Das Handy ist für Nicki Gohl in der Vorweihnachtszeit ein unverzichtbares Arbeitsgerät. Mit dem mobilen Telefon nimmt die Mitgeschäftsführerin des Kindermodeladens Hergard nicht nur Anrufe entgegen, sondern bietet ihren Kunden auch einen Service der besonderen Art.
Über die Videoanruf-Funktion liefert Gohl der Kundschaft Bilder von den aktuellen Kollektionen direkt nach Hause. Dann können sich Mütter und Väter ein Bild von den Kindersachen machen und bei Bedarf mit dem Nachwuchs zum Anprobieren in den Laden kommen. „Wir haben geöffnet und wollen unsere Kunden bestmöglich beraten“, sagt Gohl.
„Weil sich viele Leute derzeit jedoch nicht in die Stadt trauen, müssen wir neue Wege beschreiten und auf die Menschen zugehen.“
In der Innenstadt ist weniger los als üblich
Die Zurückhaltung der Bevölkerung in Sachen Einkaufen kann Gohl beim Blick aus dem Schaufenster auf die Herrenstraße Tag für Tag erkennen. Der November sei für den Einzelhandel zwar ohnehin ein schwacher Monat, betont Gohl, aber dennoch seien seit dem Beginn des sogenannten „Lockdown light“ deutlich weniger Menschen in der Innenstadt unterwegs als normalerweise üblich.
Außerdem rufen regelmäßig Leute im Laden an, die sich Kleider im Internet bestellt haben, diese zurückschicken mussten, und nun doch eine kompetente Beratung mit Anprobe wünschen. „Beim Kleiderkauf spielt das persönliche Erleben einfach eine wichtige Rolle“, sagt Gohl. Angst vor einer möglichen Ansteckung müsse niemand haben.
Im Einzelhandel würden Hygienevorgaben wie Maskenpflicht, Desinfizieren und das Vermeiden von Gedränge gut umgesetzt.
Mit ihrem Videoservice ist Gohl nicht alleine, bestätigt Swen Rubel. „Der Einzelhandel muss in der Krise zum Kunden kommen. Zahlreiche Geschäftsleute gehen bereits mit gutem Beispiel voran und bieten ein virtuelles Einkaufserlebnis“, sagt der Geschäftsführer des Handelsverbands Nordbaden.
Laut einer internen Umfrage befürchtet aber über die Hälfte der Einzelhändler während des Weihnachtsgeschäfts deutliche Umsatzeinbußen. Besonders betroffen vom November-Lockdown sind nach Rubels Einschätzung Kleiderläden in den Innenstädten.
Spezielle Beratungstermine zum Anprobieren
Beim Modehaus Nagel in der Durlacher Pfinztalstraße hat man die Zeichen der Zeit ebenfalls erkannt. Auf der Facebookseite werden jede Woche spezielle Outfits für Frauen und Männer präsentiert, und dazu werden Kleidungsstücke in verschiedenen Größen zum Anprobieren in den eigenen vier Wänden verschickt.
Außerdem können über eine Servicenummer persönliche Beratungstermine zum Anschauen und Anprobieren vor Ort vereinbart werden. „Das ist fester Bestandteil unseres Kundenservice. Die Leute können auch mal nach den üblichen Öffnungszeiten kommen“, sagt Modehaus-Geschäftsführer Holger Witzel.
Ohne Gastronomie kommen weniger Leute in die Städte
Komplett abfedern kann Witzel die Umsatzeinbußen durch solche Aktionen allerdings nicht. So lange die Gastronomiebetriebe geschlossen seien, kehre das Leben nämlich nicht in die Einkaufsmeilen zurück. „Shoppen ist ein emotionales Erlebnis. Da wollen die Leute nach dem Einkaufen noch einen Kaffee trinken oder etwas essen“, betont Witzel.
Auch der mittelalterliche Weihnachtsmarkt vor der Karlsburg habe jedes Jahr zahlreiche Menschen in die Durlacher Altstadt gespült. Die Maskenpflicht ist nach Witzels Einschätzung dagegen das geringste Problem; sowohl das Personal als auch die Kunden hätten sich mittlerweile an den Mund-Nasen-Schutz gewöhnt.
Reisebücher werden mit dem Fahrrad ausgeliefert
Aus der Not eine Tugend macht derzeit auch Volker Hager. Mehrmals die Woche schwingt sich der Geschäftsführer des Reisebuchladens in der Herrenstraße auf sein Fahrrad und liefert Druckerzeugnisse an seine Kunden aus. „Wer bei uns anruft, bekommt die Ware am nächsten Tag ins Haus. Das ist schneller als bei Amazon“, sagt Hager.
Den Webshop hat er bereits während des Lockdowns im März ausgebaut. Dank der vielen Stammkunden komme der Reisebuchladen einigermaßen gut durch die Krise. „Die Leute brauchen derzeit vielleicht keine Reiseführer. Aber wir haben auch Belletristik im Angebot“, sagt Hager. Außerdem liegen derzeit Reise- und Radwanderführer mit Tourenvorschlägen in Süddeutschland im Trend.