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Was treibt Sportler an?

Extremsport Highlining: Balancieren über dem Abgrund

Beim Highlining laufen Sportler über ein schmales Band, das sie über Täler und Schluchten spannen. Die BNN haben einen Balancierkünstler und zwei andere Extremsportler bei ihrem Weg in schwindelerregender Höhe begleitet.

Eine Frau auf einem Seil in hoher Höhe
Daniela Schmidt genießt die Aussicht auf der Highline. Seit acht Jahren läuft sie auf den schmalen Bändern über Täler und Schluchten. Foto: Nir Avneyon, AntiGravity Photography

In diesem Moment gibt es nichts, was Jakub Morawskis Aufmerksamkeit mehr fordert als das zweieinhalb Zentimeter breite Band unter ihm. Es ist der einzige Halt, der sich seinen Füßen bietet.

50 Meter über dem Boden hängt es, festgezurrt zwischen zwei Felsen auf einem ehemaligen Steinbruch in der Nähe von Mainz. Seine Umgebung scheint der 21-Jährige kaum wahrzunehmen.

Der starke Wind zerzaust seine Haare, das Band vibriert leicht. Aber Morawski lässt sich nicht beirren und setzt unerschüttert einen Fuß vor den anderen, auf seinem Weg über den Abgrund.

Absturz von der Slackline würde tödlich enden

Highlining nennt sich diese Extremsportart, bei der ein spezielles Gurtband, auch Slackline genannt, in so großer Höhe gespannt wird, dass ein Absturz wohl tödlich enden würde. Im Gegensatz zum Drahtseil, dass oft in Zirkussen zu sehen ist, ist die Slackline weich und gibt unter dem Gewicht des Sportlers nach.

Morawski studiert eigentlich Astronomie in Warschau, nutzt am Wochenende aber jede Gelegenheit, um in ganz Europa Slacklines über Schluchten und Abgründe zu spannen. Um seine Hüfte trägt er dabei einen Klettergurt, ein etwa zwei Meter langes Sicherungsseil verbindet den Hüftgurt mit der Highline.

Ohne hinzusehen tastet Morawski ein weiteres Mal mit der Hand den Knoten ab, an dem bei einem Sturz sein Leben hängt. Dann dreht er sich zur Seite und bleibt in der Mitte der Slackline stehen. Büsche und Bäume unter ihm wirken wie die Deko einer Modelleisenbahn. Mit einer raschen Bewegung drückt er sich mit den Füßen von dem schmalen Band ab und stürzt mit Kopf voraus in die Tiefe.

Das Band nur mit erfahrenen Sportlern spannen

Ein lauter Knall tönt durch den verlassenen Steinbruch. Die Highline und das direkt darunter befestigte Seil schlagen gegeneinander. Morawski wird durch die Luft geschleudert bevor er zwei Meter unter dem gespannten Seil zur Ruhe kommt. Dort baumelt er in seinem Klettergurt, das Sicherungsseil fest verbunden mit der Highline.

Diese Sportart ist absolut sicher, wenn man alles richtig macht.
Jakob Kirsten, KIT-Student und Highlining-Sportler

„Diese Sportart ist absolut sicher, wenn man alles richtig macht“, sagt Jakob Kirsten, der Morawski grinsend zuschaut. Aber genau da liegt das Problem. Falsch aufgebaut, birgt eine Highline Lebensgefahr.

Darum empfiehlt Kirsten, nur mit erfahrenen Sportlern das Band über Abgründe zu spannen. Dabei wird – neben anderen Sicherheitsvorkehrungen – zusätzlich zur Slackline direkt darunter ein zweites Band oder ein Statikseil gespannt. Falls die Slackline reißt, wird der Sportler davon aufgefangen, erklärt Kirsten, der in Karlsruhe Physik studiert.

Bis das alles korrekt aufgebaut ist, kann es dauern. Für die Line in dem alten Steinbruch haben insgesamt drei Slackliner rund zwei Stunden gebraucht. Zu lange, um es mal eben nach der Vorlesung zu machen. Darum geht KIT-Student Kirsten unter der Woche in Karlsruher Parks und spannt sein Sportgerät in bis zu drei Metern Höhe zwischen Bäumen.

