Folgt man Sascha Lobo, dann sind die Menschen in Deutschland noch gar nicht reif für diese Frage: „Wie viel Kontrolle braucht die Künstliche Intelligenz (KI)?“ Zuvor wäre eine Angsttherapie fällig.
Doch das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat genau diese Frage gestellt – und den populären Netzaktivisten Lobo als Gastredner zu einem Diskussionsabend ins Karlsruher Kulturzentrum Tollhaus eingeladen. „Künstliche Intelligenz wird gleichzeitig total überschätzt und total unterschätzt“ – das ist Lobos Credo, an dem er die bei der Karlsruher Wissenschaftswoche teilhaben lässt.
Wer darüber entscheiden will, wie er die Computer-Intelligenz in Schach halten will, müsse auf der Basis von Wissen entscheiden – in der Bevölkerung grassierten jedoch zu viele diffuse Ängste. „Es ist viel zu gefährlich, Angst vor KI zu haben“, mahnt der Mann, dessen rote Irokesenfrisur sein Markenzeichen ist. Und überhaupt: „Wir sind schon mittendrin.“
Sascha Lobo witzelt über jene Menschen, die früher gegen die Volkszählung auf die Straße gingen, aber heute eine „Stand-Wanze“ namens Alexa im Wohnzimmer stehen haben. Er zitiert eine Studie, die zeigt: Kinder betrachten die Sprachassistentin Alexa heute als eine Art Familienmitglied. Und das nicht etwa aus Naivität, sondern, weil sie die Erwachsenen nachahmen.
App-Nutzer veröffentlichen ihre Geschlechtskrankheiten
Genüsslich berichtet Sascha Lobo von einem Test: Erwachsene Menschen sollten einen Roboter ausschalten. Doch der bettelte: „Bitte nicht! Ich habe Angst davor, nicht mehr richtig hochzufahren“. Das Ergebnis: „Ein Drittel hat den Roboter nicht ausgeschaltet – weil er ihnen irgendwie leidtat.“
Ist die kritische Haltung gegenüber der KI also oft nur eine eingebildete? Lobo geht sogar so weit, zu behaupten: „Datenbegeisterung hat keine natürlichen Grenzen.“ Und er untermauert die Aussage mit einer Entdeckung im Netz: Eine App, auf der Menschen ihre Geschlechtskrankheiten hochladen – und diese höchst intime Information mit „Freunden“ teilen. „Also, ich habe meine Frau noch ganz normal auf Instagram kennengelernt“, scherzt Lobo.
Mal lockt er das Publikum mit den Chancen, die KI eröffnet – zum Beispiel in der Windenergie-Branche. Jedes Windrad generiere 60.000 Datensätze pro Minute: Vibrationen, Energie, Geräusche. Wer diese Daten auswerte, könne teure Zusammenbrüche vorhersehen – und vermeiden.
Das KI-Wissen erschließe neue Geschäftsfelder. Der Maschinenbauer könne nun zusätzlich einen Wartungsservice anbieten – und möglicherweise auch noch Versicherungen.
KI erkennt Krankheiten an Stimme
Dann lässt Sascha Lobo seine Zuhörer wieder gruseln: Er berichtet von KI, die am Klang einer Stimme erkennen kann, an welchen Krankheiten der Sprecher leidet: Depressionen, Parkinson, Corona. Und der Berliner Blogger und Buchautor reibt seinen Zuhörern unter die Nase, dass die KI dem Menschen hoffnungslos überlegen sei.
Er erinnert an Computer, die Go-Weltmeister schlagen und zu genialen Höhenflügen fähig sind – auch wenn sie nicht mit den Daten menschlicher Erfahrung gefüttert werden. Er verweist auf unglaubliche Leistungen der KI beim Verarbeiten von gigantischen Datenmengen und bei der Mustererkennung.
Der Trost, dass Menschen einfach unersetzbar sind? Er tauge nur bedingt. „Der Mensch ist in vielem ungeschlagen, zum Beispiel im Knutschen“, meint Lobo. „Aber wir überschätzen unsere menschlichen Fähigkeiten.“
Der Netzaktivist diskutiert anschließend mit KIT-Präsident Holger Hanselka, den Professoren Michael Decker und Barbara Deml, der Grünen-Bundestagsabgeordneten Anna Christmann und dem SAP-Personalchef Cawa Younosi. Es geht auch um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Pflege.
Eine Umfrage im Saal zeigt: Viele sind noch skeptisch, ob sie ihre Eltern dieser Technik überlassen sollten. Christmann ruft dazu auf, auch mal die Perspektive der Pflegebedürftigen einzunehmen: „Die sind manchmal auch froh, wenn nicht immer ein anderer Mensch um sie herum ist.“
Außerdem drehe sich die Diskussion viel zu oft um niedliche Roboter mit Kulleraugen: Es gehe auch um KI-Techniken wie Betten, die Pflegebedürftige umbetten und so die Pflegekräfte entlasten.
Im Bereich KI-Forschung sind wir sehr weit vorne.Sascha Lobo, Blogger, Autor, Netzaktivist
Wo steht Deutschland im weltweiten Wettbewerb der KI-Branche? Weit abgeschlagen, glauben viele Laien in Deutschland. Netzaktivist Sascha Lobo korrigiert diesen „Irrtum“. Eigentlich sei das Gegenteil der Fall: „Im Bereich KI-Forschung sind wir sehr weit vorne“, betont er – aber an der Umsetzung für Markt und Industrie hapere es.
Dieser Wissenstransfer hätte aus Lobos Sicht in den vergangenen Jahren besser geklappt, wenn „eine vernünftige Wissenschaftsministerin“ anstelle von „Frau Karliczek“ die Geschäfte im Bundesforschungsministerium geführt hätte. Dafür erntet er spontanen Applaus aus den Reihen der KIT-Gäste.
Auch Grünen-Politikerin Christmann kritisiert, dass Deutschland unter der CDU-geführten Regierung versäumt habe, zum europäischen „Treiber“ in Sachen Künstlicher Intelligenz zu werden.
Taugt der Computer zum Richter?
Welche Chancen und Risiken beschäftigen die Bürger, wenn es um KI geht? Das KIT fordert das Publikum auf, Fragen zu stellen. „Wie lange wird es dauern, bis KI zum Richter wird?“, fragt jemand. „Das gibt es schon, seit 2017“, antwortet Lobo blitzschnell.
In den USA sei eine KI eingesetzt worden, um über Kautionen für Festgenommene zu entscheiden. Allerdings habe sich herausgestellt, dass der Computer-Richter schwarzen Menschen niemals eine Freigabe erteilt habe.
Dass Diskriminierung auch in die scheinbar unbestechliche Künstliche Intelligenz einfließt, zum Beispiel, weil Trainingsdaten vorwiegend aus bestimmten Bevölkerungsgruppen stammen, dafür gibt es diverse Beispiele. Christmann erklärt, es komme darauf an, diese Fehlentwicklungen zu erkennen und zu ändern – danach könne KI auch ein Garant für die Gerechtigkeit sein.
Und Lobo unterstreicht nochmal, wie wichtig gerade in solchen Zusammenhängen das Wissen über KI ist: „Ich möchte verstehen, wann ich eine Entscheidung lieber der Maschine oder dem Menschen überlasse.“