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Experten warnen

Handysucht: Häufiger Smartphone-Gebrauch kann krank machen

Die Smartphone-Abhängigkeit ist ein Thema, das inzwischen alle etwas angeht. Wie viel Handynutzung ist zu viel? Welchen Einfluss hat das Smartphone auf den Job und auf die Familie? Antworten gibt die Multimedia-Reportage „Sind wir handysüchtig?“.

Handysucht ist ein Thema, das mittlerweile jeden etwas angeht. Ärzte und Psychologen warnen vor den gesundheitlichen Risiken der Smartphones.
Handysucht ist ein Thema, das mittlerweile jeden etwas angeht. Ärzte und Psychologen warnen vor den gesundheitlichen Risiken der Smartphones. Foto: Julia Weidemann

Vier Prozent der Smartphone-Nutzer würden lieber einen Monat lang ins Gefängnis gehen, als ein Jahr auf ihr Telefon zu verzichten.

China hat inzwischen eigene Fußgängerwege für Smartphone-Nutzer eingeführt und in Wien wurden Straßenlaternen gepolstert, damit die Unfallrate bei aufs Handy starrenden Fußgängern zurückgeht. 

Es zeigt, wie sehr die Gesellschaft mittlerweile von diesem Gerät abhängig ist. 

Auch wenn der Mini-Computer viele Vorteile mit sich bringt, warnen viele Experten vor gesundheitlichen Risiken. Knast statt Handyentzug: So lautet ein Ergebnis der Studie „Smartphone and IoT Consumer Trends“ der Firma B2X. 

Selbst wichtige Staatsangelegenheiten regelt Angela Merkel gerne per SMS. „Einige Hundert sollen es in der Woche sein, daher gilt sie vielen schon als SMS-Kanzlerin“, sagt Alexander Markowetz, Autor des Buches „Digitaler Burnout“.

Handysucht vergleichbar mit Glücksspiel

Das Smartphone ist aus Expertensicht nichts anderes als ein kleiner Glücksspielautomat, der die Menschen süchtig mache. Das Prinzip ist das gleiche: Das Gehirn hat irgendwann gelernt, bei einem Blick auf das Handy eine Belohnung zu bekommen. 

Das kann auf verschiedene Weise erfolgen. In Form einer Nachricht eines Freundes, dem Abrufen des positiven Kontostands oder der Neuigkeit, dass der Lieblingsverein aufgestiegen ist. Laut Ärzten und Psychologen sind vor allem Handy-Spiele so konzipiert , dass sie den Nutzer mit immer neuen Erfolgserlebnissen locken.

Das Entscheidende sei, dass das Glückshormon Dopamin nicht erst ausgeschüttet werde, wenn eine positive Nachricht auf dem Handy gelesen wird, sondern auch schon davor – aus einer reinen Erwartungshaltung heraus, sagt Markowetz. 

„Zusätzlich spricht die immer mal vorkommende Belohnung im Gegensatz zu einem regelmäßigen Gewinn das Gehirn viel mehr an und verstärkt damit das Suchtverhalten“, ergänzt Arne Zastrow, Leiter der Kraichtal-Kliniken. Außerdem werde es dadurch immer schwieriger, den antrainierten Griff zum Smartphone wieder abzulegen.

Handysucht wirkt sich negativ auf Gesundheit aus

Neben der Sucht hat der exzessive Smartphone-Konsum viele weitere gesundheitliche Auswirkungen auf den Menschen, sagen die Experten. Hierzu zählen psychische Störungen wie Angst, Sucht, Demenz oder Depressionen, aber auch Schlafstörungen.

„Das Handy im Bett sorgt nicht nur für weniger Schlafenszeit. Auch die Informationsflut, die auf das Gehirn einprasselt, führt zu Erregung und Unruhe“, sagt Silvia Sammet vom Baden-Württembergischen Landesverband für Prävention und Rehabilitation

Hinzu komme, dass das blaue Licht der Bildschirme die Freisetzung des Schlafhormons Melatonin beeinträchtigt. Und Schlafstörungen können oft weitere körperliche Erkrankungen nach sich ziehen. 

Allein das Gehen verlangsamt sich um 33 Prozent, wenn nebenbei gechattet wird.
Manfred Spitzer, Hirnforscher

So können indirekt auch Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck eine Folge von zu viel Smartphonenutzung sein. 

