
Tobias Drewelius ist Dirigent, unter anderem beim KIT-Sinfonieorchester in Karlsruhe, das sich mit ihm 2021 den Titel „Preisträger des Deutschen Orchesterwettberbs“ erspielt hat.
Nach dem Abschluss seines Dirigierstudiums ist er 2017 nach Ecuador gereist, um die Organisation „Musiker ohne Grenzen“ zu unterstützen. Über seine Erfahrungen spricht er im Interview.
Sie unterstützen die Organisation „Musiker ohne Grenzen“. Ich persönlich kenne nur die „Ärzte ohne Grenzen“. Kann für Sie Musik auch Medizin sein?
Tobias DreweliusAuf gewisse Weise ja, auch wenn es natürlich keine physischen Wunden sind, die wir heilen. Neben den „Ärzten ohne Grenzen“ gibt es ja auch die „Ingenieure ohne Grenzen“, die in Afrika oder Lateinamerika zum Beispiel Brunnen bauen. „Musiker ohne Grenzen“ ist eine deutsche Organisation, die sich darum kümmert, dass musikinteressierte Menschen im Rahmen von Freiwilligendiensten in verschiedene Länder reisen und dort an eigens gegründeten Musikschulen unterrichten. Durch ihre Arbeit können sie dort jungen Menschen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, ein konstruktives soziales Miteinander und manchmal sogar eine berufliche Perspektive geben.
Sind Ihnen in Ecuador bestimmte Herausforderungen begegnet, die Sie in dieser Form während Ihres Studiums oder Ihrer Arbeit noch nie erlebt haben?
Tobias DreweliusJa, es gab eine ganze Menge Herausforderungen, angefangen bei der Sprache. Ich habe natürlich vorher etwas Spanisch gelernt, aber als ich ankam, wurde klar: Hier spricht man nicht das Castellano aus der Sprachschule. Alles ist sehr schnell, verwaschen und voll von Slangwörtern. Es braucht eine Zeit, um sich dort einzuhören und dann auch noch in dieser Sprache zu unterrichten. Wenn man mit den „Musikern ohne Grenzen“ reist, kommt man zudem in eine Gastfamilie; mit ganz anderen Gewohnheiten, einem anderen sozialen Kontext, und einer vollkommen anderen Lebensrealität.
Dirigent sieht im KIT-Orchester viel Leidengschaft und großes Engagement
Von Ecuador sind Sie zurück nach Karlsruhe gekommen. Dort sind Sie nun Dirigent des KIT-Sinfonieorchesters. Was unterscheidet die Arbeit bei einem Amateurorchester von der mit Profis?
Tobias DreweliusDas KIT-Sinfonieorchester umfasst alle Altersgruppen von 16 bis 85 Jahren. Es ist ein Orchester, das mit sehr großer Leidenschaft und großem Engagement Musik macht. Der Kontakt zu den Musikerinnen und Musikern ist sehr direkt, sehr emotional und man merkt nach jeder Probe die Begeisterung und Dankbarkeit für das Schöne, was wir gemeinsam gestalten. Natürlich gehören aber nicht nur Proben dazu, sondern auch das soziale Miteinander und die Pizza bei unserem Stammitaliener. Als Berufsmusiker im Orchester hat man sich sicher noch mehr technische und musikalische Fertigkeiten erarbeitet, aber eine Probe ist eben auch Teil des stressigen Berufsalltags und nicht der Freizeit.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie eine neue Partitur vorgelegt bekommen? Was sind Ihre ersten Schritte?
Tobias DreweliusIn der Regel lese ich sie erst und versuche, das Ganze am Klavier darzustellen, um die ersten eigenen musikalischen Ideen zu entwickeln. Dann erforsche ich den geschichtlichen Hintergrund des Werkes, um auf dieser Ebene einen tieferen Einblick zu bekommen. Danach geht es an die körperliche Arbeit. Das geht bei mir leider nicht intuitiv, ich muss also öfter überlegen: Was wäre eine geeignete Bewegung bei dieser oder jener Stelle, welche die Musikerinnen und Musiker auch verstehen?
Mal angenommen, Sie hätten 60 Minuten Zeit für eine Unterrichtsstunde oder ein Treffen mit einem Dirigenten Ihrer Wahl. Wen würden Sie wählen?
Tobias DreweliusWahrscheinlich Paavo Järvi, momentan Chefdirigent beim Tonhalle-Orchester Zürich. Seine Art, Körperlichkeit, Freiheit und Freunde beim Dirigieren auszustrahlen, finde ich wahnsinnig faszinierend. Und seine musikalischen Ergebnisse sind einfach umwerfend.