Das Coronavirus hat sogar das angeblich älteste Gewerbe der Welt lahmgelegt – die Prostitution. Bordelle sind seit der bundesweiten Verordnung vom 16. März geschlossen, Sexstudios dürfen keine Kunden mehr hereinlassen und Prostituierte haben eilig Deutschland verlassen. Karlsruhe geht aber noch einen Schritt weiter. Dort ist nicht nur der Betrieb von Bordellen verboten, auch Prostitution und der Kauf von Sex ist illegal. Als einzige deutsche Stadt bestraft Karlsruhe damit bei einem Verstoß Freier und Prostituierte gleichermaßen.
Freier haben aktuell schlechte Karten, seit die bundesweit gültige Vereinbarung zur Eindämmung des Coronavirus am 16. März veröffentlicht wurde.
Seither sind nur noch wenige Prostituierte in Deutschland. Juanita Henning von der Selbsthilfeorganisation Doña Carmen e.V. geht davon aus, dass vor der Corona-Krise vier von fünf der im Rotlichtmilieu tätigen Frauen aus dem Ausland stammten. Als sie merkten, dass sie hier kein Geld mehr verdienen können, seien sie heimgereist, zu ihren Familien und Freunden nach Rumänien, Bulgarien und Ungarn.
Nur rund 20 Prozent der Prostituierten sollen in Deutschland geblieben sein
Hier geblieben seien nur jene Prostituierte, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben – etwa 20 Prozent. Für sie sieht Henning schlechte Zeiten. „Sie haben nun null Einkommen“, sagt sie. Und dazu keine Wohnung, schließlich mussten die Bordelle schließen.
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Damit die Frauen nicht gänzlich auf der Straße landen, lassen manche Bordelle die Frauen noch weiter dort wohnen, weiß Elke Winkelmann vom Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e.V. (BSD). Sie betreibt selbst ein Bordell in Berlin. Und macht sich Sorgen um die Prostituierten.
Frauen, die schon vorher überlegt hatten damit aufzuhören, lassen sich jetzt gezielt beraten.Andrea Spitzer, Bereichsleiterin des Mariposa Frauencafés in Karlsruhe
Dass es denen jetzt schlecht geht, sieht auch Andrea Spitzer. Bei der Bereichsleiterin des Mariposa Frauencafés, einer Beratungsstelle für Prostituierte in Karlsruhe, melden sich zurzeit viele Prostituierte. „Frauen, die schon vorher überlegt hatten damit aufzuhören, lassen sich jetzt gezielt beraten“, sagt Spitzer. Wegen der Ansteckungsgefahr mit Corona melden sich die Frauen vor allem telefonisch, es gibt aber auch Einzelsprechstunden.
Neben Ausstiegsgesprächen weist Spitzer die Prostituierten auf mögliche Hilfen hin. „Wir kooperieren eng mit dem Jobcenter, dort bekommen die Frauen schnell Arbeitslosengeld II“, berichtet sie. Bei den nun beschlossenen Soforthilfen müsse man schauen, welche für die Prostituierten in Frage kommen.
Um die Zeit, bis die staatlichen Hilfen greifen, zu überbrücken, hat die Diakonie Baden einen Nothilfefonds eingerichtet. Damit sollen die Frauen in den nächsten Wochen mit dem Nötigsten versorgt werden. Im Diakonischen Werk Karlsruhe wird unterdessen eine Notunterkunft für mittellose Frauen mit insgesamt fünf Betten eingerichtet.
Sozialarbeiterin sieht Prostituierte als Opfer von Menschenhandel
Die Diakonie Baden fordert Bordellbesitzer auf, Prostituierte weiterhin in deren Rotlichtbetrieben wohnen zu lassen, um sie vor der Obdachlosigkeit zu bewahren. Für Ingeborg Kraus von der Initiative Karlsruhe gegen Sexkauf ist das völlig unverständlich. „Man lässt die Frauen weiterhin in den Fängen der Ausbeuter“, sagt die Psychotherapeutin, die seit 20 Jahren mit Prostituierten arbeitet.
Jetzt müsse den Frauen, die noch in Deutschland sind, beim Ausstieg aus der Prostitution geholfen werden. Für Kraus ist Prostitution kein Job, sondern sexuelle Gewalt. Und die aktuelle Zwangspause dieses Gewerbes damit begrüßenswert.
Einen ähnlichen Eindruck von Prostitution hat Sabine Constabel von Sisters e.V. . Die Sozialarbeiterin sieht Prostitution als Unrechtssystem. Genau wie Juanita Henning von Doña Carmen vermutet auch sie, dass 80 Prozent der Prostituierten aus dem Ausland stammen. Sie geht allerdings davon aus, dass diese Opfer von Menschenhandel sind und mittlerweile wieder von ihren Zuhältern nach Hause geschickt worden sind.
