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Deutschlandticket

KIT-Mobilitätsforscher Chlond: 49-Euro-Ticket könnte die Zugangshürden senken

Günstige Tickets für deutschlandweiten Nahverkehr senken die Schwellen zur Nutzung von Bussen und Bahnen und helfen somit beim Klimaschutz. Allerdings ist ihre Finanzierung bislang nicht komplett durchdacht.

Leistungsfähiges System: Der Mobilitätsforscher Bastian Chlond vom KIT sieht noch ungenutzte Reserven im Öffentlichen Verkehr, der zuletzt in der Corona-Pandemie zahlreiche Kunden verloren hat.
Leistungsfähiges System: Der Mobilitätsforscher Bastian Chlond vom KIT sieht noch ungenutzte Reserven im Öffentlichen Verkehr, der zuletzt in der Corona-Pandemie zahlreiche Kunden verloren hat. Foto: Uwe Anspach/dpa

Das geplante 49-Euro-Ticket bietet seinen Nutzern neben dem niedrigen Preis auch eine deutlich vereinfachte Handhabung des Öffentlichen Verkehrs (ÖV). Darum könnte es als ergänzende Mobilitätsoption auch für Autobesitzer interessant werden, die bislang selten mit Bussen und Bahnen fahren, glaubt Bastian Chlond.

Im Interview mit dieser Redaktion plädiert der Gruppenleiter Mobilitätsforschung am Institut für Verkehrswesen des KIT dafür, Pendler und Reisende mit den digital breit verfügbaren ÖV-Informationen besser vertraut zu machen.

Für das 9-Euro-Ticket gab es in Deutschland viel Lob, aber auch Kritik. Hatte es eine nachhaltige Wirkung auf die Mobilität?
Bastian Chlond

Ja. Dadurch haben sich neue Kundenkreise mit dem Öffentlichen Nahverkehr (ÖV) auseinandergesetzt. Weil das Angebot niederschwellig war, reizte es zum Ausprobieren. Das Ticket wurde viel verwendet für Ausflüge am Wochenende, die durchschnittliche Fahrtweite war relativ hoch. Viele entdeckten, dass sie auf diese Weise auch abgelegene Gegenden gut erreichen können. Ein Ziel des Nachfolgetickets ist es nun, für die Menschen den ÖV als Alternative zum Auto dauerhaft auch im Alltag attraktiv zu machen.

Dazu macht man die Verkehrsnutzung nicht nur billiger, sondern auch einfacher.
Chlond

Genau. Deutschland hat heute komplizierte Tarifsysteme mit unterschiedlichen Verbünden und dazu noch verschiedene Tarifzonen innerhalb der Verbünde. Das 9-Euro-Ticket hat gezeigt, dass die ÖV-Nutzung sehr einfach sein kann. Dieser Effekt war nach dem Ende der Aktion vorbei, aber das 49-Euro-Ticket bietet eine neue Chance: Es könnte diese Zugangshürden für einige Kunden wieder senken.

Glauben Sie, dass es gut angenommen werden wird?
Chlond

Im Karlsruher Verkehrsverbund (KVV) wurden im Jahr 2021 rund 93,6 Millionen Fahrten unternommen. Einzelkarten, Tageskarten und Viererkarten machten weniger als zehn Prozent davon aus. Die Menschen, die sich für den ÖV entscheiden – etwa Schüler, Ausbildende oder Pendler – nutzen ihn meist intensiv und haben Zeitkarten. Für Gelegenheitsnutzer sind die Preise für Einzelfahrscheine abschreckend hoch. In der Kalkulation vieler Autofahrer lohnt es sich bislang eher, weiter mit dem Auto zu fahren. Aber die günstige Flatrate, die das neue Ticket bietet, könnte auch für manche Autofahrer durchaus attraktiv sein, um häufiger die Öffentlichen zu nutzen.

Das wäre im Sinne des Bestrebens, den klimaschädlichen Autoverkehr zu reduzieren. Werden wir diesem Ziel mit dem neuen Billigticket näherkommen?
Chlond

Wir haben gute Angebote im Öffentlichen Nahverkehr. Das Problem für die Mobilität ist bislang, dass der Umstieg vom Auto meist mehr Zeitaufwand mit sich bringt: Man spart vielleicht Geld, bezahlt aber mit seiner Zeit. Die Idee des neuen Tickets ist es daher auch, Pendlern auf größere Entfernungen zumindest einen Kostenvorteil anzubieten. Wir müssen einmal abwarten, ob es wirklich eine Verlagerung zum ÖV gibt...

…oder ob wir vor allem eine Nation der Autofahrer bleiben.
Chlond

Tatsächlich besitzen etwa 75 Prozent der Haushalte in Deutschland mindestens ein Auto. Es gibt unter den Autofahrern aber viele sogenannte Multimodale, die gelegentlich mit den Öffentlichen unterwegs sind. Wenn für 49 Euro ein Dauerticket angeboten wird, ist das zunächst eine weitere Investition. Aber das könnte sich wegen des niedrigen Preises trotzdem lohnen, wenn man das Ticket für ein paar Fahrten mehr im Monat nutzen will. Vielleicht auch in Verbindung mit der Möglichkeit, unterwegs in Zügen mit dem Notebook arbeiten zu können.

