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Betroffene Männer berichten

Konversionstherapie: "Schade Alex, aber so kommst du nie ins Himmelreich"

"Homosexualität ist heilbar" - diese absurde Vorstellung ist in Deutschland vor allem in streng evangelikalen Kreisen noch vereinzelt anzutreffen. Sie bieten Konversionstherapien an, die Schwule und Lesben umpolen sollen. Zwei Männer, die eine solche Therapie durchlitten haben, berichten von ihren Erlebnissen.

Alexander Ketterl (rechts) erkannte selbst, dass ihm die Konversionstherapie schadet. Er stieg aus und distanzierte sich von seinem evangelikalen Umfeld. Mit seinem Partner engagiert er sich für Lesben und Schwule in der Kirche.
Alexander Ketterl (rechts) erkannte selbst, dass ihm die Konversionstherapie schadet. Er stieg aus und distanzierte sich von seinem evangelikalen Umfeld. Mit seinem Partner engagiert er sich für Lesben und Schwule in der Kirche. Foto: Frei

"Homosexualität ist heilbar." Diese absurde Vorstellung ist in Deutschland vor allem in streng evangelikalen Kreisen noch vereinzelt anzutreffen. Sie bieten Konversionstherapien an, die Schwule und Lesben umpolen sollen. Diese Maßnahmen sind schädlich und entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage. Deshalb werden sie jetzt in Deutschland verboten. Wir sprachen mit zwei Männern, die eine solche Therapie durchlitten haben.

Ich. Bin. Nicht. Schwul. Patrick Schärer war sich da mal ganz sicher. Auch wenn er früh bemerkte, dass er nicht so war wie die anderen Jungs. „Ich übte Cello, wenn sie Fußball spielten und vertrieb mir die Zeit mit philosophischen Gedanken, während sie über Mädchen sprachen.“ Aber schwul? Auf gar keinen Fall! Das passte doch gar nicht zu ihm. Das konnte nicht zu ihm passen. Schließlich liebte Patrick Gott mehr als alles andere. Gott verstand ihn. Gott sprach sogar mit ihm und das würde Gott doch ganz sicher nicht tun, wenn Patrick schwul wäre. Schließlich wusste der Heranwachsende aus seiner intensiven Bibellektüre: Homosexualität ist Gott ein Gräuel.

Über 30 Jahre gegen das Schwulsein angekämpft

Ein halbes Leben hat es gedauert, bis Patrick Schärer begriff, dass das nicht stimmt. 30 Jahre kämpfte er gegen seine „Anfechtungen“, wie er seine Homosexualität nannte, bevor er den Mut fand, sich zu ihr zu bekennen.

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Der Weg dahin war lang und dornig. Über drei Jahrzehnte hat es gedauert, bis der studierte Musiker und freikirchliche Missionar akzeptieren konnte, dass er – erstens – schwul ist, dass Gott ihn – zweitens – trotzdem liebt und dass Homosexualität – drittens – keine Krankheit ist. Nichts, was man heilen muss, geschweige denn heilen kann.

Therapien werden verboten

Dieser lange Prozess führte den heute 53-Jährigen Heidelberger auch über eine so genannte Konversionstherapie. Eine jener umstrittenen pseudowissenschaftlichen Anwendungen, die Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jetzt verbieten lässt. Das Bundeskabinett hat dem Gesetzentwurf bereits zugestimmt.

Wer homosexuelle oder transgeschlechtliche Menschen einer Umpolung, Schwulenheilung oder Reparativtherapie unterzieht, muss künftig mit einer Gefängnisstrafe von bis zu einem Jahr rechnen. Aber auch jegliches Bewerben, Anbieten oder Vermitteln soll künftig nicht mehr erlaubt sein. Strafverschärfend ist, wenn die angeworbene Person unter 18 Jahren alt ist.

Schädlich und unwirksam

Konversionstherapien – darüber sind sich die allermeisten Psychiater und Psychologen heute einig – funktionieren nicht. Aber nicht nur das: Sie können für die Beteiligten auch überaus schädliche Wirkung haben. „Ich habe das selbst zum Glück nicht erlebt“, sagt Patrick Schärer. Doch er kennt viele Männer, bei denen der Versuch, die Homosexualität zu „heilen“, im Desaster endete. „Nicht wenige haben sich das Leben genommen oder leiden bis heute an schweren Depressionen“, sagt er.

