Brodelnde Karnevalsstimmung in der Karlsruher Innenstadt: Seit kurz nach 14 Uhr schiebt sich die große Parade anlässlich des Christopher Street Day (CSD) durch die City. Wummernde Bässe, Mitgrölmusik und ein Meer aus Regenbogenfahnen prägen das bunte Geschehen, das schon am Vormittag mit dem Familienfest auf dem Marktplatz begonnen hat. Am Straßenrand stehen viele Besucher der Innenstadt, die meisten mit gezückten Handykameras.
Ludwig Hinz beobachtet in der Erbprinzenstraße das Geschehen – mit Tränen in den Augen, wie er zugibt. Der 80-Jährige ist schwul und lebt seit langem mit seinem Partner zusammen. Vor zehn Jahren sei ein solch offener Umgang kaum denkbar gewesen, sagt er.
Er fühlt sich überwältigt: „Ich hätte nie gedacht, dass in Karlsruhe so eine Stimmung herrscht – das ist wie in Berlin!“.
Dennoch müsse sich in Sachen Akzeptanz noch einiges tun. Hinz arbeitete als Gymnasiallehrer, für ein offenes Outing sei damals nicht die Zeit gewesen. Unter der Hand hätten aber viele gewusst, dass er schwul ist.
Wie fand er es damals, nicht offen mit seiner Homosexualität umgehen zu können? Er zuckt mit den Schultern und sagt: „Ich habe das damals als Tatsache hingenommen.“
“Hier ist alles vertreten“
Ein paar Meter weiter, an der Kreuzung zur Lammstraße, überwacht ein Polizist den Verkehr. Viel zu tun hat Thomas Heiler von der Verkehrsüberwachung Karlsruhe nicht. Kaum ein Fahrzeug nähert sich, und die vorbeiziehende Masse ist friedlich.
„Das ist eine dankbare Veranstaltung für mich als Polizisten“, sagt er, „gute Musik, die Leute sind gut drauf - das macht man gerne!“ Eine Teilnehmerin schenkt ihm einen kleinen Regenbogen-Aufkleber: Er landet auf der Windschutzscheibe seines Dienst-Motorrads. Thomas Heiler grinst.
Gefeiert wird der CSD in Erinnerung an die Ereignisse im Juni 1969 in der New Yorker Christopher Street. Dort wehrten sich damals erstmals homosexuelle und transsexuelle Menschen gegen Diskriminierung und Polizeiwillkür.
Der sogenannte Stonewall-Aufstand gilt als Ursprung der heutigen Schwulen- und Lesbenbewegung. Die Teilnehmer am CSD demonstrieren aber auch für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender-Personen und Intersexuellen.
Ansprache von OB Mentrup mit Appell
Karlsruhes Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) erinnert in seiner Ansprache an die bunte Gemeinschaft, wie wichtig das Politische aus seiner Sicht am Christopher Street Day ist.
Es gehe nicht nur darum, etwas zu feiern, sondern auch zu verteidigen und weiterzuentwickeln. „Queer ist ein teil eines jeden Menschen – mal mehr, mal weniger“, ruft er von der Bühne auf dem Marktplatz (queer bezeichnet Menschen, die aus dem heterosexuellen Raster fallen oder sich nicht einer bestimmten Geschlechteridentität zuordnen).
Die queere Community gehöre, so das Stadtoberhaupt weiter, genauso zum neuen Karlsruhe wie die nicht-queere. Mentrup ging auch auf die schwierige Situation in der Ukraine und in den USA ein. „Deshalb ist es wichtig, von hier ein Zeichen in die Welt zu senden!“
Wenig Erfahrung mit CSD-Paraden hat eine ältere Frau aus Neureut. „Ich sehe so etwas zum ersten Mal“, erklärt sie. Das sei aber alles in Ordnung. Allerdings schaue sie nur kurz zu. Sagt’s dreht sich um und läuft Richtung Kaiserstraße. „Ich gehe wieder einkaufen!“
Auf einer Bank in der Erbprinzenstraße haben zwei weitere Seniorinnen auf einer Bank Platz genommen. Sie kommen aus Durlach und sind ebenfalls zum Einkaufen in die Innenstadt gekommen. „Hier ist alles vertreten, was es so gibt“, sagt eine von ihnen, gibt aber zu: „So gut kennen wir uns da nicht aus.“
Weil das mit der Vielzahl an Begriffen tatsächlich schwierig ist, haben die Veranstalter des Marktplatzes eine große Plane aufgehängt. Von asexuell über demisexuell und panromantisch bis zu Transgender ist darauf alles verständlich erklärt. Viele Passanten bleiben davor stehen und informieren sich. Unterdessen zeigen die ersten CSD-Teilnehmer Ermüdungserscheinungen.
Sie lassen sich nieder, wo sie gerade sind – vor dem Schloss oder mitten auf der Kaiserstraße. Dabei geht das Spektakel auf dem Marktplatz noch bis 22 Uhr. Die mit Ausdauer treffen sich dann bei der Rosapark Dance Night im Nachtwerk Music Club.