49 Euro sind ein „Einführungspreis“. Würde ein Deutschlandticket funktionieren, wenn es teurer wäre?
Chlond

Das lässt sich schwer sagen. Mit dem Preis von 49 Euro möchte man erreichen, dass die Menschen das Angebot ausprobieren und seine einfache Nutzung schätzen lernen, weil die bisherige Komplexität mit den verschiedenen Fahrscheinen wegfällt. Das kann funktionieren. Doch was für die Kunden gut ist, könnte zu Problemen für manche Unternehmen führen: Durch die günstige Mobilität auch auf größeren Entfernungen mit Regionalexpress-Zügen fallen absehbar viele Studierende und andere preissensible Kunden zum Beispiel für private Fernbus-Anbieter weg.

Auch andere Anbieter befürchten Einnahmeausfälle. Außerdem wird über fehlende Planungssicherheit und bürokratischen Aufwand geklagt. Sind das berechtigte Sorgen?
Chlond

Ja. Durch das Deutschlandticket werden gerade die „teuren“ Monatskarten auf 49 Euro gedeckelt. Damit fallen Einnahmen weg. Es bleibt außerdem zunächst unklar, wie die Einnahmen aus seinem Verkauf aufgeteilt werden. Zunächst sollen sie an die Verkehrsverbünde gehen, die es verkaufen. Weil das Ticket aber überall gilt, wird man das später auseinander rechnen müssen. Wie viel Geld bleibt beim regionalen Anbieter, wie viel geht an die Bahn? Das ist noch nicht ganz durchdacht.

Manche sagen, dass man vor der Einführung des Billigtickets kräftig in den Öffentlichen Nahverkehr investieren müsste, damit das System leistungsfähiger wird. Sind Sie einverstanden?
Chlond

Durch die Pandemie und die Teilverlagerung der Arbeit ins Homeoffice hat der Öffentliche Nahverkehr Kunden verloren. Zwar sind in den Spitzenzeiten die Bahnen voll, aber der ÖV hat noch Kapazitäten, was man auch in Karlsruhe sehen kann. In Baden-Württemberg wurde bereits viel investiert. Ich finde es überzeugend, wie gut etwa die Verkehrsanbindung mit dem Nationalpark Schwarzwald funktioniert. In anderen Regionen werden allerdings größere Investitionen notwendig sein, vor allem um verlässlichere Angebote in der Peripherie zu schaffen.

Um die Verfügbarkeit des Öffentlichen Verkehrs ist es im ländlichen Raum nicht überall gut bestellt. Wird in solchen Gegenden das 49-Euro-Ticket zum Ladenhüter werden?
Chlond

Wenn man zum Beispiel das Rad oder das Auto dafür nutzt, um zum Bahnhof zu gelangen, kann das in Kombination mit dem neuen Ticket eine praktikable Lösung sein. Wer nicht Fahrrad fahren kann oder will, könnte in Zukunft die Möglichkeit des Autonomen Fahrens nutzen, wenn sie verfügbar ist. Ich denke an Shuttles, die die Reisenden auf der „letzten Meile“ aufsammeln und zu ihren Wohnorten bringen. Gerade im dünn besiedelten Raum wäre es eine sinnvolle Lösung.

Gibt es im Ausland gute Beispiele für klimafreundlichen, flächendeckenden, dicht getakteten Nahverkehr?
Chlond

Mir fällt die Schweiz ein, wo man im Stundentakt bis ins letzte Dorf kommt. Dort hängt das aber auch mit der Geografie zusammen: Es ist einfacher, den Verkehr entlang der Täler zu organisieren als in einem Flächenland wie Deutschland. Im Übrigen finde ich Deutschland gar nicht so schlecht. Wir haben allerdings auch hohe Ansprüche an die Mobilität. Aber es gibt viele Länder, wo der ÖV längst nicht so gut funktioniert.

Was ist neben der Einfachheit und dem Preis noch notwendig, damit mehr Menschen den Öffentlichen Verkehr nutzen?
Chlond

Eine digitale Sozialisierung: Heute sind Informationen über die Angebote im Öffentlichen Verkehr flächendeckend vorhanden, aber nicht alle Reisenden sind in der Lage, sie zu nutzen oder sich ein Ticket per Smartphone zu kaufen. Dies stellt eine Zugangshürde für viele potenzielle Nutzer dar. Wenn man mehr Menschen dazu befähigt, diese digitalen Möglichkeiten für Information und Ticketkauf zu nutzen, ermöglicht das mehr Kunden, mit dem ÖV mobil zu sein. Außerdem hilft das dem System – zum Beispiel, wenn man die Kosten für die dann nicht mehr gebrauchten Ticketautomaten einsparen und das Geld anderswo sinnvoll einsetzen kann. Darum fände ich Schulungsangebote sinnvoll.

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