Karlsruhe verbietet als erste Stadt den Sexkauf
Da es diese Frauen zu schützen gilt, begrüßt Constabel die Allgemeinverfügung, die Karlsruhe am 19. März erlassen hat. Der Stadtverwaltung ging die bundesweite Verfügung nicht weit genug. Darin wird nämlich lediglich der Betrieb von Bordellen und Prostitutionsstätten verboten.
Damit werden diejenigen bestraft, die die Wahl haben.Sabine Constabel, Sisters e.V.
In der Karlsruher Allgemeinverfügung werden Prostitution und der Kauf von Sex gänzlich untersagt. Es werden bei einem Verstoß also nicht nur die Prostituierten, sondern auch die Freier belangt. „Damit werden diejenigen bestraft, die die Wahl haben“, sagt Constabel.
Karlsruhe ist damit die einzige Stadt in Deutschland mit einem Sexkaufverbot . In Stuttgart etwa ist lediglich Prostitution verboten. Kraus von der Initiative Karlsruhe gegen Sexkauf findet es unglaublich, dass Karlsruhe die einzige Stadt in Deutschland ist, die den Fokus nicht nur auf die Frauen richtet. „Denn es sind die Freier, die vulnerable Frauen in ihrer Not und Zwangslage ausnutzen“, gibt sie zu bedenken.
Was Constabel und Kraus befürworten, ist Henning ein Dorn im Auge. Ihr Verein Doña Carmen rät Prostituierten zwar, aufgrund der Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus nicht zu arbeiten. Da Prostitution für sie aber ein normaler Job ist, hält sie sämtliche Verbote dagegen für stigmatisierend. „Das Coronavirus wird missbraucht, um Prostituierte und Freier zu kriminalisieren“, sagt sie.
Der Straßenstrich in Frankfurt bleibt legal
Sie bemängelt zudem, dass Karlsruhe die Verfügung nicht befristet hat und dadurch die Gefahr besteht, dass das Verbot für immer bestehen bleibt. Die Stadt Karlsruhe schreibt dazu, dass das Verbot aufgehoben wird, sobald sich die Lage stabilisiert habe.
Bis es soweit ist, sieht Henning vor allem in Karlsruhe und Stuttgart die Gefahr, dass Prostituierte in die Illegalität abrutschen, wenn sie auf das Geld angewiesen sind. In anderen Städten, wie beispielsweise in Frankfurt, ist Prostitution auf dem Straßenstrich noch erlaubt. „Wenn sie nichts zu essen haben, werden sie sich prostituieren“, gibt sie zu bedenken.
Dass Prostituierte komplett in die Illegalität abtauchen und nicht mehr auffindbar sind, ist Constabel von Sisters zufolge aber nur schwer möglich. „Frauen müssen sichtbar gehandelt werden“, sagt sie. Sonst könnten Freier die Prostituierten nicht finden.
Wie geht es nach der Corona-Pandemie mit der Prostitution weiter?
Was nach der Corona-Pandemie mit der Prostitution geschieht, ist offen. Juanita Henning von Doña Carmen hofft, dass nach der Krise die Verbote wieder aufgehoben werden. Auch Bordellbetreiberin Winkelmann denkt so: „Es gibt in Deutschland eine freie Berufswahl.“
Sozialarbeiterin Constabel geht ebenfalls davon aus, dass sich schnell alles wieder wie vorher etabliert. Sie freut sich darüber allerdings nicht: „Dann können wir wieder zuschauen, wie die Zuhälter die Frauen hier vermarkten.“ Sie sieht an dem Stopp aber etwas Positives: „Männer werden nun feststellen, dass sie trotz geschlossener Bordelle nicht platzen.“
Die Initative Karlsruhe gegen Sexkauf fordert ein Sexkaufverbot nach „Nordischem Modell“. Dieser Begriff leitet sich vor allem von der schwedischen Rechtssprechung ab, nach der Freier bestraft, Prostituierte aber als Opfer gesehen und daher nicht kriminalisiert werden. Sisters e.V. unterstützt betroffene Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution. Der Verein sieht Prostitution als schweren Verstoß gegen die Menschenwürde und die Menschenrechte. Doña Carmen e.V. nennt sich auch „Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten“. Der Verein engagiert sich für die Anerkennung der Prostitution als Beruf.
Der Bundesverband sexuelle Dienstleistungen e.V. setzt sich ebenfalls dafür ein, dass Prostitution weiterhin ausgeübt werden kann.
Das Mariposa Frauencafé von The Justice Project e.V. und Luis.e vom Diakonischen Werk Karlsruhe sind Beratungsstellen für Prostituierte in Karlsruhe.