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Markanter Jugendstilbau

Bier brachte das Krokodil zum boomen: Geschichte eines markanten Karlsruher Gasthauses

Karlsruhe hat ein Krokodil, das jeder in Stadt und Region kennt. Um 1900 war Münchener Bier die große Attraktion des Krokodils, heute zieht mexikanische Kost.

Gasthaus Krokodil
Das Krokodil am Ludwigsplatz: Frisch gestrichen ist das Traditionslokal, dessen Namen seit vielen Generationen in Karlsruhe und Umgebung einen großen Klang hat. Foto: Joerg Donecker

Es gibt zwei Treffpunkte in Karlsruhe, da muss man nicht mehr sagen als den Namen. Keine weitere Ortsangabe ist nötig, jeder aus Stadt und Region weiß sofort Bescheid, wo er sich einzufinden hat. Dabei haben beide unverwechselbaren Adressen etwas Exotisches.

Fremde könnten meinen, es gehe um eine Verabredung am Nil im fernen Ägypten und nicht im Zentrum der badischen Heimat. Um acht an der Pyramide, oder um neun vor dem Krokodil, da kann man sich nicht verfehlen.

Frisch herausgeputzt

Jetzt sind die beiden herausragenden Lokalitäten frisch herausgeputzt: Die Pyramide auf dem Marktplatz von 1823 ist nach dem Einbau der U-Strab-Station unter Karlsruhes guter Stube nicht mehr eingerüstet, sondern schon den zweiten Sommer komplett saniert und wieder direkt anlaufbar. Dieser Tage wurde das Wahrzeichen der Stadt schon wieder gesäubert.

Unbekannte Schmierer hatten das Grabmal des Stadtgründers jüngst mit Öl beschmutzt. Jetzt ist die Pyramide rein. Das gilt auch für das Krokodil am Ludwigsplatz. Das Gasthaus mit der großen Geschichte steht nun in blassem Lindgrün in der Julisonne. Die Fassade ist hell gestrichen, der Majolika-Schmuck geputzt.

Der Marktplatz der Majolikastadt prangt  an der Wand hoch über dem Ludwigsplatz.
Der Marktplatz der Majolikastadt prangt an der Wand hoch über dem Ludwigsplatz. Foto: Joerg Donecker

Seit 1884 schon gibt es dort ein Gasthaus „Zum Krokodil”, zunächst im altdeutschen Stil. Der imposante Jugendstilbau beherrscht dann seit 1915 den Ludwigsplatz. Überhaupt hat das früher taubenblau gestrichene Krokodil die Geschichte dieses Karlsruher Szenetreffs maßgeblich bestimmt.

Wo seit 2008 Enchilada mit mexikanischen Köstlichkeiten vornehmlich junges Publikum anlockt, verkehrten anfangs die Honoratioren der Hauptstadt Badens. Ohne heuchlerische Tränen lockte der sagenumwobene Wirt Karl Jakob Möloth zum Krokodil.

Mit Stresemann zum Bier

Bayerisches Bier zog die trockenen Kehlen der an Stammtischen endlos diskutierenden Bürger und Politiker magisch an. In mehreren Sälen kehrten Künstler, Sänger und Sportler in Vereinsrunden ein, Burschenschaftler im Wichs speisten im Krokodil. Vor allem aber die Politiker Badens und der Stadt kehrten täglich in Fraktionsstärke ein. Selbst Reichsaußenminister Gustav Stresemann tafelte vermutlich im gestreiftem Anzug mehrmals im Karlsruher Krokodil.

Mit dem Ende der demokratischen Debattenkultur auch am Stammtisch durch die Nazi-Diktatur verkauften die Möloths das Krokodil an die Karlsruher Fels Brauerei. Das Krokodil wurde ihr Hauptausschank. 40 Jahre später erwarb 1976 die Frankfurter Binding Brauerei die Spitzenadresse am Ludwigsplatz. Danach war von 2002 bis 2017 die Radeberger Brauerei an der Reihe.

