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Solar- und Windstromanlagen

Netze BW sieht Engpässe bei Netzanschlüssen und Hochspannungsleitungen

Das Nadelöhr der Energiewende sind die Stromnetze. Bislang richtete sich der Blick auf die großen Trassen. Netze BW schlägt jetzt im BNN-Interview mit Blick auf die Hochspannungsleitungen Alarm.

Windkraftanlagen und Hochspannungsleitungen sind vor dem Abendhimmel bei Leuna zu sehen.
Probleme beim Netzanschluss: Laut Netze BW ist das Hochspannungsnetz an der Kapazitätsgrenze. 2.600 Trassenkilometer müssten verstärkt werden. Foto: Jan Woitas/dpa

Seit dem Ukraine-Krieg haben sich die Anmeldungen von Netzanschlüssen für Windenergie- und Solaranlagen verdoppelt. Die Stromnetzbetreiber kommen nicht hinterher.

Netze BW-Chef Christoph Müller spricht im BNN-Interview von erheblichen Engpässen, die eine rasche Energiewende gefährden.

Herr Müller, immer wieder heißt es, die Energiewende stockt, weil der Netzausbau nicht vorankommt. Woran hakt es da?
Müller

Wir haben derzeit beim Netzanschluss eine sehr angespannte Lage. Bei den Photovoltaik-Anlagen sind die Zahlen mit Beginn des Ukraine-Kriegs sprunghaft gestiegen. Im Jahr 2019 haben wir 1.000 Photovoltaik-Anlagen pro Monat angeschlossen, 2021 schon 2.000. Im vergangenen Jahr hatten wir dann nach dem Überfall auf die Ukraine und dem Strompreisanstieg 4.000 Anmeldungen pro Monat. Mir ist klar, dass die Menschen unabhängiger werden wollen. Allerdings stellt uns das vor große Herausforderungen. Die Anschlusszahlen haben sich verdoppelt – die Mannschaft aber nicht. Wir haben rund 300 Kolleginnen und Kollegen, die in dem Bereich arbeiten – und die kommen bei den Aufträgen kaum hinterher. Für die Kundinnen und Kunden kommen außerdem Wartezeiten bei der Lieferung und den Terminen mit Handwerkern dazu. Ich gehe von einer weiteren Anmeldewelle aus, sobald die Lieferketten wieder zuverlässiger funktionieren. Im Moment arbeiten wir mit allen zur Verfügung stehenden Kräften die Anmeldungen ab. Parallel digitalisieren wir unsere Prozesse und Lösungen ganz massiv, denn das lässt sich nicht einfach mit mehr Personal lösen. Wir brauchen hier energiewirtschaftlich ausgebildete Leute – die bekommt man nicht per Anruf beim Arbeitsamt. Zumal der Arbeitsmarkt ziemlich leergefegt ist.

Wie könnte eine Lösung aussehen?
Christoph Müller

Wir müssen umfassend und zeitnah digitalisieren. Daran führt kein Weg vorbei, auch wenn das den Kundinnen und Kunden teilweise nicht gefällt. Denn es gibt immer noch eine erstaunlich große Zahl an Personen, die ihren Netzanschluss lieber per Brief koordinieren, weil sie keine persönlichen Daten im Internet hinterlassen wollen. Ich gehe außerdem davon aus, dass wir eine brisante Diskussion zum Thema Netzausbau bekommen. Denn die Netze sind an ihren Leistungsgrenzen. Vieles, was wir bisher in der Energiewende umgesetzt haben, funktionierte quasi noch mit den Reservekapazitäten der Vergangenheit. Aber die sind jetzt zunehmend ausgereizt. Deutschland kann seine Ziele bei der Energiewende nur noch mit einem zeitnahen Ausbau der Netze realisieren.

Bei den großen Höchstspannungsleitungen wird das ja auch seit Jahren diskutiert und umgesetzt. Wie sieht es bei den Ebenen darunter aus, den Hoch-, Mittel- und Niederspannungsnetzen?
Christoph Müller

