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Bomben zerstören Mühlburg

Vor 75 Jahren: Bombenangriff auf Karlsruhe

Beim Luftangriff britischer Bomber am 4. Dezember vor 75 Jahren auf Mühlburg sterben 97 Menschen im Schutzkeller des Gasthauses Drei Linden. Diese Katastrophe hat sich in das Gedächtnis der Fächerstadt eingebrannt. Insgesamt sterben an diesem Tag 375 Zivilisten in Karlsruhe.

Ruine Mühlburg
Die Nordseite der Rheinstraße zeigt nach dem Bombenangriff vom 4. Dezember 1944 ein Bild der Zerstörung. Im Keller des Gasthauses Drei Linden (der komplette dunkle Hausblock links) starben 97 Menschen. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe

535 viermotorige Maschinen der Royal Air Force fliegen am Abend des 4. Dezember einen Großangriff auf Karlsruhe. An diesem Abend wird Mühlburg im Kern zerstört. Es ist nicht der erste und nicht der letzte verheerende Schlag aus der Luft, der die Fächerstadt im von Nazi-Deutschland ausgehenden Zweiten Weltkrieg trifft.

Doch nie gibt es so viele Todesopfer wie an diesem Montag nach dem ersten Advent, nie werden so viele Stadtteile gleichzeitig getroffen: Bomben fallen von Knielingen bis Stupferich, von Daxlanden bis Hagsfeld. Das Bombardement dauert 21 Minuten.

375 Karlsruher sterben grauenvoll, darunter 176 Frauen und 58 Kinder sowie 39 ausländische Zwangsarbeiter. Die Opfer werden in Massengräbern auf dem Hauptfriedhof und in Mühlburg bestattet.

Die Rheinstraße wird ausradiert

Die Tod bringenden Bomben treffen besonders den Hafenstadtteil Mühlburg. Sie radieren Straßenzüge aus. Am schlimmsten trifft es die Schlagader des Stadtteils, die Rheinstraße.

Die Zeitzeugin Lotte Weber überlebt das Inferno im Keller ihres Hauses am Mühlburger Tor, wo auch die Christuskirche und in der Nähe das Musikerviertel um den Haydnplatz sowie die Amalienstraße stark beschädigt werden. Sie schreibt ihrem Sohn an die Front: „Der Luftminenangriff brachte das Schauderhafteste, was ich bis dahin erlebt habe, Schlag auf Schlag fielen die Minen, rauschten, pfiffen, sausten – alles erbebte, es prasselte, tobte, krachte, splitterte, eine Ewigkeit dünkte es uns.“

Als die Geschwader der Royal Airforce um 19 Uhr von Westen anfliegend Saarbrücken überqueren, heulen in der Karlsruher Weststadt die Sirenen. Es ist der sechste Fliegeralarm in der Fächerstadt an diesem Tag und der 788. im Zweiten Weltkrieg für die Karlsruher Zivilisten. Am 5. August 1941 hatte der erste Großangriff aus der Luft schwere Wunden geschlagen. Völlig zerstört aber wurde die Fächerstadt auch am 4. Dezember 1944 nicht.

Um 19.26 Uhr erscheint die britische Luftflotte über der Stadt. Die Bomberpulks schweben in rund 6 000 Metern Höhe, um den Flugabwehrgeschützen zu entgehen. Wegen dieser großen Distanz zum anvisierten Aufschlaggebiet kombiniert mit dessen schwacher Leuchtmarkierung „gibt es keinen planvoll ausgerollten Bombenteppich“, erklärt der Zeitzeuge Erich Lacker.

Ein Höhenorkan und starke Bewölkung über Karlsruhe durch eine Tiefdruckströmung mindern die Zielgenauigkeit. So klinken die ersten Bomber ihre tödliche Fracht schon aus, als die Markier-Maschinen noch gar nicht über Karlsruhe eingetroffen sind. Lacker hat mit dem vom Stadtarchiv herausgegebenen Buch „Zielort Karlsruhe, Die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg“ das Standardwerk für dieses dunkle Kapitel der Karlsruher Geschichte geschrieben.