Die echt Karlsruher Bierhauskultur im Krokodil ist also schon lange Geschichte. Heute führt die Suche nach dem Hausbesitzer ins Ausland, und in der Krokodil-Küche werden von einer deutschen Mexikaner-Kette Enchiladas gerollt.

Künstler lässt Krokodil schnappen

Noch einmal schnappte das Krokodil zu Beginn seiner Binding-Periode am Ende der 1970er Jahre so richtig zu: Der Künstler Charlie Müller wurde der Wirt und machte die inzwischen etwas abgewirtschaftete Bierschwemme zur Karlsruher Szenekneipe und dabei zu einer republikweit bekannten Avantgarde-Adresse.

Müller, bekannt auch unter dem Künstlernamen KPM, hatte schon die erste Karlsruhe Disco, die „Tangente”, 1962 in der Adlerstraße eröffnet und anschließend das heute noch in der Karlstraße bestehende „ubu” durch die poppige Gestaltung zum absoluten Treff der überregionalen Kunstszene gemacht.

Ein Krokodil am Hals hat Wirtssohn Möloth. Seit 105 Jahren schmücken sie die Fassade des „Krokodils”.
Ein Krokodil am Hals hat Wirtssohn Möloth. Seit 105 Jahren schmücken sie die Fassade des „Krokodils”. Foto: Jörg Donecker

Im Krokodil brachte KPM wie in seinem eigenen Werk Malerei, Musik und Literatur zusammen. Für die Ausgestaltung des damaligen Publikumsmagneten Krokodil erhielt der eigenwillige Tausendsassa KPM gar den Weinbrennerpreis der Stadt Karlsruhe.

Karlsruhes „Kroko” war dank KPM Kult. Dort spielten Bluesgrößen wie B.B. King und Alexis Korner. Dieser Aufschwung des Krokodils wirkte als Riesenimpuls bei der Entwicklung des von Friedrich Weinbrenner 1824 angelegten Ludwigsplatzes mit der Verbannung der Autos zur heutigen Terrasse von KA.

Altdeutsch und exotisch gemischt

„Mit Münchener Bier und einer Gaststätte im altdeutschen Stil beginnt die Geschichte des Karlsruher Krokodils“, sagt Gerhard Kabierske, Experte für die Karlsruher Architekturgeschichte.

Zwei Trends des ausgehenden 19. Jahrhunderts treffen sich in der aufstrebenden Residenzstadt beim Krokodil: Dieser Name für ein deutsches Gasthaus ist zwar selten, aber nicht völlig ungewöhnlich. Er spricht die exotischen Träume des Bürgers an, als sich das Deutsche Reich als verspätete Kolonialmacht im Westen wie im Osten des Schwarzen Kontinents der Leute, des Landes und dessen Schätze bediente.

Gerade Afrikanisches war Mode – und das Krokodil stand für Abenteuer und Gefahr, versprach also eine attraktive Adresse für den Umtrunk aufschäumender Geister.

Auch in der Heidelberger Weststadt gibt es heute noch ein Krokodil, allerdings wird dort erst seit 1919 bewirtet. Dass im Krokodil am Ludwigsplatz jemals Gerichte mit dem zarten Fleisch der exotischen Panzertiere serviert worden sind, entstammt allerdings der Karlsruher Gerüchteküche.

Die Münchener Welle

Der zweite Schlager im Deutschen Reich, der erst seit 1871 wieder in einem Staat vereinten Nation, war Bier aus Bayern. Besonders aus München schwappte um 1900 die Welle bierseliger Gemütlichkeit durch das Reich. Nicht nur in der Stadt des Oktoberfests wuchsen die Bierpaläste in den weiß-blauen Himmel.

Auch die Preußen ließen es mächtig schäumen: Berlin baute in der boomenden Gründerzeit eine Schwemme mit original Münchner Gerstensaft nach der anderen, Karlsruhe stand da wenig zurück: Neben der Bierburg von Hoepfner oder dem Ausschank der Brauerei Moninger als Ausrufezeichen für den Boom in der Brauereistadt Karlsruhe habe es eben auch das schnell legendäre Krokodil als Vertreter der bayerischen Gasthaus-Spezies mit vielen Sälen gegeben, erklärt Kabierske. „Das Krokodil könnte in München stehen“, betont Kabierske, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Südwestdeutschen Archivs für Architektur und Ingenieurbau am KIT.

