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Obdachlose in Karlsruhe

Unterwegs mit dem Kältebus: Hilfe erwärmt die Herzen

Wenn Aksana Novikova in den Kältebus steigt, ist es draußen bereits dunkel und eiskalt. Bald suchen sich die Obdachlosen ihren Schlafplatz für die Nacht. Damit sie es dort so warm wie möglich haben, sind die Ehrenamtlichen mit heißem Tee und warmen Decken auf dem Weg zu ihnen.

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Der Kofferraum des Kältebusses ist vollgepackt mit Teekannen, Wolldecken und Kleiderspenden. Foto: cf

Wenn Aksana Novikova in den Kältebus steigt, ist es draußen bereits dunkel und eiskalt - so auch an diesem Dienstagabend. Es ist 19 Uhr, als der Motor des Busses ratternd zum Leben erwacht. Bald suchen sich die Obdachlosen auf den Straßen ihren Schlafplatz für die Nacht. Damit sie es dort so warm wie möglich haben, sind die Ehrenamtlichen mit heißem Tee, warmen Decken und Kleidungsstücken auf dem Weg zu ihnen. Auch Schokolade haben sie im Gepäck. Die schützt zwar nicht den Körper vor Kälte, aber wärmt vielleicht ein bisschen das Herz.

Neben Novikova, einer von drei Initiatoren des Projekts des Deutschen Roten Kreuz (DRK) , sind an dem Abend noch drei weitere Ehrenamtliche Teil des Teams. Monika Kiefer ist hauptberuflich für „Essen auf Rädern“ unterwegs, einem Angebot des DRK. Früher war sie Lkw-Fahrerin, bevor sie sich bei einem Sturz von einem Sattelauflieger den Rücken verletzte und berufsunfähig wurde. Roland Weber war viele Jahre beim Rettungsdienst, bis das wegen einer Lungenerkrankung nicht mehr ging. Für Tomasz Dybal ist es der erste Einsatz im Kältebus. Er hat in den BNN einen Artikel über das Projekt gelesen und sich als Ehrenamtlicher gemeldet. Allen gemein ist der Wunsch, den Obdachlosen das Leben auf der Straße im Winter etwas erträglicher zu machen.

Hilfe wird nicht immer angenommen

Seit dem 7. Januar dreht der Kältebus regelmäßig seine Runden in Karlsruhe , immer dann, wenn das Thermometer unter die 0-Grad-Marke fällt. Meistens fährt der Bus eine bestimmte Route ab, außer das Team wird von der Polizei oder Personen, die die Hilfe-Nummer wählen, zu einem bestimmten Ort gerufen. Am Dienstag ist das so. Mitarbeiter einer Drogerie in der Oststadt haben einen Obdachlosen gemeldet, der sich in letzter Zeit regelmäßig in der Straße aufhalte. Er habe sich seine Hosen am Schienbein aufgerissen, heißt es, weil die Wunden an seinen Beinen so jucken würden. Als der Kältebus an Ort und Stelle ankommt, läuft der Mann mit einem Handwagen voller prall gefüllter Plastiktüten den Bürgersteig entlang. Den angebotenen Tee lehnt er vehement ab. „Maybe tomorrow“, sagt er auf Englisch, „vielleicht morgen“.

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Das Kältebus-Team bespricht den nächsten Einsatz. Von links: Monika Krämer, Tomasz Dybal, Roland Weber und Aksana Novikova. Foto: cf

Nicht alle Obdachlosen nehmen die Hilfe des Kältebusses gerne an. „Manche sind dankbar. Manche nicht. Manche sind genervt“, sagt Aksana Novikova. Warum das so ist, weiß niemand ganz genau. „Man wird mit der Zeit vielleicht misstrauisch“, vermutet Kollege Weber. Viele Obdachlose wollten wohl einfach nicht gestört werden, so Novikova weiter. Niemand solle wissen, wo sich ihr Schlafplatz befinde und die Wohnungslosen hätten Angst um die wenigen Sachen, die sie bei sich haben. „Diese Sachen sind ihre Babys“, fügt Monika Kiefer hinzu. Alle können sich noch an eine Frau erinnern, die immer einen Puppenwagen dabei habe, ein anderer Mann sammele kleine Kuscheltiere an seinem Rollator.

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Die Sachen der Obdachlosen sind "wie ihre Babys" sagt Monika Krämer vom Kältebus-Team. Foto: cf

Leben auf der Straße oft eigene Entscheidung

Auch im Karlsruher Stadtteil Mühlburg sieht das Kältebus-Team kurze Zeit später einen Einkaufswagen voller Tüten und verschlissener Decken vor einem asiatischen Restaurant stehen. Der Mann, dem die Sachen gehören, ist bereits ein alter Bekannter. Gerade isst er eine Portion gebratener Nudeln, die die Restaurantbesitzer spendiert haben. Dazu gibt es ein Bier. Eine Mütze, an der mit Sicherheitsnadeln verschiedene Aufnäher befestigt sind, hat er bereits, aber den angebotenen Tee mit Zucker und auch einen Schokoladen-Weihnachtsmann nimmt er gerne an. Drei Zuckerpäckchen sollen es allerdings sein und bitte nur die mit roter Verpackung. Fürs nächste Mal wünscht er sich, wenn möglich, eine kurze Sporthose, sagt der Mann. Das Kältebus-Team verspricht, nach einer solchen zu schauen. Am nächsten Tag sei er im öffentlich zugänglichen Vorraum einer Bank zu finden, erklärt der Mann daraufhin. Zwar gebe es Unterkünfte für Obdachlose, beispielsweise in der Kriegsstraße, aber da gehe er nicht hin. „Bevor ich noch mit jemandem Streit bekomme“, sagt der Mann und blickt auf seine Hände.

