
Eine Mutter, die Ingenieurin ist, ein Vater, der unterrichtet. Eltern, die sich Zeit nehmen, die Fragen ihrer Kinder zu beantworten. Ein Haushalt voller Bücher und einem eigenen Zimmer für jedes Kind. Reisen in den Ferien. Finanziell sorglos. Das ist nicht die Wirklichkeit vieler Kinder. Sie stehen am Zaun außerhalb des Paradiesgartens.
Lena Gros reicht diesen Kindern eine Hand. Nach ihrem Studium der technischen Volkswirtschaftslehre und des Wirtschaftsingenieurwesens am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) arbeitet sie aktuell an der Pestalozzischule in Durlach für die Bildungsinitiative Teach First (englisch für „Unterrichte zuerst“).
„Der klassische Weg nach dem Studium führt in einen Konzern oder in eine Beratung. Die Vorstellung hat mir nicht gefallen, ich wollte gern eine sinnstiftende Arbeit“, beschreibt Gros die Gründe für ihre Entscheidung.
Seit Januar ist Lena Gros in Durlach im Einsatz
Als sogenannte „Fellow“ ist Gros seit Januar an der Durlacher Schule. Dort ist sie vor allem in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) eingesetzt. Besonders in diesen Fächern ist das Klassenmanagement von 25 Schülern „in der besten Pubertätszeit“ herausfordernd, sagt Gros.
Umso schöner sind dafür die kleinen Erfolge im Schulalltag. „Ich erinnere mich noch an einen Moment als eine Schülerin eine Frage in Mathematik richtig beantwortet, sich dann zu mir umdreht und sagt: ,Frau Gros, wegen Ihnen bin ich Profi’. Solche Situationen erlebe ich fast täglich“, erzählt Gros.
Die Idee von Teach First stammt aus den USA, wo die Organisation Teach for America heißt. Das Ziel: mehr Bildungsgerechtigkeit. Das Prinzip: Junge Menschen, die gerade ihren Hochschulabschluss gemacht haben, engagieren sich zwei Jahre an einer Schule, oft in einem sozialen Brennpunkt.
Sie bringen dort ihr jeweiliges akademisches Profil ein und ergänzen so die Bildungsarbeit: Eine Informatikerin bringt den Kindern etwa Programmieren bei oder ein Jurist erklärt den Strafprozess. Die „Fellows“ bringen neue Projekte an die Schulen, wie beispielsweise Lerncamps und Bildungsreisen, und widmen sich den Schülerinnen und Schülern ganz individuell – keine Erziehung ohne Beziehung.
Ein Projekt von Gros ist zum Beispiel die Bildungsarbeit mit dem Mikrocontroller Calliope. Zum Thema Klimaschutz haben die Schüler damit ihre eigene Wetterstation programmiert und gebastelt.
Hier sieht Gros noch Entwicklungspotenzial an den Schulen: „Es gibt ein paar Beamer und iPads, aber im Vergleich zu anderen Standards ist die technische Ausstattung eher schlecht. Die Computer brauchen teilweise fünf Minuten zum Hochfahren und nicht alle Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit zu Hause auf Computer zuzugreifen.“
Als „Fellow“ sei es wichtig, auch außerhalb der Klassenräume Zeit mit den Schülerinnen und Schülern zu verbringen – und Spaß zu haben. Gros erinnert sich besonders gern an die Ausflüge in die Trampolinhalle.
Viele „Fellows“ arbeiten nach den zwei Jahren weiter im Bildungsbereich; aus Teach First kann dann sozusagen Teach Forever („Unterrichte für immer“) werden. Auch Gros denkt darüber nach. Sie könnte sich vorstellen Programmierworkshops für Schüler anzubieten: „Ich würde gerne vermitteln, dass Programmieren Freude macht.“
Bildungsgerechtigkeit bedeute für Gros insbesondere die Unabhängigkeit des Lernerfolgs von sozialer oder ethnischer Herkunft und Geschlecht. Damit die Bildung selbst ein Paradiesgarten ist.