Skip to main content

International bedeutendes Feuchtgebiet

Alles im Fluss: Die Rheinauen leben vom Auf und Ab des Wassers

Wo der Rhein sich einst immer neue Wege suchte, findet vielfältiges Leben seine Nische: Die Rheinauen gehören zu den artenreichsten Regionen Deutschlands. Entsprechend viel gibt es zu entdecken - sogar einen Rückkehrer.

Rheinschlute bei Hochwasser
Die Rheinauen mit ihrem wechselnden Wasserstand sind wegen ihres Artenreichtums und ihrer ökologischen Funktion ein Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung. Foto: Andreas Wolf

Leuchtend weiß hebt sich der Vogel vom Grau des Januartages ab: Ein Silberreiher steht im knietiefen Wasser des Illinger Altrheins und lauert bewegungslos auf Beute. Vor allem Fisch steht zu dieser Jahreszeit auf seinem Speiseplan. Amphibien, Insekten und Mäuse sind gerade nicht im Angebot.

„Ein Wintergast“, erklärt Rainer Deible. Er hat sich der Naturfotografie verschrieben und ist ein exzellenter Kenner der Rheinauen. Ganze Schwärme der Schreitvögel hat er schon erlebt, wie sie frühmorgens am Flachwasser einflogen.

260 Vogelarten nutzen die Rheinauen

Wo der Rhein sich einst immer neue Wege suchte, das Auf und Ab des Wassers die Landschaft prägte, findet vielfältiges Leben seine Nische: Allein 260 der gut 300 in Deutschland nachgewiesenen Vogelarten nutzen die Auen, weiß Andreas Wolf, der das Naturschutzzentrum Karlsruhe-Rappenwört leitet.

Eisvogel, Flussseeschwalbe und Rohrdommel sind darunter, fast alle Spechtarten und auch Bewohner der selten gewordenen Nasswiesen wie Bekassine, Brachvogel und Kiebitz.

Viele von ihnen hat Rainer Deible schon vor die Linse bekommen – einige auch direkt vor seiner Haustür am Illinger Altrhein. „Wer mit offenen Augen unterwegs ist, kann vieles entdecken“, sagt er. Vom Damm aus, an dem aufwendige Sanierungsarbeiten im Gange sind, kann man ein Storchenpaar erkennen, das sich zum Bleiben entschieden hat.

Eisvogel
Typische Auenbewohner: der Eisvogel, ... Foto: Rainer Deible

Ein paar Meter weiter sieht man die Nester von Graureihern in dem Pappeln – wenn man weiß, nach was man Ausschau halten muss: Wie unordentliche Misteln hängen sie an den Ästen. Wo der Weg Richtung Rhein und zur Landzunge Kohlkopf führt, ist ein Miauen zu vernehmen – der frühe Balzruf eines Bussards, erklärt Deible. Ein schriller Warnruf folgt: Ein Eichelhäher stiebt schimpfend davon.

Der Eisvogel ist kleiner, als viele Menschen denken

Auf der anderen Seite der Brücke Richtung Baggersee hat Deible den einen oder anderen Eisvogel fotografiert, der auf einem Weidenast dicht über dem Wasser Ausschau nach Beute hielt. Der Juwel der Rheinauen mit seinem leuchtend-türkisen Gefieder brütet in Höhlen am Steilufer oder auch einmal in den Wurzeltellern alter Pappeln, die der Wind gefällt hat.

Viele Spaziergänger bekommen ihn dennoch nicht zu Gesicht. „Weil er kleiner ist, als viele Menschen denken“, sagt Deible schmunzelnd. So groß wie eine Hand ist der Eisvogel - und blitzschnell, wenn er mit seinem langen spitzen Schnabel ins Wasser stößt.

Die Flusssysteme sind die artenreichsten Regionen Europas – was an der Vielfalt der Lebensräume liegt: Von trocken-heißen Kiesinseln bis zu dauer-nassen Wäldern, Mooren und Sümpfen reicht das Spektrum, erklärt Andreas Wolf. In den Rheinauen sind fast 700 verschiedene Schmetterlinge nachgewiesen, typisch ist der Schillerfalter, der beim richtigen Einfall des Sonnenlichts ein leuchtendes Blau präsentiert.

