vorbildcharakter
Mehr als 300 Betroffene konnten im vergangenen Jahr die Hilfe der Opfer- und Traumaambulanz Karlsruhe/Baden (OTA) mit Standorten in Karlsruhe, Pforzheim und Heilbronn in Anspruch nehmen. Sie bietet in enger Zusammenarbeit mit zwei Fachkliniken seit 2010 eine Akutversorgung für traumatisierte Opfer von Gewalt- und Sexualstraftaten an. Das Psychologen-Team hilft schnell, unbürokratisch, und auf Wunsch auch anonym.
Inzwischen haben sich in ganz Deutschland ähnliche Einrichtungen gegründet. Manche sind an Städte und Landkreise angedockt, andere an Universitätskliniken, wieder andere an Hochschulen. Die Arbeit dieser Trauma-Ambulanzen und die rechtlichen Rahmenbedingungen standen im Mittelpunkt des Opferschutztages, den BIOS einmal im Jahr in Karlsruhe organisiert.
Geschädigte haben bald einen Rechtsanspruch auf Hilfe
Die Opferarbeit steht vor einer wichtigen Veränderung. Bis zum 1. Januar 2024 wird das Recht der sozialen Entschädigung neu geregelt. Das 14. Sozialgesetzbuch (SGB 14) räumt Betroffenen von Gewalt- und Sexualstraftaten dann einen Rechtsanspruch auf therapeutische Akutversorgung in einer Trauma-Ambulanz ein.
„Das ist ein wichtiger Schritt für uns“, sagt Sabrina Sengle. Geschädigte sowie Angehörige, Hinterbliebene und Nahestehende haben dann einen gesetzlichen Anspruch auf insgesamt bis zu 15 Sitzungen in der Traumaambulanz. Bei Kindern und Jugendlichen beträgt der Höchstanspruch 18 Sitzungen. Wenigstens um die Kosten ihrer Behandlung müssen sie sich dann nicht mehr sorgen.