Der Marktplatz mit der Pyramide ist menschenleer. Auch an der Bushaltestelle wartet niemand. „Machen wir uns an Mariä Empfängnis mit den Krippenfiguren auf den Weg. Schaffen wir einen Platz, wo Gott ankommen kann“, sagt Dekan Hubert Streckert beim Gottesdienst zur Eröffnung der Karlsruher Citykrippe im weiten Rund der Kirche St. Stephan.
Dann erleben rund 70 Besucher, wie Mitglieder des Gemeindeteams die lebensecht bemalten, 30 Zentimeter großen Holzfiguren nacheinander hereintragen und so die Mini-Stadtkulisse beleben.
Denn die weihnachtliche Krippenszene wurde – wie beim Regietheater – in eine städtische Alltagssituation im Jahr 2022 transformiert.
Zwei Passanten-Figuren machen den Anfang. „Es ist Advent und es gibt so vieles, was uns ablenkt“, so Streckert. Das Treiben des Weihnachtsmarktes rund um die Kirche dringt nur gedämpft ins Innere. Maria und Josef seien als Flüchtlingspaar „in einer Durchgangsstation“ dargestellt, der Engel kommt als Reporter.
Etwas andere Krippenszene in Karlsruhe
Eine Krankenschwester folgt, und der Dekan bittet: „Lass sie Hilfe und Wertschätzung erfahren.“ Gott begleite auch Sportler in Sieg und Niederlage, weshalb symbolisch auch ein KSC-Fan mit Schal hinzukommt. Ein Spiegel bezieht die Besucher mit ein.
Die etwas andere Krippenszene wurde als „Kombilösung“ gemeinsam mit dem Künstler und Holzbildhauer Rudi Bannwarth aus Ettlingenweier, von der Ökumenischen Citykirchenarbeit „Fächersegen“ und dem Gemeindeteam St. Stephan ersonnen, finanziert und umgesetzt sowie gefördert von der Erzbischof Hermann Stiftung, die zur Erzdiözese Freiburg gehört. „Hier zeigt sich Lebendigkeit der Kirche von heute, nicht, was vor 2.000 Jahren war“, sagt deren Referatsleiterin Edith Lamersdorf.
„Ein Beispiel gelungener Inkulturation“ sieht Bürgermeister Albert Käuflein (CDU) in der Krippendarstellung. Das Christentum sei mitten in der Stadt, „das ist nicht selbstverständlich“. Er erinnert, dass die Kirche einen wichtigen Beitrag leiste, denn „das Christentum bestimmt unsere Kultur“.
Künstler Rudi Bannwarth hat zuvor schon eine Baustellenkrippe und eine Knastkrippe gestaltet
„Viel mehr als ein Dekoobjekt“, sieht Holzbildhauer Bannwarth in seinem Schnitzwerk, es gehe um die Wahrnehmung der Welt und „um eine zeitgemäße Interpretation“.
Der mit dem Europäischen Gestaltungspreis ausgezeichnete Künstler, dessen Baustellenkrippe das Bayrische Nationalmuseum angekauft hat, ging bei Josef Fux in Oberammergau in die Lehre, wo er auch Objekte für den amerikanischen Konzeptkünstler Jeff Koons erstellt hat. Bannwarth sagt: „Ich will keine endgültige Sichtweise darstellen, sondern das Publikum soll Anregungen aufgreifen und Neues wagen.“
Sehr angetan von der modernen Krippe zeigt sich Sven Kobinger, der Mesner von St. Bernhard. „Ich sehe die Krippe als Teil der Liturgie, eben als heiliges Theater“, sagt er. Und Besucherin Cornelia Kühlmann fasst es knapp zusammen: „eine beeindruckende Darstellung.“
Service
Die Karlsruher Citykrippe ist bis zum 8. Januar in der Kirche St. Stephan zu sehen.