„Gutes Schaffen und hoffentlich dann heute Abend ein kühles Bier!“ So bedankte sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Samstag bei 50 Karlsruhern, die gemeinsam mit der Grünen-Politikerin die zukünftige deutsche Sicherheitsstrategie diskutiert haben.
Bei Außentemperaturen von etwa 30 Grad im Schatten in der badischen Metropole hatte die deutsche Chefdiplomatin möglicherweise nicht nur den Flüssigkeitshaushalt der Bürgerinnen und Bürger im Blick, die sich im IHK Haus der Wirtschaft zusammengefunden hatten.
Buchstäblich „heiß“ waren die Themen, die Baerbock und die Teilnehmer der Diskussionsrunde in einer Stunde durchgehetzt haben: Krieg, Klimakrise und kollektive Verteidigung Europas waren nur einige Beispiele dafür.
Gutes Schaffen und hoffentlich heute Abend ein kühles Bier!Annalena Baerbock, Bundesaußenministerin
Es ist gut zehn Monate her, seit sie zuletzt mit Karlsruhern gesprochen hat. Im September 2021 stattete die Grünen-Politikerin der badischen Metropole auf der Zielgeraden ihrer Wahlkampftour einen kurzen Besuch ab.
Sie war damals schon keine aussichtsreiche Kanzlerkandidatin mehr: Baerbock hatte ihre Chancen durch eigene Fehler geschmälert. Dennoch kam sie bei den rund 1.000 zumeist jungen Zuhörern auf dem Marktplatz gut an.
Damals prangerte die Wahlkämpferin angesichts der „Angriffe von autoritären Kräften, die Europa aushöhlen wollen“ die Haltung des „Wegduckens“ an. Vielleicht auch mit Blick auf das Auswärtige Amt erklärte Baerbock die Außenpolitik zur „zentralen Frage für meine Generation, die großes Glück hatte, in Frieden aufgewachsen zu sein“.
Sie kritisierte scharf die damals noch gebaute Gasleitung Nord Stream 2 als eine „strategische Kampfsansage an die EU“ und rief weitsichtig dazu auf, die Sorgen der Ukraine ernst zu nehmen.
Ministerin Baerbock will für warme Heizungen in Karlsruhe sorgen
Ihre Grundbotschaft an die Karlsruher lautete im September 2021: Es ist alles nicht leicht, aber wir können und müssen es schaffen. „Die Zukunft passiert nicht, wir halten die Zukunft in unseren Händen“.
Jetzt knüpft die 41-jährige Ministerin nahtlos daran an: „Sicherheit hier in Karlsruhe gibt es in einer globalisierten Welt nur, wenn man sich den Herausforderungen stellt, was globale Lieferketten und Russlands Kriege angeht“, sagte die Außenministerin in Baden bei der dritten Station ihrer bundesweiten „Zuhör-Tour“.
„Dafür zu sorgen, dass auch in Karlsruhe alle Menschen eine warme Heizung haben, wird unsere große Herausforderung sein“, kündigte Baerbock an.
Die Ampel-Parteien hatten seit dem vergangenen Dezember vorgehabt, Deutschlands Rolle und seine Ziele in der Weltpolitik formell zu definieren. „Wir werden im ersten Jahr der neuen Bundesregierung eine umfassende Nationale Sicherheitsstrategie vorlegen“, legten sie im Koalitionsvertrag fest. Die neue Bedrohung in Europa hat im Frühjahr diesen Prozess beschleunigt.
Außenministerin spricht in Karlsruhe von der neuen Sehnsucht nach Sicherheit
„Bei Fragen von Krieg und Frieden, bei Fragen von Recht und Unrecht kann kein Land, auch nicht Deutschland, neutral sein“, sagte Annalena Baerbock drei Wochen nach Beginn des Ukraine-Kriegs zum Start der Arbeit an der neuen Strategie.
Der Krieg konfrontiere die Deutschen mit einer neuen Wirklichkeit. Man spüre „eine Sehnsucht, die wir wahrscheinlich lange nicht – und vielleicht meine Generation noch nie so richtig gespürt hat: Eine Sehnsucht nach Sicherheit“, sagte die Ministerin.
Nach Baerbocks Vorstellungen soll die Strategie drei Kernpunkte enthalten: Die Sicherheit des Lebens vor Gewalt und Krieg, die Sicherheit der Freiheit und Demokratie und schließlich die Sicherheit unserer Lebensgrundlagen, zu der auch der Umweltschutz und ein kluger Umgang mit wichtigen Ressourcen gehören.
Sie wolle dabei „nicht nur, dass wir einen Austausch zwischen Hauptstädten, zwischen Ministern und Ministerinnen haben, sondern zwischen Menschen“, gab die 41-jährige Politikerin frühzeitig bekannt.
Baerbock trifft sich mit 50 Bürgern
Es war ein Arbeitsauftrag an die breite Öffentlichkeit. Und so traf sich die Ministerin in verschiedenen Städten mit jeweils 50 zufällig ausgewählten Menschen, die ihr mehr oder weniger aufgeregt die Ergebnisse von verschiedenen Workshops zu Themen wie Rüstung, Energie, Gerechtigkeit, Globalisierung und Konflikte präsentierten. Danach sprach die Chefin des Auswärtigen Amtes mit den Teilnehmern und beantwortete ihre Fragen.
Bei dem Gespräch in Karlsruhe ging es unter anderem um die Möglichkeit einer Wiedereinführung der Wehrpflicht (die Baerbock verneint), den Umgang mit Syrien („keine Zusammenarbeit, nur humanitäre Hilfe“), den Umgang mit Rassismus („noch Baustellen) und die Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg.
Baerbock bemühte sich um Volksnähe und machte deutlich, dass sie die Sorgen der Bürger angesichts der sich verschärfenden Gaskrise gut versteht: „Es wird nicht ein Winter sein wie immer.“
Auch meine Stromrechnung verdreifacht sich, aber man muss meine Familie finanziell nicht entlasten.Annalena Baerbock, Bundesaußenministerin
Die Grüne hat offenbar ähnliche Erwartungen an die Perspektiven der deutschen Energieversorgung wie die meisten Karlsruher: „Auch meine Stromrechnung verdreifacht sich, aber man muss meine Familie finanziell nicht entlasten“
Ganz anders die Geringverdiener, denen die Bundesregierung nach Baerbocks Meinung in den kommenden Monaten unter die Arme greifen sollte: „Wir bereiten alles vor, damit wir alle gemeinsam sicher durch den Winter kommen“.
Baerbocks erste große Deutschlandreise als Ministerin wird voraussichtlich mit einer Runde am 22. Juli in München enden. Der Bürgerdialog zur Sicherheitsstrategie soll im Herbst mit einem größeren Treffen in Berlin formell abgeschlossen werden. Dann will die Ministerin den ausgewählten Bürgerinnen und Bürger aus den einzelnen Veranstaltungen verraten, wie die Gesprächsergebnisse in den Arbeitsprozess der Sicherheitsstrategie einfließen werden.
Am Ende sollen auch verschiedene Ministerien, der Bundestag, der Katastrophenschutz und andere Behörden sowie internationale Partner in den Entstehungsprozess mit einbezogen werden.
Spätestens zu Beginn des kommenden Jahres will dann das Auswärtige Amt die neue nationale Sicherheitsstrategie präsentieren. Sie ersetzt das sogenannte sicherheitspolitische Weißbuch, das zuletzt 2016 vom Bundesverteidigungsministerium aktualisiert wurde.