Etwa 600 Menschen seien in Karlsruhe zurzeit obdachlos, erklärt Aksana Novikova. Wie viele davon jedoch tatsächlich auf der Straße leben, könne man nicht genau sagen. Meist sei das Leben draußen allerdings selbst gewählt. „Obdachlose können sich oft in die Strukturen der Unterkünfte nicht mehr einfügen“, weiß Kollege Weber. Dort müssten sie sich an bestimmte Uhrzeiten halten, dürften keinen Alkohol trinken und keine Tiere mitbringen. Auch dürften sie nicht auffällig werden. Das falle vielen schwer.

Große Freude über kleine Dinge

Als letzte Station fährt der Kältebus meist den Hauptbahnhof an. Einige Obdachlose übernachten dort in den verglasten Wartehäuschen an den Gleisen. Auch in einem Schnellrestaurant sind die wohnungslosen Menschen geduldet, solange sie sich unauffällig verhalten. Dort fällt dem Kältebus-Team auch gleich eine Frau auf. Auch sie hat einen Wagen mit einigen wenigen Habseligkeiten bei sich. Sie trägt goldene Absatzschuhe mit Schleifchen und flauschige rosa Kuschelsocken. Auf dem Tisch liegt etwas Kleingeld. „Ihre letzten Groschen, vielleicht für einen Kaffee“, vermutet Monika Kiefer und fragt vorsichtig, ob sie sich mit an den Tisch setzen darf. Die Dame mit den goldenen Schuhen freut sich sichtlich. Tee und Schokolade nimmt sie lächelnd entgegen. Ein Mann am Nachbartisch zeigt dem Kältebus-Team einen erhobenen Daumen. „Ich finde das super, was Sie machen“, sagt er zu Tomasz Dybal.

Eine Schicht im Kältebus im Schnelldurchlauf: In vier Stunden fährt das Team mehrere Orte ab, an denen Obdachlose oft ihr Nachtquartier beziehen.

Am Gleis hat sich ein Mann bereits in seinem Schlafsack ins Wartehäuschen gelegt. Er schläft so tief und fest, dass er auch durch Novikovas Ansprache nicht aufwacht. Kurzzeitig herrscht Nervosität: Atmet der Mann noch? Doch in der gleichen Sekunde ertönt ein leises Atemgeräusch und Novikova ist beruhigt. Wenn der Mann am nächsten Morgen aufwacht, wird er einen Becher Tee und ein neues Paar Wollsocken neben sich finden.

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In den Wartehäuschen an den Gleisen verbringen Obdachlose häufig die Nacht. Foto: cf

„Diese Dankbarkeit ist selten“

Auf dem Gleis gegenüber hat sich hingegen bereits eine Gruppe von etwa zehn Obdachlosen im Wartehäuschen versammelt. Ein latenter Biergeruch liegt in der Luft, doch die Freude ist riesig, als Frau Kiefer und Herr Dybal die Tür öffnen. Stolz zeigt ein Mann seine Handschuhe. „Die habe ich von euch bekommen“, sagt er. Viele Obdachlose halten ihre neuen Wolldecken fest im Arm, die sie in den vergangenen Tagen vom Kältebus-Team bekommen haben. „Die Dankbarkeit, die man hier sieht, sowas hat man heutzutage selten“, sagt Frau Kiefer wenig später, „Die Leute sind froh, wenn sich jemand um sie kümmert.“

Voraussichtlich bis März wird das auf jeden Fall noch das Kältebus-Team tun, zumindest, solange die Temperaturen auf niedrigen Werten bleiben. Aber auch im nächsten Winter soll der Kältebus wieder fahren. In diesem Winter sei das „ein Schnellschuss“ gewesen. Der Entschluss, ein Kältebus-Projekt für Karlsruhe zu starten, stand Mitte November, im Dezember musste das Projekt finanziert werden. Ein kleines Startkapital habe der DRK-Kreisverband zugeschossen, das habe für den großen Wasserkocher und das erste Päckchen Tee gereicht. Seither wird das Projekt von Spenden getragen. Das laufe jedoch gut, bisher käme viel zusammen, egal ob Sach-, Geld- oder Zeitspenden, freut sich Aksana Novikova. Durch die Berichterstattung in den Medien hätten sich immerhin etwa 30 neue Ehrenamtliche gemeldet, das sei eine ganze Menge. „Jetzt bekommen die Obdachlosen Aufmerksamkeit“, sagt Novikova: „Und das ist gut so.“

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