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Familienangebot des Alpenvereins

Beim Klettern in Karlsruhe vergessen ukrainische Kinder kurz den Krieg

Das Müttercafé des Alpenvereins Karlsruhe für Familien, die aus der Ukraine geflohen sind, bietet weit mehr als Schnuppersport. Während die Kinder klettern, können Mütter sich ausruhen und mit Kleidern versorgen.

Am 29.03.2022  organisiert die Karlsruher Sektion des Deutschen Alpenvereins (DAV) in seiner Halle in der Waldstadt eine Klettergruppe für geflüchtete Mütter und Kinder aus der Ukraine.
Beim Kletterangebot des Alpenvereins für geflüchtete Mütter und Kinder aus der Ukraine führt Stefan Walter (links) das Seil, Bogdan Serdjuk neben ihm übersetzt. Foto: Jörg Donecker

Auf der Empore gegenüber den Kletterwänden schläft die kleine Elisabeth friedlich im Kinderwagen, einen Tag vor ihrem ersten Geburtstag. Die junge Mutter sitzt neben dem Baby. Blass und müde sieht sie aus, beugt sich aber weit vor, um den Seilschaften hinter der Brüstung zuzuschauen.

Lebhaft geht es zu in der Doppelhalle des Alpenvereins in der Waldstadt. Kindern, Jugendlichen und Frauen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, bietet das Müttercafé an diesem Vormittag eine kleine Auszeit. Elisabeths Mutter hat noch ihr älteres Töchterchen dabei und drei weitere Kinder von Verwandten. Alle hat es aus Odessa am Schwarzen Meer 2.000 Kilometer weit an den Rhein verschlagen.

Auf dem federnden Spezialboden am Fuß der Übungswände steht Stefan Walter, Trainer im Alpenverein. Er sichert eine junge Ukrainerin am Kletterseil. Übersetzer sind in Ruf- und Reichweite. Damit alles sicher abläuft, darf kein wichtiger Hinweis missverstanden werden.

Bogdan Serdjuk ist geboren nahe der Krim. Mit sieben Jahren kam er nach Deutschland, das ist 20 Jahre her. Fließend Ukrainisch, Deutsch, Russisch und Englisch spricht er und übersetzt beim Müttercafé der Kletterer, wie seine Schwester Natalie und ein weiterer Freiwilliger, den er über Instagram organisiert hat. „Die Leute vergessen den Krieg, wenn sie hier sind“, glaubt Serdjuk, „wenigstens für einige Zeit.“

Die Außentür zur mehrstöckigen Kletterhalle steht weit offen. Im Entrée duftet es nach Cappuccino, zischend schäumt Milch auf. Der Verein bewirtet kostenlos, stellt Klettergurte und Spezialschuhe. „Als ich morgens hier ankam“, sagt Christina Schindler vom Organisationsteam, „stand die Küche voller gespendeter Kuchen.“ Dann flitzt sie auf die Empore. Sie wird auf das Baby aufpassen, damit Elisabeths Mutter mal zu ihrer zweiten Kleinen an die Kletterwand gehen kann.

Obst zum Verschenken haben die Karlsruher Bergfreunde organisiert, und Puzzle und Rucksäcke in Kindergröße liegen bereit zum Mitnehmen, wenn der Kletterspaß für diesmal zu Ende ist.

Alpenverein Karlsruhe erhält viele Spenden für Ukrainer

Anna Kolodziejska ist in Polen geboren, kam als Zwölfjährige nach Deutschland, wandert gern und kam so zum Alpenverein. Jetzt führt sie drei Ukrainerinnen in ein Zimmer im oberen Stockwerk. Es ist eine provisorische Kleiderkammer. „Buty“, sagt Kolodziejska und deutet mit der Hand auf Schuhe. Polnische, ukrainische und russische Vokabeln sind ähnlich genug, die Verständigung klappt.

„Ich weiß aus Erfahrung, wie es ist in völlig neuer Umgebung, wo man die Sprache nicht versteht“, sagt Kolodziejska. „Da können Kleinigkeiten für einen Menschen alles verändern.“ Eine Ukrainerin probiert eine cremeweiße Weste an und lächelt: Das Stück passt auf Anhieb, ideal für den beginnenden Frühling. Die dicken Winterjacken bleiben unangetastet.

Die Hilfsbereitschaft ist riesig, das läuft fast wie auf Bestellung.
Oliver Schrör, Vereinsmanager

Neben Tischen mit sortierter, sehr ordentlicher Kleidung steht abholbereit ein zerlegtes Babybett aus Holz. Die Anfrage erreichte den Verein, prompt spendete ein Mitglied das benötigte Möbel. „Die Hilfsbereitschaft ist riesig“, berichtet Oliver Schrör, „das läuft fast wie auf Bestellung.“

Ob es um Expertise oder ehrenamtliches Anpacken geht: Schrör hat als Vereinsmanager ein enormes Reservoir an Adressaten. Mit fast 10.000 Mitgliedern ist der Alpenverein Karlsruhe einer der drei mitgliederstärksten Vereine der Stadt.

Ein Plakat des Alpenvereins erklärt das Angebot auf Ukrainisch, die Information verbreitet sich über Social Media und telefonisch in der Stadt. Es kommt extrem gut an. Von der Straßenbahnhaltestelle „Fächerbad“ ist der Weg kurz für die Frauen und Kinder, die teils mit, teils ohne Begleitung kommen.

Das kostenlose Klettern für Familien aus der Ukraine will der Alpenverein Karlsruhe nun zur festen Einrichtung machen. Ein „Kletterwörterbuch Ukrainisch-Deutsch“ entsteht schon. Virtuell haben die Karlsruher ihr Projekt außerdem als Best-practice-Beispiel allen deutschen Sektionen des Alpenvereins vorgestellt, um sie zum Nachmachen zu ermutigen.

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