Unter den 17 Amphibienarten ist nicht nur die Gelbbauchunke, sondern auch der Moorfrosch. Der ist eine Rarität, und zwar nicht nur, weil das eigentlich braun-grüne Männchen knallblau wird, wenn es in Wallung kommt: Deutschlandweit hat er nur noch zwei stabile Standorte.

Für ihn gibt es daher ein neues Schutzprogramm, erklärt Lena Zech von der Abteilung Natur- und Landschaftspflege des Regierungspräsidiums.

Rheinauen sind ein grenzüberschreitendes „Ramsar-Gebiet“

Auch als Standort seltener Pflanzen sind die Auen bedeutend – Kleefarn und Wassernuss etwa gibt es deutschlandweit nur noch hier. Lebensraum sind die Rheinauen auch für 40 Fischarten - darunter wandernde Spezies wie Lachs, Aal und Maifisch -, für 52 der rund 70 in Deutschland heimischen Libellen, 44 teilweise höchst rare Heuschrecken, 47 Säugetiere - die Liste ist beeindruckend.

Und einer der Gründe dafür, warum die Rheinauen ein besonderes Prädikat erhielten: Die Region Oberrhein / Rhin supérieur ist seit zwölf Jahren als grenzüberschreitendes „Ramsar-Gebiet“ zertifiziert. Benannt nach der iranischen Stadt, in der die Unesco-Konvention vor genau 50 Jahren auf den Weg gebracht wurde, zeichnet der Titel „Ramsar“ Feuchtgebiete von weltweiter Bedeutung aus.

Ramsar ebnet den Zugang zu Förderprogrammen

Von Weil am Rhein und Village-Neuf bis Karlsruhe und Lauterburg erstreckt sich das Ramsar-Gebiet Oberrhein über 190 Kilometer. Von West nach Ost sind es bis zu elf Kilometer, da die an den Rhein angrenzenden Feuchtgebiete einbezogen sind.

Auf deutscher Seite sind die Regierungspräsidien in Karlsruhe und Freiburg, das Landesumweltministerium und das Naturschutzzentrum Rappenwört, das als Nordportal fungiert, in der Organisation.

Kopfweiden
Prägen die Landschaft: Kopfweiden bei Rastatt. Ihre Zweige wurden einst als Faschine für die Deiche sowie fürs Flechten von Körben verwendet Foto: Andreas Wolf

„Ramsar“ bedeutet keine Schutzkategorie, stellt Andreas Wolf klar. Das 47.500 Hektar große Areal umfasst aber zahlreiche Flora-Fauna-Habitat- und Vogelschutzgebiete – bei deren Ausweisung das Ramsar-Zertifikat freilich hilft, so Lena Zech, die bei für die Naturschutzbehörde für Ramsar zuständig ist.

Die Unterzeichner haben sich aber verpflichtet, die Naturräume nachhaltig zu nutzen. Ein wichtiger Effekt der Zertifizierung ist zudem, dass es den Zugang zu nationalen wie internationalen Förderungen wie Interreg- oder EU-Life-Programmen ebnet.

So ermöglichten etwa die Life-Programme „Lebendige Rheinauen bei Karlsruhe“ (2004 bis 2009) und „Rheinauen bei Rastatt“ (2011 bis 2015) wichtige Maßnahmen zum Erhalt und zur Renaturierung der Auenlandschaft.

Sie brachten auf Karlsruher Gemarkung in der Fritschlach ein neues Stillgewässer für stark gefährdete Libellenarten, in der Burgau neue Lebensräume für Amphibien, an der Albmündung mehr Durchlässigkeit für Fische und die fischähnlichen Neunaugen und im gesamten Gebiet die Förderung typischer Baumarten: Silberweide, Erle, Eiche, Esche und Wildobstbäume.

Mehr Dynamik bringt neue Lebensräume

Rund um Rastatt flossen insgesamt fast 15 Millionen Euro, um Rhein- und Murgaue wieder natürlicher und dynamischer werden zu lassen. So wurde der Riedkanal auf einem Kilometer Länge wieder zu einem abwechslungsreichen Gewässerbett mit unterschiedlichen Strömungen umgestaltet – und bietet nun dem Eisvogel, Bachneunauge, Steinbeißer und Azurjungfer neuen Lebensraum.