Apokalypse im Keller

80 Viertonnen-Minen, 3 700 Sprengbomben und 134 000 Brandbomben fallen in weniger als einer halben Stunde auf Karlsruhe. Auch Durlach und besonders Rintheim werden getroffen. Nahezu verwüstet aber werden große Teile der Weststadt und Mühlburgs. Dort gab es auch die meisten Toten. Allein im Luftschutzkeller des Hauses Scheffelstraße 50 in der Weststadt erstickten 30 Menschen in Feuer und Rauch. Ein Inferno apokalyptischen Ausmaßes löst der Volltreffer des öffentlichen Luftschutzkellers unter dem Gasthaus Drei Linden in Mühlburg. 97 Menschenleben werden dort ausgelöscht. Anwohner der Rheinstraße und Besucher des Abendgottesdienstes in der Kirche St. Peter und Paul schräg gegenüber vom Schutzkeller sind die Opfer.

Schuld Mühlburg
ZUM GEDENKEN an die Opfer hängt die Tafel in der Rheinstraße. Foto: jodo

Drei Geistliche flüchten beim Alarm in das Pfarrhaus. Erst Tage später werden sie mit zehn weiteren verkohlten Leichen aus den Trümmern dieses Hauses gezogen. Als sich die Rauch- und Staubwolken legen, zeigen nur noch die Türme von Mühlburgs Kirchen in den Himmel.

Erstickt und verbrannt

In hellen Flammen sieht Heinrich Ell das Gasthaus Drei Linden, als er aus der Nuitsstraße auf die Rheinstraße kommt. Ein Bombentrichter klafft vor dem Eingang, um ihn herum liegen Verwundete und Tote. Die Bombe hat den Eingang getroffen, der Luftdruck hat die Kellermauern eingedrückt und die Schutzsuchenden, meist Frauen und Kinder sowie die im Saal des Gasthauses einquartierten Zwangsarbeiter, erschlagen und begraben. Der zweistöckige Keller stürzt ein. Die Schutzsuchenden verbrennen oder ersticken. Feuerwehrmann Ell, der nach dem Entwarnungssignal hinabsteigt, sieht im Kegel der Taschenlampe „kleine Bündel im Schutt, die Körper von toten Kindern“.

Rheinstraße
DIE RHEINSTRASSE sieht mit der glatten Zweckarchitektur der Nachkriegszeit ganz anders aus als vor der Zerstörung. An Stelle der Drei Linden geht es heute zu einem Optiker und einem Drogeriemarkt. Foto: jodo

Lacker meint: „Die große Streuung der Sprengbomben über das ganze Stadtgebiet bewahrte Karlsruhe vor dem Untergang, prägte sich aber allen Überlebenden als der große Angriff ein.“ Noch stärker wurde an jenem Abend des 4. Dezember 1944 eine andere deutsche Stadt von dem Angriff durch 600 britische Bomber getroffen: Heilbronn. Es war das Ende der historischen Käthchenstadt: 6 500 Menschen kamen ums Leben, darunter 1 000 Kinder.

Bomben auf den Todesfächer

Allein in den neun Wochen vor dem Inferno des 4. Dezember 1944 war Karlsruhe zwölf Mal aus der Luft attackiert worden. Schon der Brandbombenangriff vom 27. September schlug große Wunden in der Innenstadt. Lacker spricht vom „schwarzen September 1944“ für Karlsruhe und vom „Todesfächer“. Und nach dem Inferno blieb bis Jahresende kein Tag ohne Fliegeralarm.

Doch die Katastrophe des 4. Dezember brennt sich ganz tief in das Bewusstsein der Karlsruher ein. Nach Lackers Recherchen planten die Briten an diesem Tag „the complete destruction“, die völlige Zerstörung Karlsruhes, in einem Umkreis von einem Kilometer um den Zielpunkt Karlstor. Doch dann gerät das größte Bombardement Karlsruhes wegen Wind und Wolken bei weitgehend misslungener Zielzonenmarkierung laut Lacker „aus der Führung“.

Anker Mühlburg
DER ANKER am Lameyplatz (rechts) und das Eckhaus Rhein-/Lerchenstraße (links) waren noch lange nach dem Bombenangriff nicht bewohnbar. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe

Das alte Heilbronn wurde wegen guter Sicht für die Angreifer an diesem Abend ausgelöscht. Die totale Zerstörung blieb Karlsruhe trotz der hohen Opferzahl und der enormen Schäden erspart. Doch das eingebunkerte und im Rassenwahn fanatisierte Naziregime zwang trotz der erdrückenden Übermacht der Alliierten und ihrer Luftüberlegenheit Deutschland weiter in den „totalen Krieg“ und damit in den Untergang. Bis zur bedingungslosen Kapitulation im Mai 1945 mussten deshalb noch weiter auf allen Seiten und an allen Fronten unzählige Soldaten, Lagerinsassen und besonders auch Zivilisten gerade durch die Bombardements, die den militärischen Widerstand brechen sollten, leiden und sterben.