Ebenso ist Übergewicht ein Problem. Denn wer drei bis vier Stunden täglich am Handy hängt, hat nicht mehr viel Zeit für Sport. „Allein das Gehen verlangsamt sich um 33 Prozent, wenn nebenbei gechattet wird“, sagt Hirnforscher Manfred Spitzer.

Die ständig nahe Sicht auf iPhone, Samsung und Co. beeinflusst laut Ärzten außerdem das Wachstum des Augapfels. Seine Größe ist ausschlaggebend für die Weit- und Kurzsicht. Exzessiver Handykonsum erhöhe daher vor allem für Kinder und Jugendliche das Risiko, später unter Kurzsichtigkeit zu leiden.

Ein rot blinkendes Akkusymbol in der rechten oberen Ecke des Handys. Jeder weiß: Es bleiben nur noch wenige Minuten bis zum schwarzen Bildschirm. Panisch und nervös wird eine Lademöglichkeit gesucht. 

Mehr als 60 Prozent der Smartphone-Nutzer leiden laut Hirnforscher Manfred Spitzer an „fomo“ (englische Abkürzung für fear of missing out), also der Angst, etwas zu verpassen. Die psychischen Auswirkungen sind vergleichbar mit denen offizieller Verhaltenssüchte.

Ärzte sprechen offiziell von „Internet-Nutzungsstörung“

Dennoch ist die Smartphone-Abhängigkeit als solche keine anerkannte Krankheit. „Das Wort Handysucht suggeriert, dass die Sucht alleine auf das Handy als Endgerät ausgerichtet ist. Im Grunde muss aber viel breiter von einer ,Internet-Nutzungsstörung‘ gesprochen werden“, sagt Arne Zastrow, Chefarzt der Kraichtal-Kliniken

2018 wurde die „Internet Gaming Disorder“ (auf deutsch: Online-Spiel-Störung) offiziell von der WHO als Krankheit anerkannt. Häufig verleiten gerade Online-Rollenspiele zur extremen Handynutzung. Insbesondere junge Männer spielen diese oft über Apps auf dem Smartphone. 

Jüngere Frauen hingegen seien exzessiv mit Chatten beschäftigt und in sozialen Netzwerken wie Facebook unterwegs. Das sei jedoch ein Phänomen, das noch nicht breit erforscht ist und so noch keinen Eingang in die medizinischen Diagnosen gefunden habe, erklärt Zastrow.

Ampelsystem hilft bei Therapie

„Im Gegensatz zur Alkohol- oder Drogenabhängigkeit ist das Therapieziel nicht die völlige Abstinenz. Das kann in der heutigen Gesellschaft schlicht nicht umgesetzt werden“, sagt der Suchtexperte. Vielmehr gehe es darum, dem Betroffenen einen selbstfürsorglichen Umgang mit dem Gerät beizubringen.

Therapeuten führen dazu in der Behandlung eine Art Ampelsystem ein. Grüne Inhalte wie Online-Banking dürfen über das Medium weiter genutzt werden. Bei Inhalten der gelben Kategorie ist Vorsicht angezeigt und rote Inhalte wie Spiele müssen gemieden werden, da sie ein hohes Rückfallrisiko bergen.

Eltern empfangen die Signale der Kinder nicht mehr richtig.
Christian Montag, Psychologischer Leiter der Universität Ulm

„Ich finde, die Mama hat ihr Handy zu oft in der Hand“ klagt die neunjährige Laura. Mama und Papa sind das Vorbild ihrer Sprösslinge, aber „Smartphones bauen eine Mauer zwischen Eltern und Kindern auf. Eltern empfangen die Signale der Kinder nicht mehr richtig“, sagt Christian Montag.

Der psychologische Leiter der Universität Ulm warnt: „Wer die ganze Zeit das Handy vor die Nase hält, raubt seinen Kindern die direkte Interaktion. Das ist ein Problem, denn Kinder müssen lernen, was der Gesichtsausdruck der Eltern bedeutet.“ Wenn das nicht oder zu wenig passiere, könne das in naher Zukunft mit mehr Empathielosigkeit und erhöhten ADHS-Zahlen einhergehen.

Fast alle Jugendliche besitzen ein Handy

Der Umgang mit dem Smartphone in der Familie muss geregelt werden – sowohl für Eltern als auch für Kinder. Denn wegzudenken ist der kleine Alleskönner längst nicht mehr. Laut JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest haben bereits 97 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen ein Smartphone, 94 Prozent haben es täglich in der Hand.