Die Hofwaldschlut, eine alte Murgschlinge, die weitgehend verlandet war, wurde an den Riedkanal angeschlossen – und lebte auf, seit sie wieder Wasser führt. Und auch am Illinger Altrhein veränderte sich etwas: An der Spitze der Landzunge „Kohlkopf“ wurde ein Verbindungsgraben zwischen Rhein und Altrhein gebaggert, damit das Rheinwasser Schlamm und Sand heraustransportieren kann.

Wer mit offenen Augen unterwegs ist, kann vieles entdecken.
Rainer Deible, Naturfotograf

„Die Auen sind oft überaltert und verlanden immer mehr, weil die Dynamik fehlt“, erklärt Rainer Deible. Grundlage für den Artenreichtum am Oberrhein ist aber, dass alles im Fluss ist. Deible hat das Rastatter Projekt unterstützt und war mit dem Infomobil unterwegs. „Es ist ganz wichtig, die Leute mitzunehmen“, ist er sich mit Zech und Wolf einig.

Tipps für einen lehrreichen Spaziergang in den Rheinauen

Dazu gehört, dass die Menschen die Rheinauen erleben können – und sollen. „Nur was man kennt, schützt man auch“, erinnert Lena Zech. Freilich nicht in den Kernzonen, aber in den Nutzungs- und Erlebnisbereichen wie etwa beim Naturschutzzentrum gibt es Informationen und Angebote – auch außerhalb der Corona-bedingt geschlossenen Ausstellung.

Ein Ergebnis des Rastatter Projekts sind Beobachtungstipps für jeden Monat – im Februar etwa sollte man sich bei einem Rundgang am Illinger Altrhein auf die Suche nach dem Specht machen.

Noch umsetzbar ist auch der Tipp vom Januar: Wer ein Fernglas mitnimmt, entdeckt in der Rheinauen jede Menge Wintergäste wie Tafel-, Krick-, Reiher- und Schnatterente, Gänsesäger und Singschwan.

Silberreiher
und Silbereiher . Foto: Rainer Deible

Grenzüberschreitend und nach der gleichen Systematik wurden die Wasservögel gerade wieder gezählt – auch das ist ein Ergebnis von Ramsar, erklärt Lena Zech. Bestätigt hat die Erhebung allerdings, dass vor allem direkt am Rhein die Bestände zurückgehen. Zudem wurden kaum Raritäten wie Eistaucher und Mittelsäger gesichtet.

Beobachten kann man viele der Wintergäste beispielsweise am Knielinger See, am Kleinen Bodensee, am Goldkanal, am Illinger Baggersee, am Fermasee, am Bärensee – Möglichkeiten gibt es viele. Dass die Rheinauen auch für Zugvögel ein wichtiges Rast- und Überwinterungsgebiet sind, war ein wichtiges Argument für die Ramsar-Zertifizierung, so Wolf. Mit dazu bei trug die Bedeutung der Auen als Wasserspeicher und Grundwasser-Reservoir, fügt Zech an. „Und auch als CO2-Speicher sind die Auen wichtig“, sagt Wolf.

Der Biber ist wieder da

Große Hoffnungen setzen beide in das „Integrierte Rheinprogramm“, das gleichermaßen Hochwasserschutz und neue Dynamik für die Auen bringen soll - politisch aber immer wieder stockt. Punktuell sei speziell durch die Projekte aber vieles in Bewegung gekommen, sind sie sich einig.

Was auch ein Rückkehrer beweist: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausgerottet, ist der Biber zurück am Oberrhein. Im Naturschutzgebiet Bremengrund bei Au am Rhein konnte er gerade nachgewiesen werden.

Veranstaltungen zu den Rheinauen

Zum Ramsar-Jubiläum waren beiderseits des Rheins viele Exkursionen und weitere Veranstaltungen geplant. Vieles soll nun an Aktionstagen zwischen 28. Juni und 11. Juli nachgeholt werden.

Zu Ramsar gibt es im (aktuell geschlossenen) Naturschutzzentrum eine Wanderausstellung. Zum Programm gehören beispielsweise auch deutsch-französische Schulveranstaltungen mit eigens dafür konzipiertem Material.

Hier finden sich die Beobachtungstipps für die Rastatter Rheinauen.

nach oben Zurück zum Seitenanfang