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Erste Reaktionen zu Beschlüssen

„Großer Fehler“: Viel Kritik und etwas Verständnis aus der Region zum harten Corona-Lockdown

Bund und Länder ziehen einmal mehr die Notbremse. Sie haben einen harten Corona-Lockdown rund um die Ostertage beschlossen. Wie reagiert die Region darauf?

Piktogramm einer Spritze
Ein Effekt der Impf-Not: Bund und Länder verschärfen in der Corona-Krise über Ostern den Lockdown sogar noch. In der Region gibt es dafür verständnisvolle Stimmen, aber auch Kritik. Foto: Friso Gentsch / dpa

Entsetzt, überrascht, teils auch mit Verständnis und eigenen Vorschlägen reagieren Politiker, Einzelhändler, Gastronomen und Verbandsvertreter auf die jüngsten Corona-Beschlüsse der Bund-Länder-Runde. Ein Überblick:

Kein Verständnis für den erneuten Lockdown hat Petra Lorenz. „Die staatlichen Hilfen decken nur einen Teil der Fixkosten ab, und die Reserven sind langsam aufgebraucht. Ohne eine bessere Strategie werden viele Geschäfte für immer schließen müssen“, sagt die Inhaberin zweier Taschengeschäfte in Karlsruhe und Präsidentin des Handelsverbands Nordbaden.

Als „großen Fehler“ bezeichnet die Geschäftsfrau auch die geplanten Ladenschließungen am Gründonnerstag. „Dann werden sich die Leute am Mittwoch und Karsamstag in den Lebensmittelläden drängen. Und das ist doch genau das, was eigentlich verhindert werden soll“, sagt sie.

Das Zusammentreffen von vielen Menschen kann ihrer Ansicht nach auch durch eine komplette Schließung des Einzelhandels künftig nicht komplett unterbunden werden. Ohne offene Innenstädte würden sich die Leute andere Alternativen für ihre Freizeitgestaltung suchen, und dann komme es aller Voraussicht nach wieder bei beliebten Ausflugszielen zu großen Menschenansammlungen.

Die Beschlüsse gehen an der Realität vorbei.
Petra Lorenz, Präsidentin Handelsverband Nordbaden

Nach Lorenz’ Einschätzung hätte das System „Click and Meet“, bei dem Termine in Läden vorab gebucht werden müssen, auch bei höheren Inzidenzzahlen ohne ein großes Ansteckungsrisiko weiter betrieben werden können. „Die Hygienekonzepte sind vorhanden und funktionieren“, so Lorenz. „Deshalb gehen die Beschlüsse auch an der Realität vorbei.“

Rheinstettener Oberbürgermeister kritisiert Corona-Beschlüsse heftig

Kritik kommt auch aus der Nachbarstadt: „Ich bin ja sonst nicht um Worte verlegen. Aber mit der Lebensrealität hier vor Ort in Rheinstetten haben die Beschlüsse aus Berlin nichts zu tun. Wir testen doch schon seit Wochen an unseren Schulen - und hier wird angekündigt, man werde versuchen, jetzt endlich Tests einzuführen. Ich glaube, in Berlin und Stuttgart sind die Politiker weit von den Menschen entfernt“, sagt Rheinstettens Oberbürgermeister Sebastian Schrempp.

Gerade Anfang der Woche hätten sich 90 Prozent der Schüler der weiterführenden Schulen in Rheinstetten einem Schnelltest unterzogen. Die Menschen seien doch schon im Dauerlockdown – und der Beschluss, die Supermärkte noch zu schließen, führe nur zu einem Ansturm der Geschäfte, was die Verbreitung des Virus eher fördere.

„Überrascht war ich darüber, dass für diese Beschlüsse so viel Zeit gebraucht wurde“, sagt der Karlsruher Landrat Christoph Schnaudigel. Denn inhaltlich sei nicht viel geschehen. Mit der Verlängerung des Lockdowns habe er gerechnet. Mit Ausnahme des „Osterlockdowns“ gebe es im Landkreis Karlsruhe aber keine wirklichen Veränderungen. „Ich werte das als ein Zeichen der Uneinigkeit zwischen den Bundesländern und befürchte, dass die Beschlüsse nun in den Ländern wieder unterschiedlich umgesetzt werden“, so Schnaudigel. Deshalb müsse man auf die konkrete Umsetzung noch warten. Er kritisiert: „Ob es aber wirklich sinnvoll ist, auch die Lebensmittelgeschäfte am Gründonnerstag vor den Feiertagen zu schließen, halte ich für fraglich, denn dann gehen die Leute eben am Mittwoch und Samstag einkaufen und es wird schwierig, Abstände einzuhalten.“

Enttäuschung auch im Landkreis Rastatt

Von den nach wie vor unklaren Regelungen ist der Erste Landesbeamte des Landkreises Rastatt enttäuscht. „Damit müsse wir erst mal klarkommen“, sagt Jörg Peter. Der Landkreis Rastatt liegt seit Tagen über der 200er-Marke und ist dabei landesweit einer von lediglich zwei Landkreisen mit einer derartig hohen Inzidenz. Das Landratsamt prüft nun, welche rechtlichen Möglichkeiten es hat, um strengere Regeln zu verhängen. Angedacht ist etwa, die Maskenpflicht für Kitapersonal so zu verschärfen, wie sie in der Stadt Rastatt aufgrund der dortigen Inzidenz seit Montag gilt: Danach müssen Erzieher innerhalb und auf dem Außengelände der Kitas FFP2-Masken tragen, solange sie sich nicht alleine in einem Raum aufhalten. Landkreisweit sollen zudem die Kontrollen durch Polizei, Ordnungsdienste und das Gesundheitsamt intensiviert werden, kündigt Peter an.

