Neue Musik unterjubeln? Wer Konzertsäle füllen will, dosiert Wagnisse besser in kleinen Dosen nebst bekannten Meisterwerken im Programm. Ein geschäftstüchtiger und aufgeschlossener Mann, der diesen Trend früh, sehr früh sogar schon kultivierte, blickt uns nun in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe von der Muse geküsst in die Augen: Joseph Nicolas Pancrace Royer (1703 bis 1755).
Er war Cembalist, Sänger und Komponist. Seine Expertise teilte er in Frankreich nicht nur als Musiklehrer der Kinder König Ludwigs XV. Royer ging als einer der ersten Veranstalter öffentlicher Konzerte in die Geschichte ein. Er leitete von 1748 bis zu seinem Tod die Reihe der Concerts spirituel im Salle des Cent-Suisses des Tuilerienpalastes in Paris.
Wo dem Namen nach zunächst nur geistliche Werke erklangen, führte Royer an der Wende vom Barock zur Epoche der Klassik entscheidende Neuerungen ein. Weltliche Werke etablierte er dort ebenso wie reine Instrumentalmusik, ließ den Saal für bis zu 1.800 Zuhörer umbauen und installierte eine Musikbibliothek. Und er stand mit seinem Geld für Programme ein, die durchaus auch Neues etwa von deutschen Komponisten wie Joseph Haydn vorstellten.
Porträts der Eheleute erstmals wieder gemeinsam im Museum
Der eigentliche Stolz der Kunsthalle ist aber nicht die interessante Karriere von Joseph Nicolas Pancrace Royer, sondern sein Antlitz und das seiner Gattin Louise Geneviève Royer (1715 bis 1770). Zum ersten Mal seit Jahrzehnten nämlich sind die Porträts der Eheleute wieder vereint, die Jean-Marc Nattier (1685 bis 1766) in der Zeit um 1745/50 fertigte.
„Wir sind überglücklich, in unserer ohnehin starken französischen Abteilung mit Nattier einen neuen Akzent setzen zu können“, betont Holger Jacob-Friesen, Leiter der Abteilung Sammlung und Wissenschaft an der Kunsthalle Karlsruhe.
Das Besondere: Nattier, der führende Bildnismaler zur Zeit König Ludwigs XV., schuf mit diesen Werken zwei bedeutende Pastelle seiner Zeit. Eigentlich vor allem für Ölgemälde bekannt, erfasste der Künstler mit den farbigen Kreiden die Stofflichkeit der Kleider und den physiognomischen Ausdruck der Dargestellten enorm sensibel.
Technisch brillant gezeichnete schillernde Seide
Madame Royer, eine Frau aus reichem Hause, die das Unternehmen ihres Mannes nach dessen Tod erfolgreich fortführte, nimmt die Betrachter offen und charismatisch in den Blick. Ihre Corsage ist reich geschmückt mit Perlen und künstlichen Blumen. Etliche Rüschen und Schleifen zieren das Cape aus hellblauer, schillernder Seide.
Die eleganten weißen Handschuhe sind, wie damals üblich, an den Fingerkuppen geöffnet. Mit feinem Gespür und technischer Brillanz hat Nattier ihre attraktive Erscheinung wiedergegeben. Sie scheint zu einem Ball aufzubrechen. Darauf verweisen der Fächer in ihrer linken Hand und die schwarze Maske der Komödie, die sie in ihrer rechten hält – und um die Trägerinnen von medizinischen Masken die elegante Frau dieser Tage durchaus beneiden können.
Gemälde mit originalen vergoldeten Rahmen
Verklärter wirkt ihr Mann, gedankenverloren scheint er durch die Betrachter hindurch zu blicken. Kein Wunder: Nattier zeigt ihn bei der Arbeit an der Oper „Zaïde, Königin von Grenada“, die 1739 bei der Hochzeit der französischen Königstochter Elisabeth mit dem spanischen Königssohn Philipp uraufgeführt wurde.
Die Partitur ist detailliert gezeichnet und trägt im Titel eine Arie der Titelheldin. Auf dem Cembalo im Hintergrund liegen Geige und Geigenbogen – Attribute von Royers Wirken und zugleich wertvolle Zeugnisse für die musikalische Ikonografie.
Spannende Auktion bei Sotheby’s
Beide Bildnisse befinden sich noch in ihren originalen, aufwändig geschnitzten und vergoldeten Rahmen und sind ab sofort in der französischen Abteilung der Kunsthalle ausgestellt. Zu verdanken ist dies einer Mäzenin der Kunsthalle, die das Bildnis des Monsieur schon viele Jahrzehnte besaß, und dem Spürsinn von Jacob-Friesen.
Der Kunsthistoriker konnte den Besitzer des fehlenden zweiten Porträts ausfindig machen. Erworben werden konnte dieses allerdings erst nach dessen Tod und auch nur knapp bei einer durchaus spannenden Versteigerung im Auktionshaus Sotheby’s in New York, berichtet Jacob-Friesen. Beide Gemälde überließ die Mäzenin, die namentlich nicht genannt werden möchte, schließlich der Kunsthalle.
Kurz bevor das Museum im Herbst für die Sanierung vorübergehend seine Pforten verriegelt, soll sich der Kreis zur Musik schließen. Ende Oktober erklingen Werke für Cembalo von Royer bei einem Konzert im Feuerbachsaal mit dem Karlsruher Cembalo-Professor Kristian Nyquist.