Vor allem bei der Hochspannung, also den 110 Kilovolt-Netzen, ist der Bedarf groß. Die Ebene macht mir am meisten Sorgen. Bei der Höchstspannung, den großen Überlandleitungen, haben wir mittlerweile politisch auf die Verkabelung gesetzt. Das hat viele Diskussionen beruhigt, auch wenn die Genehmigungsverfahren noch immer sehr anspruchsvoll sind und lange dauern. Es ist zwar um ein Vielfaches teurer, nach meiner Einschätzung auch was die Umweltkosten betrifft, aber man sieht eben keine Masten – aus den Augen, aus dem Sinn. Trotzdem sind auch die großen Höchstspannungsprojekte hinter ihrem Zeitplan. Bei der Nieder- und Mittelspannung, also in den lokalen Ortsnetzen, klappt es vergleichsweise gut. Zum einen ist die Verkabelung wirtschaftlich nicht teurer. Zum anderen sind auch die Genehmigungen einfacher, weil es hier um die eigenen Gebiete der Gemeinden geht. Damit gibt es einen unmittelbaren Bezug zwischen Betroffenheit und Nutzen. Das ist bei der Hochspannung nicht der Fall. Denn dies sind überregionale Netze. Kabel sind gerade in der Topologie von Baden-Württemberg sehr viel teurer als Freileitungen. Politisch ist die Hochspannungsverkabelung aber nicht festgelegt worden. Als Folge daraus ist sie aufgrund des Effizienzgebots wirtschaftlich eigentlich nicht umsetzbar. Insbesondere die Hochspannung kommt derzeit aber an ihre Kapazitätsgrenzen.

Welche Folgen hat das für die Versorgungssicherheit?
Christoph Müller

Das ist keine Frage der Versorgungssicherheit – die ist gewährleistet. Es entsteht aber ein Problem, wenn größere Photovoltaik- oder Windkraftanlagen angeschlossen werden sollen. Es stößt bei vielen Menschen natürlich auf Unverständnis, wenn wir als Netzbetreiber den Netzanschluss wegen fehlender Kapazitäten ablehnen müssen. Oder wenn wir Einspeisepunkte zuweisen müssen, die mehr als zehn Kilometer entfernt liegen. Uns ist klar, dass sich viele Projekte dann wirtschaftlich nicht mehr tragen.

Warum werden nicht mehr Leitungen gebaut?
Christoph Müller

Wir gehen davon aus, dass der Netzausbau viel schneller vorangetrieben werden muss. Das erfordern schon die von der Regierung verschärften Ausbauziele für die Erneuerbaren Energien. Gerade bei der Hochspannung müssen wir die Kapazität von fast jeder Leitung erhöhen. Wir reden bei unserem Netz in Baden-Württemberg von rund 3.400 Trassenkilometern, wovon 2.600 Kilometer verstärkt werden müssten. Um die 10.000 Stahlmasten müssen wir dafür austauschen. Wenn wir die Ausbauziele konsequent durchrechnen, bedeutet das: Wir müssen mehr als 300 Umspannwerke anpassen und noch einmal rund 150 neue bauen. Das ist eine sehr große Herausforderung. Technisch ist die ganze Branche jetzt gefragt, Baukapazitäten aufzubauen. Aber das eigentliche Problem sind die Genehmigungsverfahren – selbst wenn wir nur von einer teilweisen Umsetzung der Ausbaubedarfe ausgehen. Ich befürchte, wir werden aufgrund der aufwendigen Verfahren das erforderliche Tempo, das für die Umsetzung der Energiewende nötig ist, auf der Netzseite kaum erreichen können. Ein konkretes Beispiel ist die Leitung Kupferzell – Roth am See. Wir wollen dort eine 25 Kilometer lange Leitung bauen, um insbesondere Wind- und PV-Strom abzutransportieren. Da sind wir schon seit zehn Jahren im Genehmigungsverfahren! Aber gebaut oder auch nur beauftragt ist noch nichts. Immer wieder wurden dort verschiedene Varianten diskutiert. Die öffentliche Beteiligung ist wichtig, aber das dauert. Ich schätze, die Gesamtzeit für diese 25 Kilometer wird am Ende 15 bis 20 Jahre betragen.

Bei den LNG-Terminals ging es jetzt rasant…
Christoph Müller

Aus der Ferne habe ich den Eindruck, dass dort aufgrund der angespannten Gasversorgungslage Ecken nicht nur rund gemacht, sondern gleich ganz weggefräst wurden. Ich bin froh, dass wir die ersten LNG-Terminals jetzt haben. Es kann aber doch nicht das Ziel sein, dass wir erst in eine nationale Notlage geraten müssen, damit sich etwas schnell bewegt. Ich denke, alle Beteiligten – also Kommunen, Landratsämter, Regierungspräsidien, Landesregierung und Netzbetreiber – sollten sich an einen Tisch setzen, um die Prozesse gemeinsam zu analysieren. Ein realistisches Ziel sollte dabei sein, dass man so ein Verfahren inklusive Bürgerbeteiligung in drei bis fünf Jahren durchführen kann. Wir alle werden dafür unsere Hausaufgaben erledigen müssen – auch wir Netzbetreiber. Aber ich glaube, am Ende sparen wir uns eine Menge Geld, Zeit und Nerven. Und anders werden wir die Energiewende nicht schaffen.

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