Gesundheit ist unser höchstes Gut, das gilt es zu schützen.
Martin Wolff, Oberbürgermeister Bretten

„Ich sehe die ganze Entwicklung mit Sorge“, sagt Brettens Oberbürgermeister Martin Wolff. Die Politik müsse den Spagat zwischen der Abwägung der gesundheitlichen Risiken und einer Gesellschaft, die Lockerungen verlangt, bewältigen – und das sei außerordentlich schwierig. „Gesundheit ist unser höchstes Gut, das gilt es zu schützen“, sagt Wolff.

Baden-Badens OB Margret Mergen hält es angesichts der hohen Inzidenzwerte im Landkreis Rastatt und Baden-Baden, aber auch im gesamten Land, für richtig, jetzt noch keine Lockerungen vorzunehmen. Sie unterstützt jedoch den Vorschlag des Städtetags, unter strengen Auflagen Öffnungen im Einzelhandel sowie in der Gastronomie und Hotellerie zuzulassen. Vor allem für die in Baden-Baden wichtigen Branchen Gastronomie und Hotellerie sei die Lage nach einem Jahr Lockdown, der nur wenige Wochen unterbrochen war, ausgesprochen ernüchternd. „Für viele ist das inzwischen existenzbedrohend“, betont Mergen.

„So arg war ich nicht überrascht. Es war klar, dass der Lockdown weitergilt und die Notbremse gezogen wird“, so Ettlingens Oberbürgermeister Johannes Arnold am Dienstagmorgen in einer ersten Stellungnahme zu den Berliner Empfehlungen. Aber was er nicht verstehen könne ist, dass es am Gründonnerstag nicht möglich sei, in den Supermärkten einzukaufen. Dann sei es am Ostersamstag umso voller in den Lebensmittelgeschäften.

„Die Nervosität nimmt zu. Es muss jetzt langsam etwas passieren, weil wir hier quasi Mitgefangene der politischen Beschlüsse sind und diese hier vor Ort gegenüber dem Handel und der Bevölkerung umsetzen müssen. Wir brauchen jetzt endlich eine konstruktive Perspektive und appellieren auf vernünftige und schnelle Lösungen gerade mit Blick auf den örtlichen Einzelhandel und die Gastronomie“, stellt Bühls Oberbürgermeister Hubert Schnurr klar. Es sei dringend notwendig, dem öffentlichen Leben wieder einen Atem einzuhauchen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Menschen ab dem Airpark in Rheinmünster-Söllingen nach Mallorca fliegen, während hier alles lahmgelegt sei. Die Stadtverwaltung werde deshalb dem Gemeinderat eine entsprechende Petition an die Landesregierung für umgehende vernünftige Öffnungs-Lösungen zur Abstimmung vorlegen.

Waghäusels Oberbürgermeister Walter Heiler stellt die Sinnhaftigkeit eines geschlossenen Gründonnerstags in Frage. „Die Leute werden vorher umso eifriger einkaufen gehen“, so seine Einschätzung. Generell fehle es an Perspektiven von Bund und Land für Gastronomie und Einzelhandel. „Die Verzweiflung bei den Betroffenen ist groß“, berichtet er von Rückmeldungen aus Waghäusel. Dort wollen die Gastronomen am Samstag mit einer Demonstration auf ihre Situation aufmerksam machen.

Bürgermeisterin Nicola Bodner aus Pfinztal sagt: „Die nun getroffenen Regelungen machen es für uns an der Basis nicht einfacher. Insgesamt ist das Vorgehen auf Bundesebene eher als chaotisch einzustufen, während wir hier vor Ort Hand in Hand zusammenarbeiten.“

Bernd Stober, Bürgermeister in Eggeinstein-Leopoldshafen, macht auf die Uneinheitlichkeit des Vorgehens aufmerksam: „So erlaubt beispielsweise die aktuelle Corona-Verordnung des Landes „Click and Meet“. Allerdings beschränkt die Allgemeinverfügung des Landkreises Karlsruhe, die seit diesem Dienstag gilt, auf die Maßnahme „Click and Collect“, da wir eine Inzidenz von größer 100 drei Tage in Folge hatten.“



Keine Präsenzgottesdienste an Ostern in der Corona-Krise

Auch das Thema Gottesdienste treibt die Verantwortlichen um. Rami Suliman von der Israelitischen Religionsgemeinschaft (IRG) Baden reagierte rasch auf die Bund-Länder-Beschlüsse: „In unseren Synagogen finden schon seit vergangenen Oktober keine Gottesdienste mehr statt. Viele unserer Gemeindemitglieder sind ältere Leute, da wollen wir kein Risiko eingehen.“ Auch für das Pessach-Fest, das am kommenden Samstagabend beginnt, gibt es keine Ausnahme.

