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Zehn Tage Programm im Tollhaus

Positive Bilanz beim Atoll-Festival in Karlsruhe: „Das gibt der ganzen Szene einen Schub“

Von leisen Begegnungen zwischen Vätern und Söhnen bis zu einer atemberaubenden Jonglage reicht die Bandbreite des Neuen Zirkus, die zum Abschlusswochenende des Atoll-Festivals zu erleben war.

„Carrying My Father“, There There Company beim Atoll-Festival Karlsruhe, 24.09.2022
In der belgischen Performance „Carrying My Father“ erzählen gemeinsame Auftritte der Artisten mit ihren Vätern vom Älterwerden. Foto: Bernadette Fink

Körperlichen Kontakt hätten sie eigentlich kaum, sagt einer der vier Artistenväter über das Verhältnis zu seinem Sohn. Der Satz kommt vom Band, im Dunkeln vor Beginn der Vorstellung. Und aufgenommen wurde er wohl vor der Entwicklung des Stücks „Carrying My Father“ (auf deutsch: Meinen Vater tragen). Denn in dieser leisen, fast zärtlichen Aufführung am Abschlusswochenende des Atoll-Festivals in Karlsruhe spielt Körperkontakt die zentrale Rolle.

Die vier Artisten der There There Company aus Belgien teilen sich hier die Bühne mit ihren Vätern. In langsamen, nahezu kontemplativen Choreografien geht es um Zuneigung und Rivalität, um Kraft und Schwäche - und nicht zuletzt um Mut und Vertrauen. Denn auch wenn die vier Väter noch recht fit sind und einer von ihnen zudem selber Artist war, gehört viel Vertrauen dazu, sich zum Beispiel einfach auf die Schultern der eigenen Söhne zu stellen.

Und auch dazu, sich im Lauf der rund einstündigen Vorstellung immer weiter zu entblößen: Von der Individualisierung aller acht Protagonisten mittels ihrer Kleidung führt der Weg hin zu acht Körpern in identischer Unterwäsche. So wird unaufdringlich angedeutet, dass die Aufführung nur eine Momentaufnahme ist: Auch für die athletischen Körper der Söhne steht die Zeit nicht still.

Begegnung von Generationen

Mit „Carrying My Father“ knüpfte das Festival im Kulturzentrum Tollhaus an ein Thema an, das zuvor auch der Circus Ronaldo in seinem bejubelten Stück „Sono io - Bin das ich?“ auf die Bühne gebracht hatte: Die Begegnung von Generationen und der Umgang mit dem Älterwerden.

„Es geht uns nicht nur um Artistik, sondern auch um inhaltliche Fragen“, erklärt Tollhaus-Geschäftsführer Bernd Belschner das Auswahlprinzip bei der Zusammenstellung des Programms.

Mit der nun beendeten siebten Ausgabe des Festivals sei er „sehr zufrieden“, so Belschner. „Es gibt eine inhaltliche Vertiefung und ein stetiges Wachstum im Bereich des Neuen Zirkus, und ich glaube, dem haben wir Rechnung getragen.“ Dieses Programmangebot und die Präsenz von überregional und teils sogar international angereisten Kulturveranstaltern hätten gezeigt: „Dieses Festival gibt der ganzen Szene einen Schub.“

Was die Szene so alles hervorbringt, ließ sich zum Ausklang noch einmal geballt bestaunen, von der tänzerisch leichten Trampolin-Choreografie der Compagnie Kiai aus Frankreich über die irrwitzige Reifenakrobatik des Duos Collectif Malunes bis zur frechen Late-Night-Revue der Barbaren Barbies aus Berlin.

Belgisches Duo beeindruckte besonders

Ganz besonderen Eindruck hinterließ das belgische Duo Post Uit Huisdalen mit seiner Show „Man Strikes Back“. Bereits die Jonglage-Kunst von Stijn Grupping ist ein Erlebnis für sich: Er wirft seine Bälle nicht hoch in die Luft, sondern gegen Hindernisse, von denen aus sie gegen weitere Hindernisse prallen, bis sie wieder in seinen Händen landen.

Diese schon mit drei Bällen erstaunliche Wurf-Präzision gelingt ihm auch mit sechs Bällen gleichzeitig - und zwar strikt im Rhythmus, den sein Bühnenpartner Frederik Meulyzer am Schlagzeug vorgibt. Und als sei selbst das noch nicht schwierig genug, erweisen sich die Wurf-Hindernisse auch noch als Maschinen, die eigenmächtig ihren Platz verändern können, so dass sich immer wieder neue Flugbahnen für die Bälle ergeben.

So ist die Vorstellung nicht nur atemberaubend anzusehen. Sie erzählt zudem auf raffinierte Weise sowohl vom Potenzial wie auch vom Druck, der entsteht, wenn sich der Mensch von Technik abhängig macht. Angesichts solcher Produktionen, die originelle Ideen mit herausragendem Können umsetzen, ist es kein Wunder, dass auch das Publikum Vertrauen zeigte und besonders im zweiten Block des zehntägigen Festivals etliche Vorstellungen mit dem Prädikat „ausverkauft“ belohnte.

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