Absolute Konzentration ist gefragt

Eine Sicherung braucht Kirsten dafür nicht, gefährlich kann ein Sturz aus dieser Höhe aber dennoch sein. „Weil die Slacklines Durchhang haben, müssen wir bei 80 Meter langen Lines die Ankerpunkte so hoch setzen“, erklärt Kirsten.

Ansonsten würde der 20-Jährige auf halbem Weg den Boden berühren. Absolute Konzentration ist in jeder Höhe gefragt.

Mit der Übung verschwindet die Angst

Auf einem Slackline-Treffen im polnischen Lublin steht Daniela Schmidt auf einer Highline, die im dritten Stock von Fenster zu Fenster über die Fußgängerzone gespannt ist.

Von unten klingt die Musik eines Straßenmusikers zu ihr, sie verharrt und beginnt, auf dem dünnen Band rhythmisch hin und her zu wippen, ihre Arme schwingen locker durch die Luft.

Was so leicht aussieht, ist Ergebnis harten Trainings. „Als ich das erste Mal auf einer Highline stand, konnte ich nicht aufstehen, so viel Respekt hatte ich vor dem Fallen“, erzählt Schmidt. Das war vor acht Jahren. Heute verspürt die in Bad Schönborn geborene Frau keine Angst mehr. „Eine Zeit lang habe ich mich eher unter Druck gesetzt, eine Line komplett durchzulaufen“, sagt sie.

Bislang keine offiziellen Wettkämpfe im Highlining

Denn obwohl es in dieser Sportart keine offiziellen Wettkämpfe gibt und alle nur gegen ihre eigene Angst kämpfen, gibt es doch eine Rekordjagd. Der 21-jährige Morawski ist mit einer über 720 Meter gelaufenen Line einer der besten polnischen Slackliner.

Den aktuellen Weltrekord halten seit Ende September sechs Sportler, fünf Männer und eine Frau. Sie alle schafften es, in Asbestos, Quebec, eine Highline von 1,9 Kilometern Länge durchzulaufen.

Das zeigt eine weitere Besonderheit beim Highlining. Zwischen Männern und Frauen gibt es bei dieser Sportart nach Kirstens Worten kaum Unterschiede, da ein Großteil der Herausforderung mental bewältigt werden müsse. „Man braucht sehr viel Konzentration und Willenskraft, um seine eigene Angst zu überwinden“, sagt der Karlsruher Student.

Es sei zwar anstrengend, mit dem gesamten Körper die Balance auf dem schmalen Band zu halten, mit einer gewissen Grundfitness könne das aber jeder erlernen, egal ob acht oder 80 Jahre alt.

Vereine gibt es dafür in der Region nicht. Stattdessen schnappt man sich laut Schmidt am besten einfach eine Slackline und geht damit in den Park. Mit passendem Baumschutz ist das in Karlsruhe etwa im Fasanengarten erlaubt, sagt Helga Riedel vom Presseamt der Stadt Karlsruhe. Im Schlossgarten, der ein Fauna-Flora-Habitat-Schutzgebiet ist, sei es offiziell verboten.

Die Gemeinschaft ist einfach unglaublich.
Jakub Morawskis, Highlining-Sportler

Eine eigene Slackline ist am Anfang aber gar nicht notwendig. „Ich spreche auch selbst Leute an, und frage, ob ich laufen kann, wenn ich mal zufällig ohne Line im Park bin“, erzählt Schmidt. Überhaupt sei es die Gemeinschaft, die für sie beim Slacklinen im Vordergrund stehe. „Wir sind wie eine Familie“, erklärt die 27-Jährige. Morawski stimmt ihr zu: „Die Gemeinschaft ist einfach unglaublich.“

Sportler verbinden Urlaub mit Highlining

Kein Wunder, dass die Sportler mittlerweile auch ihren Urlaub mit dem Highlining verbinden. Schmidt reiste 2018 durch die USA, um dort ihrem Sport nachzugehen. Kirsten möchte in diesem Jahr auf Highline-Festivals in Frankreich, Bosnien und der Schweiz und Morawski plant bereits neue Lines mit mehreren hundert Metern Länge in Polen.

Hier ein Video von einem Highline-Projekt mit Jakub Morawski:

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