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Angst vor Erdbeben

Geothermie: Bürgerinitiativen in Baden und Pfalz verbünden sich – Bürgschaft von 200 Millionen Euro gefordert

Auf der einen Seite steht die Angst vor Erdbeben, auf der anderen die Hoffnung auf Strom und Lithium-Förderung: Geothermie-Projekte im Oberrheingraben polarisieren. Bürgerinitiativen aus Baden und der Pfalz wollen nun gemeinsam gegen Kraftwerke kämpfen.

Innenaufnahme des Geothermiekraftwerks Bruchsal des Energiekonzerns EnBW. (zu dpa: «Erdbeben, Risse und Goldgräberstimmung - quo vadis Geothermie?») +++ dpa-Bildfunk +++
Technik, die Hoffnung und Ängste schürt: Die Geothermie ist umstritten. Bürgerinitiativen aus Baden und der Pfalz haben sich zusammengeschlossen, um gegen weitere Kraftwerksprojekte zu protestieren. Foto: Uli Deck/dpa

Sie fürchten Erdbeben und Risse an ihren Häusern – und sie unterstellen den Unternehmen der Gegenseite irreführende „Propaganda“: die Bürgerinitiativen gegen Tiefen-Geothermie. In Baden und der Pfalz haben sie sich nun zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen die Ausbeutung der Erdwärme im Oberrheingraben zu kämpfen.

„Wir werden die Ratsmitglieder in den Gemeinden informieren, damit sie nicht irregeführt werden und der permanenten Propaganda aufsitzen“, kündigt Werner Müller an, der Vorsitzender der Bürgerinitiative Geothermie in Landau ist und zugleich den Bundesverband Bürgerinitiativen Tiefe Geothermie anführt.

Ein Rundbrief geht in diesen Tagen an die Rathauschefs und Kommunalpolitiker zwischen Freiburg, Mannheim und Landau.

Geothermie-Gegner: Oberrheingraben ist „hochproblematisch“ für Bohrungen

Etwa 2.000 bis 3.000 Mitglieder haben die sechs Bürgerinitiativen aus Baden und der Pfalz nach Müllers Angaben, hinzu kämen Tausende von Unterstützern. Mehrere Gemeinden im Landkreis Rastatt und der Ortenau haben sich bereits gegen den Bau von Geothermie-Kraftwerken positioniert.

Ziel der Bürgerinitiativen ist es, einen großen Schulterschluss im Oberrheingraben zu erreichen. „Wir sind uns der Herausforderungen des Klimawandels bewusst und befürworten daher grundsätzlich den Ausbau der erneuerbaren Energien“, erklären die Kraftwerksgegner in ihrem offenen Brief.

Die Tiefengeothermie im Oberrheingraben sei jedoch aufgrund der schwierigen geologischen Verhältnisse, der bisherigen Erfahrungen und nicht auch zuletzt wegen der überwiegend planenden Firmen „hochproblematisch“.

BI fordern Bürgschaft in Höhe von 200 Millionen Euro pro Kraftwerk

Die Gefahr, dass die Tiefenbohrungen für Wärme-, Strom- und Lithiumgewinnung neue Erdbeben auslösen und das Grundwasser verschmutzen, ist aus Sicht der Bürgerinitiativen zu groß. Abschreckende Beispiele sind für sie Beben im Bereich von Geothermie-Projekten bei Straßburg/Vendenheim und Landau, die für Schäden an diversen Gebäuden verantwortlich gemacht werden.

Es sei ein „Horror-Szenario“, wenn Hausbesitzer nur mit dem Zeitwert entschädigt würden und teilweise nur mit zehn Prozent Entschädigung rechnen könnten. Die Forderung der Bürgerinitiativen: „Um solch eine Situation nach einem möglichen Störfall auszuschließen, sind die Unternehmen aufzufordern, eine selbstschuldnerische Bankbürgschaft in Höhe von 200 Millionen Euro pro Kraftwerk für geschädigte Bürger und die Gemeinden zu hinterlegen.“

Karlsruher Vulcan Energie verweist auf mehrstufiges Absicherungssystem

Die Karlsruher Vulcan Energie, die im Oberrheingraben den begehrten Rohstoff Lithium – etwa für Elektroautos und Handys – aus dem heißen Tiefenwasser gewinnen will, verweist hingegen auf ein mehrstufiges Absicherungssystem, das bereits bestehe.

„Im ersten Schritt haftet unsere Versicherung mit der kompletten Versicherungssumme, im zweiten Schritt haftet das Haftungskapital des Unternehmens – aktuell 190 Millionen Euro“, erklärt Unternehmenssprecherin Beate Holzwarth. „

Sollte das Unternehmen danach nicht in der Lage sein zu haften, dann haftet die Bergschadensausfallkasse, die solidarisch von namhaften Unternehmen in der Industrie finanziert wird.“ Generell gelte: die geforderte Bürgschaftshöhe werde „von der Versicherungswirtschaft als nicht notwendig erachtet, weil solche Schäden nicht zu erwarten sind“.

Gefahr größerer Erdbeben im Oberrheingraben ist auszuschließen.
Beate Holzwarth, Sprecherin Vulcan Energie

Zur Erdbebengefahr erklärt sie: „Die Gefahr größerer Erdbeben im Oberrheingraben ist auszuschließen. Zudem sind die größten und häufigsten Geothermieprojekte weltweit in Erdbebenregionen angesiedelt, wie Island, Kalifornien, Indonesien, Italien, Türkei und viele mehr.“ Die Chancen für Klimaschutz und Wachstum seien deutlich höher als die Risiken.

Seit Jahren prallen die Auffassungen unversöhnlich aufeinander. Die Bürgerinitiativen rechnen damit, dass Firmen und Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) etwa 50 bis 60 Geothermie-Projekte im Rheingraben verwirklichen wollen, rund ein Dutzend sind aktuell konkret in Planung, unter anderem in Graben-Neudorf. In Bruchsal gewinnt die EnBW seit 2009 Strom aus Tiefenwärme.

Die Fernwärme-Nutzung stellt Müller von der Bürgerinitiative generell in Frage. Er verweist aufs pfälzische Insheim, wo dies gescheitert sei. Die Gemeinden müssten die Leitungen auf eigene Kosten bauen, außerdem wollten Hausbesitzer „nicht in die Abhängigkeit eines Fernwärme-Anbieters geraten“. Maschinenbau-Ingenieur Müller argwöhnt, dass die meisten Geothermie-Projekte nur dem „Lithium-Hype“ geschuldet sind. „Aber es ist unklar, ob der Kilopreis überhaupt konkurrenzfähig ist“, sagt er – wegen der geringeren Konzentration im Wasser.

Zweifel an Technik zum Lithium-Abbau

Außerdem zweifelt er daran, dass die Technik im großen Industrie-Maßstab überhaupt funktioniert. Die Vulcan-Sprecherin verweist darauf, dass die Firma seit über 20 Jahren in Südamerika das Verfahren der „Sorbtion“ bei der Lithium-Gewinnung nutze: „Wir passen das Verfahren an den Chemismus des Thermalwassers des Oberrheingrabens an und optimieren den Sorbent immer weiter, um einen Anteil von über 90 Prozent des Lithiums aus dem Thermalwasser zu gewinnen.“

Das Team sei „davon überzeugt, dass unsere Lithium-Förderung funktionieren wird“. Eine Pilotanlage bestätige das. In Richtung der Bürgerinitiativen signalisiert die Sprecherin Gesprächsbereitschaft: „Wir sind für einen offenen faktenbasierten Dialog immer zu haben. Allerdings hat uns noch nie jemand dazu kontaktiert.“

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