Am frühen Morgen des 22. Oktober 1940 klingelten Zivilbeamte der Geheimen Staatspolizei Nazi-Deutschlands in der Gartenstraße 5 beim Ehepaar Abraham und Brunhilde Adler, geborene Levi, und befahlen ihnen, sich reisefertig zu machen.
Bis zum Abend und am folgenden Tag werden mit den Adlers allein in Karlsruhe über 950 Menschen jüdischen Glaubens nach Gurs am Fuße der Pyrenäen deportiert worden sein, der Zwischenstation zum Vernichtungslager Auschwitz.
Als wir vor dem Haus in der Gartenstraße 5 standen, war es ein sehr bedrückendes Gefühl.Sidney Zschemisch, angehende Erzieherin
Die Erinnerung an das damalige Geschehen wird in einem Unterrichtsprojekt der Katholischen Fachschule für Sozialpädagogik im Agneshaus wachgehalten. Jedes Jahr setzen sich Schülerinnen und Schüler intensiv mit den Biografien und Schicksalen der verfolgten und deportierten Juden aus Karlsruhe auseinander.
„Wir haben zunächst Stolpersteine in der Nachbarschaft unserer Schule gesucht. Als wir vor dem Haus in der Gartenstraße 5 standen, war es ein sehr bedrückendes Gefühl“, sagt Sidney Zschemisch, die mit Clara Frisch, Anna Tschan und Runa Scholz eine von elf Arbeitsgruppen bildete.
Die vier angehenden Erzieherinnen zwischen 16 und 19 Jahren recherchierten online im „Gedenkbuch für die Karlsruher Juden“ über zwei bis drei Wochen im Unterricht die Familiengeschichte der Adlers.
Verschiedene Veranstaltungen in der Stadt
„Wir machen jedes Jahr eine Veranstaltung“, erläutert Burkhard Gauly, der stellvertretende Schulleiter. Auch an diesem Freitagmorgen gehen die Projektteilnehmerinnen und Projektteilnehmer, denen sich interessierte Schüler anschließen, zu den Stolpersteinen, die der Künstler Gunter Demnig verlegt hat.
Vor der Gartenstraße 5 referieren die vier Schülerinnen die Lebensgeschichte der Adlers, die sie auf einem Kleinplakat an der Hauswand anbringen. Anna Tschan legt einen kleinen Blumenstrauß ab, eine Gedenkkerze wird entzündet. „Das Thema ist wichtig, es gehört zu unserer Geschichte“, sagt Mitschülerin Selina Hertel.
Dann holen die vier Putzmittel und Schwämme heraus, um die Stolpersteine zu putzen. Bald blinkt das Messing wieder warm und tröstlich. „Mit hoher Ernsthaftigkeit erfolgte die Auseinandersetzung“, bestätigt Klassenlehrer Willi Groß.
In Durlach nehmen 90 Personen an der Veranstaltung teil
Am Nachmittag setzt sich unterdessen in Durlach ein Zug von 90 Personen still am Schlossplatz in Bewegung. Schülerinnen und Schüler des Markgrafen-Gymnasiums aus den Literatur- und Theaterkursen von Lehrerin Marie-Christine Haas, die mit ihrem Kollegen Herbert Siebach die Aktion organisiert, halten ein Transparent mit der Aufschrift „Nie wieder ein dunkles Deutschland“.
Ziel ist der Gedenkstein in den Grünanlagen am Durlacher Bahnhof, den der Schülerjahrgang 2010/11 entworfen hat. Dort stellen sich die Schüler im weiten Halbkreis auf, einzelne treten hervor und personifizieren mit ihrer Stimme jeweils einen der 26 Durlacher Deportierten.
Für einige Schüler sind die Geschehnisse schwer vorstellbar
„Fanny Wolf, Jägerstraße 3“ rezitiert Michelle Rusaev, die es „schockierend findet, dass es soweit kommen konnte“. Michel Bodenbach sagt „Arthur Godensky, Pfinztalstraße 84“. Für ihn ist es durch den zeitlichen Abstand „schwierig, sich vorzustellen, wie das damals war“.
Elisabeth Kratzert und Nikolas Käppele lesen aus den anrührenden Erinnerungen des Gurs-Überlebenden Kurt Salomon Maier „Als ich ein kleiner Junge war, liebte ich Züge“. Dann spielt Niklas Krüger auf der Klarinette das Thema des Films „Schindlers Liste“.
Besucher Wassili Meyer-Buck, der mitgelaufen ist, findet: „Es ist eine wichtige Angelegenheit.“ Die evangelische Pfarrerin Anne Helene Kratzert meint: „So ist es eine konkrete Erfahrung und nicht nur abstraktes Wissen.“