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SCHWUL UND GLÜCKLICH: Alexander Ketterl (rechts) erkannte selbst, dass ihm die Konversionstherapie schadet. Er stieg aus und distanzierte sich von seinem evangelikalen Umfeld. Mit seinem Partner engagiert er sich für Lesben und Schwule in der Kirche. Foto: Privat Foto: None

In der Heilungsgruppe

Auch Alexander Ketterl, gebürtig aus Landsberg am Lech, hat eigentlich „Glück gehabt“. „Ich leide bis heute an den Folgen der Behandlung. Aber sicher nicht so sehr wie andere.“ Ein halbes Jahr besuchte Alex ein entsprechendes Angebot. Warum? „Wenn man gläubiger Christ ist und die Freunde immer wieder sagen: ,Alex, schade, aber so kommst Du nie ins Himmelreich‘, dann spürt man einen großen Druck.“

Er wollte geheilt werden und glaubte daran. Für eine solche „Heilungsgruppe“ verlegte er seinen Lebensmittelpunkt nach Marburg in Hessen. Das Angebot dort stammt von einer evangelikalen, christlichen Organisation, die später unter dem Namen „Wüstenstrom“ bekannt wurde und die sich jetzt „Institut für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung“ nennt.

Der mittlerweile im Kreis Ludwigsburg ansässige Verein distanziert sich auf seiner Homepage ausdrücklich von „spirituellen Maßnahmen, die einem Menschen eine Umorientierung ihrer sexuellen Orientierung versprechen oder in Aussicht stellen“. Mit dem Spahn’schen Vorstoß habe man „kein Problem“.

Wüstenstrom distanziert sich

Vor rund zehn Jahren aber, als Alexander Ketterl und Patrick Schärer noch ihr Heil in der Umorientierung suchten, war das anders. Gruppengespräche, Geistheilung und Psychotherapie gehörten zum Behandlungsplan. „Ein bisschen ist es, wie bei den Anonymen Alkoholikern. Man sitzt im Kreis und öffnet sich“, erinnert sich Alexander Ketterl.

Zusätzlich gibt es Einzelgespräche. Denn in der Theorie der Behandler, die Homosexualität als Verirrung der natürlich Sexualität sehen, gibt es meistens einen Grund dafür. „Ein gestörtes Verhältnis zum Vater zum Beispiel“, sagt Patrick Schärer.

Elektroschocks als Therapie

Aus Amerika sind deutlich drastischere Umerziehungs-Methoden bekannt. Es gibt zahlreiche Berichte von Versuchen, Homosexuelle mittels Elektroschocks „umzupolen“. Dabei wurden Schwulen Bilder von nackten Männern gezeigt und gleichzeitig ein schmerzhafter, körperlicher Reiz versetzt. Auch von Behandlungen mit Psychopharmaka ist zu lesen.

Ketterl und Schärer haben solche Methoden nach eigenen Aussagen nicht durchleiden müssen. Ob es solche Angebote in Deutschland gab oder sogar noch gibt, können sie nicht beantworten. Beide aber kennen Kreise, in denen man nach wie vor davon überzeugt ist, dass Homosexualität eine Krankheit und damit auch behandelbar sei.

Die große Liebe heilt alle Wunden

25 Jahre kämpfte Patrick Schärer gegen seine Neigung. „Ich habe mir jeden Gedanken an Sex und Liebe versagt“, erinnert er sich. Doch weil er seine Anfechtungen immer noch spürte und diese vor seinen Glaubensbrüdern auch nicht verschweigt, warfen sie ihn nach über 25 Jahren aus ihrem christlichen Kreis. „Da war ich erst mal total am Ende“, sagt der Heidelberger.

Sein gesamtes Erwachsenenleben hatte er in den Dienst der Mission gestellt. Er war um die ganze Welt gereist, hatte dafür sein Geld und all seine Zeit geopfert. Der Rauswurf aus der Gemeinschaft bedeutete auch, dass Patrick keine Bleibe mehr hatte. Erst recht versuchte er nun alles, um seine Homosexualität loszuwerden. Er verhielt sich besonders männlich, machte einen Pilotenschein und verlobte sich sogar mit einer Frau.

Freiwillig begab er sich schließlich in das Therapie-Angebot von Wüstenstrom. „Ich wollte das loszuwerden“, berichtet er. Im Lauf der Therapie passierte beiden Männern dann das Unerwartete. Patrick Schärer traf die große Liebe und Alexander Ketterl ging es ebenso. „Plötzlich war mir klar, dass ich nicht weiter gegen meine Natur gehen kann“, sagt Ketterl. Rückblickend sagt Patrick Schärer: „Für mich hatte die Therapie vielleicht sogar etwas Gutes. Denn Sie hat mich darin bestärkt, meinen Weg zu gehen.“

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