Die Generation „Smombie“ (Wort-Mix aus Smartphone und Zombie) nutzt es überwiegend, um mit Freunden zu chatten. Knapp ein Viertel der Bildschirmzeit spielen Jugendliche, lediglich zehn Prozent bringen sie für die Informationssuche auf. 

Auch Unterhaltungsformate wie YouTube oder Musik verschlingen sehr viel Zeit. Laut einer Studie der Firma B2X und der Ludwig-Maximilians-Universität München nutzen die Teenager ihr Smartphone zwischen drei und fünf Stunden am Tag.

Kinder sollte man nicht vor Smartphones „parken“

Die große Frage, die viele Eltern beschäftigt: Ab wann bekommt mein Kind ein Handy? Medienpädagoge Tobias Gäckle-Brauchler aus Heidelberg macht dies an keinem konkreten Alter fest. „Ich rate insbesondere zu einem sinnvollen Einsatz. Die Welt in einem Trickfilm erkunden oder selbst erstellte Filmaufnahmen können bereits im Kindergartenalter nützlich sein“, sagt er.

Keinesfalls jedoch sollten Eltern ihre Kinder vor dem Handy „parken“ , damit sie ihre Ruhe haben – unabhängig von deren Alter. Jugendliche müssten von vornherein sowohl über Möglichkeiten als auch Risiken der Smartphone-Nutzung aufgeklärt werden. Vor allem aber müssten Eltern den bewussten Umgang mit dem Handy vorleben – als Vorbild.

Fünf Tipps, um der Handyfalle zu entfliehen

Dass die ständige Verfügbarkeit des Smartphones negative Auswirkungen auf den Nutzer haben kann, ist bewiesen. „Der andauernde Handykonsum zerstreut den Geist“, sagt Alexander Markowetz, Informatiker und Medienwissenschaftler. 

Die ständigen Unterbrechungen des Alltags durch das Handy sorgen dafür, dass wir uns eine fragmentierte Aufmerksamkeit antrainieren – unsere Konzentrationsfähigkeit leidet.

Fakt ist: Wer öfter mal „offline“ ist, arbeitet effektiver, kreativer und hat mehr Energie. Die digitale Entgiftung hilft dem Menschen, sich von der Abhängigkeit des Smartphones zu lösen und seine Eigenständigkeit zurückzugewinnen.

  • Das Handy neben dem Kopfkissen verleitet dazu, ständig draufzuschauen. Ein richtiger Wecker schafft Abhilfe.
  • Erst Frühstück, dann Handy: Wer morgens bereits vor dem Frühstück Nachrichten und soziale Netzwerke checkt, stresst das Gehirn und wird weniger entspannt in den Tag starten.
  • Handyfreie Zonen: Das Schlafzimmer und die Couch sollten zur handyfreien Zone erklärt werden. Das bequeme Sofa lädt dazu ein, stundenlang auf den Bildschirm zu starren. Wäre die Handynutzung nur auf einem ungemütlichen Stuhl erlaubt, würde das die Zeit am Gerät vermutlich stark reduzieren.
  • Raus aus der Hosentasche: Das Handy ist schnell aus der Hosentasche gezogen. Ist es jedoch im Rucksack oder der Handtasche versteckt, muss zum Rausholen ein größerer Aufwand betrieben werden. Genügend Zeit, um darüber nachzudenken, ob es wirklich notwendig ist.
  • Zeit mit Freunden: Die gemeinsamen Stunden bewusst ohne Handy erleben – das zeigt Freunden, dass sie jetzt gerade das Wichtigste sind.

Eigenes Nutzungsverhalten kennen und ändern

In einem ersten Schritt empfiehlt Markowetz, den eigenen Handykonsum aufzuschlüsseln. Mit wem wird kommuniziert? Wann wird das Handy eingesetzt und wie häufig? Welche Kanäle werden genutzt? Ist die Unterhaltung wirklich notwendig? Wann beeinflusst das Smartphone die Aufmerksamkeit negativ? Wann hält es von wesentlichen Dingen ab? 

So können sinnlose Zeitfresser, aber ebenso sinnvolle Aktivitäten erkannt werden und das Nutzungsverhalten zum eigenen Vorteil verbessert werden.

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