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Neues aus dem Elternleben

Ich bin noch zu jung für die Freiheit

Wer kleine Kinder hat, wünscht sich nichts sehnlicher als ein paar Momente der Freiheit. Aber wenn die Kinder dann langsam aus dem Nest streben, muss man als Mutter erstmal wieder lernen, mit seiner Freiheit etwas anzufangen.

Die Welt ist bunt: Vor allem mit Kindern.
Die Welt ist bunt: Vor allem mit Kindern. Foto: Dolgachov/Fotolia

Meine junge, kinderlose Nachbarin erzählte mir kürzlich (wohlgemerkt ungefragt!), wie sie und ihr Partner sich die Familienplanung vorstellen. „Später wollen wir auch mal Kinder. Aber jetzt genießen Ben und ich erst mal unsere Freiheit.“ „Verständlich“, murmelte ich und nickte zustimmend. Später fiel mir auf, dass das mit der Freiheit eine seltsame Sache ist. Bevor man Kinder hat, fürchtet man ihren Verlust, während man Kinder großzieht, weiß man sie zu schätzen und wenn die Kinder dann kurz davor sind, das Nest zu verlassen, fürchtet man sie wie kaum etwas sonst.In letzter Zeit wird mir das immer schmerzlicher bewusst. Neulich zum Beispiel, als mein Mittlerer mich mit dem Beschluss überraschte, er wolle nun versuchen, sich vegan zu ernähren. Vegan? Es kommt mir vor, als hätte er erst gestern noch im Kinderwagen gesessen und seine kleinen Patschehändchen begeistert der Metzgersfrau mit dem „Rädle Worschd“ entgegengestreckt. Oder die Tochter. Hatten wir nicht erst vergangene Woche über die Notwendigkeit des Tragens einer Strumpfhose unter dem Schneeanzug diskutiert? Jetzt kehrt sie zurück von Shoppingtouren mit Freundinnen, deren Namen ich nicht zuordnen kann, und präsentiert stolz das neue, persönlich ausgesuchte und selbst bezahlte Outfit. Ich weiß, dass ich mich über die Selbstständigkeit meiner Kinder freuen muss. Natürlich sollen sie das Nest verlassen, ihre Flügel ausbreiten und in Gefilde aufbrechen, in denen ich noch niemals war. Trotzdem muss ich die Enttäuschung herunterschlucken, die mich anfliegt, wenn meine Tochter auf einen gemütlichen Fernsehabend mit mir so viel Lust hat wie auf eine Zahnreinigung. Und ich bin tapfer dabei zu lernen, es nicht persönlich zu nehmen, wenn meine sorgsam formulierten WhatsApps mit einem Daumen hoch oder gar nicht beantwortet werden.

Es gab diese Zeit, in der die Kinder und ich eins waren. Ich konnte in ihren kleinen Gesichtern lesen wie in einem Buch. Jede Gefühlsregung kannte ich, jeden Kindergarten-, jeden Schulfreund und jeden einzelnen Socken in ihren Sockenschubladen. Ich will nicht verschweigen, dass es Momente gab, in denen ich mich nach Freiheit sehnte. (Vor allem angesichts der Sockenschublade.) Aber jetzt, wo sie alle drei kurz davor sind, das Haus zu verlassen, möchte ich sie am liebsten in ihren Zimmern einschließen und flehentlich schreien: „Ne-in! Geht nicht! Ich bin doch noch viel zu jung für die Freiheit!“

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