Rami Suliman
2007
Vorsitzender der Juedischen Kultusgemeinde Pforzheim
„Wesen der Religion ist das Zusammensein“: Rami Suliman bedauert, dass das Pessach-Fest nicht als Präsenzgottesdienst stattfinden kann. Foto: Ehmann Herbert

Der IRG-Vorsitzende aus Pforzheim betont: „Diese Maßnahmen fallen uns sehr schwer, weil das Wesen unserer Religion doch das Zusammensein ist.“ Zu Präsenzgottesdiensten wollen die Juden in Baden erst bei einer annähernden Durchimpfung der Über-70-Jährigen zurückkehren.

Not in Hotels und Gastronomie: kein Verständnis von der Dehoga

Herbert Decker, Kreisvorsitzender des Branchenverbandes Dehoga und Betreiber des Hotels Engel in Sasbachwalden, hat kein Verständnis für den verschärften Lockdown. „Ich bin sprachlos. Wir dürfen nun schon seit Monaten nicht öffnen, und die Politik hat weder entsprechende Konzepte entwickelt, noch funktionieren die Schnelltests und die Impfkampagne“, ärgert sich Decker.

Einfach nur gastronomische Betriebe und Läden dichtzumachen, ergebe keinen Sinn. „Die Leute stecken sich auf der Arbeit, in den öffentlichen Verkehrsmitteln und beim Einkaufen im Supermarkt an“, meint der Hotelbetreiber.

Zwar habe er in seinem eigenen Betrieb generell nicht geplant, über Ostern die Außengastronomie zu eröffnen. Die unter diesen Umständen zu erwartenden Umsätze hätten die Kosten nicht gedeckt. Doch insbesondere ausschankorientierte Betriebe hätten sich Hoffnungen auf die Osterfeiertage gemacht.

Decker kritisiert auch die fehlende Verbindlichkeit politischer Entscheidungen. Es sei jetzt schon zu erwarten, dass die Betriebe noch länger geschlossen bleiben müssten. Schließungen bis in den Sommer hinein könne die Branche aber nicht verkraften.

Eigentlich hatte Hans Schindler, Dehoga-Vorsitzender in Baden-Baden, eh nicht mehr mit der zeitnahen Öffnung der Außengastronomie gerechnet, trotzdem wurde er von den neuen Beschlüssen zusätzlich enttäuscht. „Ich hätte mir gewünscht, dass die Regierung immerhin mit einem Satz auf unsere Branche eingeht“, sagt Schindler. Diese hätte beispielsweise eine Perspektive für nach den Ostertagen äußern können. Er betont: „Man hat uns mittlerweile alles, was als Hotspot im Jahr da war, weggenommen.“ Somit gab es im vergangenen Jahr kein Weihnachts-, Silvester- und nun auch kein Ostergeschäft.

Nora Waggershauser, Geschäftsführerin der Kur & Tourismus GmbH Baden-Baden, hatte vor den jüngsten Beschlüssen noch auf ein Ostergeschäft gehofft, was jetzt aber nicht eintreten werde. Was ihr aber noch mehr Sorgen bereitet, ist, dass es derzeit keine Perspektive für den Sommer gebe. Im vorigen Jahr habe es wenigstens noch einige deutsche Touristen gegeben. „Ich rechne mit einem schlimmeren Sommer als 2020“, sagt Waggershauser. Sie appelliert an die Politik, sich Gedanken zu machen, wie sich die Hotels unter Auflagen Schritt für Schritt öffnen lassen.

Auch weitere Einzelhändler sind entrüstet: Edeka-Unternehmer Günter Wachtler aus Pforzheim sagt: „Das ist eine volle Katastrophe in einer Woche, wo eh schon alles angespannt ist.“ Mit Gründonnerstag und Ostersamstag seien für den Lebensmittel-Einzelhändler die „beiden umsatzstärksten Tage im Jahr weg“.

Fassungslos angesichts dessen, wie es beim Testen und Impfen läuft, ist auch Regina Happel-Reiling. Die Friseurmeisterin ärgert sich auch über „die Angstmacherei vor der Mutante“. Manche Kundin wolle deshalb in einem separaten Raum bedient werden.

„Was bringt uns das?“, reagiert Personalchefin Inge Reim von G.Rau in Pforzheim auf die Forderung nach Tests in gewerblichen Betrieben und erläutert: „Binnen zehn Minuten haben wir eine andere Situation im Betrieb.“

An der Recherche haben mitgewirkt: Hauke Heuer, Nicole Jannarelli, Sidney-Marie Schiefer, Janina Keller, Dirk Neubauer, Ekart Kinkel, Holger Keller, Michael Rudolphi, Johannes Weis, Edith Kopf, Andreas Bühler, Swantje Huse.

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