Auch die fünfte Bomberflotte der Briten kam noch einmal, um die strategisch wichtige Fächerstadt endgültig zu erledigen: Doch am 2. Februar 1945 richtete sie relativ wenig Schaden in Karlsruhe an.

Der vom Dritten Reich ausgehende Vernichtungsfeldzug durch Europa mit vielen Millionen Opfern aber hatte mit dem Luftkrieg schon verheerend auf Deutschland zurückgeschlagen: Karlsruhe ist wie Mannheim und Stuttgart unter die besonders stark getroffenen Städte einzureihen, gleich hinter den total zerstörten – Dresden, Frankfurt oder Hamburg, sowie den nahezu ausgelöschten Heilbronn und Pforzheim.

Rund 1 000 Mal heulten in Karlsruhe während des Zweiten Weltkriegs die Sirenen zum Fliegeralarm. Tatsächlich gab es rund 100 Luftangriffe auf die Fächerstadt. Durch diese Bombardements starben 1 745 Menschen. Etwa ein Viertel der Gebäude sind 1945 zerstört.

Alles schwankt und zittert

Am 4. Dezember vor 75 Jahren erleben Mühlburg und überhaupt der Westen der Stadt die Katastrophe: Die britische Luftarmada lädt ihre todbringend Fracht relativ ungezielt auf die Fächerstadt ab. Lacker bilanziert „ein einziges Dröhnen und Pfeifen, Rauschen und Klatschen, Klirren und Stürzen. Die Stoßwellen der in Bruchteilen von Sekunden niederhagelnden Sprengbomben aller Kaliber und Luftminen ließen die Erde beben. Alles schwankte und zitterte.“

Die Menschen kauern zusammengerollt in den Kellern. Sie halten sich zum Ausgleich des Luftdrucks und Sogs mit offenem Mund die Nase zu. Schwer getroffen wird auch das Städtische Klinikum: Eine Sprengbombe durchschlägt den Operationssaal, Schwester Leni Klotz wird getötet.

Kaiserallee
EIN TRÜMMERBILD war Mühlburg auch an der Ecke der Kaiserallee mit dem Peter-und-Paul-Platz, rechts die Haltestelle „Philippstraße“ in der Rheinstraße. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe

In der Weststadt zerfetzt eine Luftmine St. Bonifatius. Im besonders hart getroffenen Mühlburg brennen beide Gotteshäuser aus – die Kirche Peter-und-Paul an der Rheinstraße und die Karl-Friedrich-Gedächtnis-Kirche am Lindenplatz. Sie werden nach dem Krieg wieder aufgebaut.

Entenfang
DER ENTENFANG entwickelt sich in den 50er Jahren zum großen Verkehrsknoten des im Krieg schwer beschädigten und im Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit stark erweiterten Mühlburgs. Das Postamt (Mitte) und zwei Hochhäuser sowie viele der neuen Wohnblocks im Mühlburger Feld stehen schon, links die Rheinstraße, rechts fehlt noch die Südtangente Foto: Stadtarchiv Karlsruhe/Schlesiger

Dagegen werden die Spuren der Zerstörung entlang der Rheinstraße bis zum Entenfang und weiter bis zum Lameyplatz nicht mehr verwischt. Ironie der Geschichte: Die Stadtentwicklungspolitik nutzt den Kahlschlag und reißt in der Nachkriegszeit an der Rheinstraße weiter ab, um den Straßenraum für den Siegeszug des Automobils als Massenverkehrsmittel im Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit zu verbreitern.

Mühlburg bekommt den Auto-Boulevard Rheinstraße und die Durchfahrtschneise Lameystraße mit nüchternen Fassaden der Nachkriegsarchitektur sowie in den 50er Jahren einen „modernen“ Verkehrsknoten, den Entenfang mit Hochhäusern und Postamt.

An das durch die Bomben ausradierte alte Mühlburg in der Rheinstraße erinnert heute nur noch der Name der Apotheke an der Ecke zur Philippstraße und die Gedenktafel für die Opfer des Angriffs auf das Gasthaus Drei Linden. Sie hängt an der Wand zwischen „binder optik“ und „dm“.

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