Helles Bier und Schweinshaxe galten als Trumpf der Bierhäuser, Knödel und Sauerkraut nach bayerischem Rezept lockten so auch ins badische Wirtshaus. Vor dem Massentourismus war für die meisten Bürger das Voralpenland noch eine recht ferne und damit feine Welt.

Münchener Frauenkirche in Majolika am „Krokodil”
Die Münchener Frauenkirche schmückt die Krokodil-Wand. Foto: Joerg Donecker

Später übernahmen Pizzabäcker oder Griechen mit Gyros, inzwischen ist es oft „der Thailänder” oder wie mit der deutschen Kette Enchilada im Krokodil ein „Mexikaner”, der das Erbe der deutschen Bierhäuser gewinnbringend pflegt. Welche Attraktionen auch als urbane Architektur die Brauhausgaststätten bei den Deutschen hatten, zeige die Blüte der Postkartenkultur mit ihren Ablichtungen in den Jahrzehnten um 1900, berichtet Kabierske.

„In Karlsruhe gab es gleich eine ganze Reihe dieser Großgastronomie”, weiß der Experte. Als vornehmstes Haus der Hauptstadt galt das Prachthotel „Erbprinz” mit exklusivem Restaurant auf der Kaiserstraße, später wurde daraus die Adresse des Kaufhauses Hertie, heute Karstadt Sport.

Zumindest der äußere Charme des Krokodils hat in über 100 Jahren wenig eingebüßt. Nur ein Teil des Daches ging im Krieg verloren. Sonst aber ist das Werk des Karlsruher Architekturbüros Pfeifer & Großmann eine mit ihrem Stil junggebliebene Augenweide.

Krokodil bezeugt die große Zeit der Majolika

Vor allem Hans Großmann gehörte laut Kabierske als Schüler der berühmten Jugendstilarchitekten Robert Curjel und Karl Moser zur Creme der badischen Architekten. Bedeutend für das Krokodil ist auch seine zweite Funktion: „Großmann war im Nebenjob der Leiter der Baukeramischen Werkstätten der Majolika“, erklärt Kabierske.

Und Großmann ließ das Karlsruher Krokodil mit den nach der kürzlichen Renovierung wieder leuchtenden Reliefs aus der damals reichsweit berühmten und nun seit vielen Jahren schon kriselnden Karlsruher Majolika verzieren. Damit prangen ganz oben an den Wänden: Weinbrenners Marktplatz mit Kirchentempel und Pyramide für die badische Heimat und die Zwiebeltürme der Frauenkirche für München. Sogar ein Majolika-Krokodil schlängelt sich an der Wand um den Hals des Wirtssohns. In der Gaststube mit Blick auf den Ludwigsplatz sind Wände mit 2.500 Fliesen aus der Majolika-Manufaktur getäfelt.

Neue Spuren führen nach Luxemburg

„Das ist etwas ganz Großartiges“, schwärmt Experte Kabierske. „Baukeramik war groß in Mode. Der stark wachsende Markt sorgte für große Erfolge der Majolika“, sagt er.

Die Fassade des Karlsruher Jugendstil-Krokodil habe die Luxemburger Immobiliengesellschaft CBKS, der Eigner der Immobilie, die noch bis 2017 der Brauerei Radeberger gehörte, in Abstimmung mit dem Denkmalamt sanieren lassen, versichert Dietmar Lang, Chef der gleichnamigen Gießener Verwaltung und Immobilien Gesellschaft, für „den Bestandshalter”. Dabei sei auch die Etage mit dem viele Jahre leer stehenden Bistro-Billard in den alten Krokodil-Sälen saniert und an eine Softwarefirma vermietet worden, berichtet Lang von der neuen Wirklichkeit des alten Karlsruher Krokodils.

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